Rezension

Noam Chomskys Kritik globaler Verwerfungen der US-Außenpolitik

Der bekannte Linguist Noam Chomsky, einer der einflussreichsten Kritiker der US-amerikanischen Machtpolitik, legt in seinem neuen Buch "Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik" kritischen Betrachtungen zur US-Außenpolitik in Geschichte und Gegenwart vor. Es handelt sich eher um eine fragmentarisches Buch, worin bekannte Auffassungen von Chomsky präsentiert werden; eine berechtigte Kritik an der Einseitigkeit der US-Politik geht einher mit einer Einseitigkeit der Kritik mit den USA als nahezu alleinigem Verantwortlichen für Krisen.

Ab Mitte der 1960er Jahre wandten sich zunehmend auch Intellektuelle gegen die imperiale Machtpolitik der USA. Den Protest gegen den Vietnam-Krieg begleiteten viele Wissenschaftler. Einer der bekanntesten Aktivisten war damals Noam Chomsky, der als Begründer einer modernen Linguistik weltberühmt werden sollte. In einem seiner ersten Bücher beklagte er gegenüber den Intellektuellen deren fehlende Zivilcourage. Es sei gerade deren Aufgabe, die ihnen durch eine privilegierte Berufstätigkeit zuwachse, sich der Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit verpflichtet gegen diese Imperialpolitik zu wenden. Fortan erschienen zahlreiche Bücher, worin Chomsky die Doppelmoral und die Gewaltfixierung der Politik der USA und des Westens verdammte. Als intellektueller Begleiter der Globalisierungskritik wurde er in den 1990er und 2000er Jahren auch für eine jüngere Generation zu einem prominenten Weltintellektuellen. Seine Bücher erscheinen mittlerweile auch in Deutschland in großen Verlagshäusern.

Dies gilt auch für "Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik", das nur wenigen Monate nach der Veröffentlichung in den USA bei Ullstein herauskam. Um es gleich vorweg zu sagen: Eine detaillierte und stringente Erörterung der Frage im Titel findet man darin nicht. Darin enthalten sind 23 Kapitel, welche Fragen der internationalen Politik behandeln. Chomsky geht mehr auf die Geschichte und weniger auf die Gegenwart ein. Erneut hebt er die Fehler und Gewaltfixierung vom Vietnamkrieg in den 1960er Jahren bis zu den Interventionen der Reagan-Ära in den 1980er Jahren hervor. Und darin besteht auch der Kern seines neuen Werkes. Es ist insoweit eher ein altes Buch oder positiv gewendet: Man könnte von einer Art "Best of" von Chomsky sprechen. Insofern eignet sich "Wer beherrscht die Welt" eher als Einstieg in die Kritik des Weltintellektuellen. Dabei kann jedes Kapitel häufig für sich allein gelesen werden. Denn von einer systematischen Anlage des Buches kann in inhaltlicher Perspektive nicht die Rede sein.

Erst am Ende kommt er auf die Fragestellung des Titels zurück. Dort heißt es darüber: "… heute sind es multinationale Konglomerate, riesige Finanzinstitutionen, weltweite Handelsketten und dergleichen" (S. 320). Auch wenn diese Formulierung ein wenig schlicht ist, so kann man ihr eine gewisse Wahrheit nicht absprechen. In dem Buch begründet bzw. belegt Chomsky aber diese Deutung nicht. Er konzentriert sich ganz auf die US-Außenpolitik, mit gelegentlichen Exkursen zur israelischen Außenpolitik. Die hauptsächlichen Konfliktverantwortlichen sieht er in beiden Ländern. Die Gefahr, die demgegenüber von anderen Akteuren ausgeht, sei demgegenüber aufgebauscht. Das Atomprogramm des Iran nennt er als Beispiel dafür. Gleiches gelte für die Bedrohung, die nicht in dem behaupteten Maße von Nordkorea ausgehe. Chomsky kritisiert auch vehement die "Holzhammerstrategie des Krieges gegen den Terror", habe diese doch "den dschihadistischen Terror aus einem winzigen Winkel Afghanistans auf einen Großteil der Welt ausgebreitet" (S. 336).

Das neue Buch von Chomsky weist die gleichen Probleme wie die anderen Werke des Verfassers auf. Er hat sich von einer Kritik der Einseitigkeit US-amerikanischer Politik hin zu einer Einseitigkeit der Kritik an der US-amerikanischen Politik entwickelt. Chomsky kommt als Denker und Intellektuellem das Verdienst zu, immer wieder kritisch gegen einen einseitigen Meinungskonsens in der westlichen Welt anargumentiert zu haben. In diesem Kontext gab und gibt es auch beachtenswerte Medienkritik, übrigens hier anhand einer Ausgabe der New York Times vom 6. April 2015. Bei all dem ignorierte Chomsky aber immer mehr, dass die Politik der USA in einem Weltkontext erfolgt. Es gibt für Gewalt und Unterdrückung auch andere Ursachen und Verantwortliche. Die werden von dem Autor mitunter doch etwas zu klein geschrieben. Auch gegenüber Israel gibt es derartige Wahrnehmungsverzerrungen. Diese ausgeprägte Einseitigkeit entwertet nicht die berechtigte Kritik, aber die internationale Politik ist doch etwas komplexer.

Noam Chomsky, Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik, Berlin 2016 (Ullstein-Verlag), 413 S.,ISBN-13 9783550081545, 24,00 Euro