Die Tierphilosophin Susanne Magdalena Karr über ihr Buch "Verbundenheit"

Seele fühlt man nicht allein – Tiere unter uns

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Berliner Großstadt-Fuchs
Berliner Großstadt-Fuchs

BERLIN. (hpd) Dem Mitfühlen mit allen Lebewesen und entschiedenem Eintreten gegen fabrikmäßiges Erzeugen von Lebewesen wird in dem im Dezember erschienenen Buch der Wiener Philosophin Susanne Magdalena Karr, "Verbundenheit", neues theoretisches Rüstzeug gegeben. Leibniz' Barockphilosophie und die Betrachtung schamanistischer Praktiken werden darin zu einem großen enthusiastischen Panorama verwoben. Die Autorin beantwortet Fragen zu ihrem Werk.

hpd: Was ist die Seele? Ein Hauch, eine Bewegung oder eine Möglichkeit oder Handlungsmacht, eine Fähigkeit zur Wahrnehmung beziehungsweise zur Kommunikation und Handlung? Von all dem ist in Ihrem Buch die Rede. An anderer Stelle schreiben Sie, die Seele ist der "Prozess eines sich vollziehenden Seinszusammenhangs". Die Weltseele gar ist, so schreiben Sie, das Verbindende, die "Zugehörigkeit aller Lebewesen zur Welt", also etwas sehr Abstraktes, nicht leicht zu Fassendes.

Susanne Magdalena Karr: Die Frage nach der Seele wurde schon oft versucht zu beantworten und stellt bekanntermaßen einen Haupttopos der Philosophie dar. Ich nähere mich dem Thema über die Vorstellung von Seele als etwas, das wie ein Lebensfunke, eine Dynamik wirkt und alle Lebewesen miteinander verbindet. Sie ist nicht der Individualität der Person verhaftet, sondern bietet ihrerseits den über-personalen, über-individuellen Zusammenhang, der letztlich auch die Grundvoraussetzung für jegliche Art von Kommunikation bildet.

Alles hängt mit allem zusammen, aber woher nehmen wir die Gewissheit, über das Ganze als solches sprechen zu können? Selbst dann, wenn stets das Ganze uns affizieren sollte.

Wir haben selbstverständlich für unser Sprechen immer nur die eigene Welterfahrungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dies schließt auch tradiertes menschliches Wissen ein. Wir können aber andere Welten für uns erschließbar machen, indem wir uns anderen zuwenden und von ihnen und ihren Wahrnehmungen affizieren lassen, ein Teil der "anderen" annehmen, "becoming" heißt es auf Englisch vieldeutiger. Es gibt keine Gewissheit wie eine "letztgültige Wirklichkeit", die sich uns erschließt. Wir agieren von unserem Ort aus, machen uns aber über Kommunikation, Verbundenheit und letztlich einen metaphorischen Gestaltwandel einen weiteren Horizont auf.

Susanne Magdalena Karr

Susanne Magdalena Karr, Foto: privat

Wir erfahren die Einfühlung in andere Wesen als Bereicherung, als Möglichkeit zum Gestaltwandel unsererseits, aber erfahren wir so auch wirklich mehr über das Tier, das andere Wesen? Oder ist nicht diese Einfühlung bei genauem Hinsehen recht egoistisch?

Insofern jegliche Kommunikation ein Austausch unter Subjekten ist, die dadurch zugleich – vielleicht auch nur temporär - mehr sind, als sie vor der Begegnung waren, kann man den Vorgang als Bereicherung des Eigenen bezeichnen. Gleichzeitig wird aber auch etwas vom Eigenen weitergegeben, Kommunikation ist ja keine Einbahnstraße. Die Kommunikation über Einfühlung ist besonders dann auf den Plan gerufen, wenn verbaler Austausch nicht möglich ist – etwa bei anderen Spezies oder kleinen Kindern. Das Eintauchen in diese “Sphäre des anderen” ermöglicht so ein Erfassen oder doch Erahnen seiner Befindlichkeit. Möglicherweise gilt es, den Egoismus-Vorwurf gelassen zu nehmen: lieber mehr zu wissen, als unberührt, unaffiziert emotionslos und einsam zu sein.

Der französische Anthropologe Philippe Descola sagt, am Anfang war alles Kultur, nämlich mythisches Weltverstehen. Die Natur, wie wir sie heute begreifen, schälte sich erst ganz allmählich heraus. Heißt nicht, alles zu beseelen, oder als beseelt anzusehen, die Natur wieder zu kulturalisieren, zu vermenschlichen?

Ich würde den von Descola beschriebenen Gestus nicht als Rückwendung verstehen, Es geht nicht um eine "Vermenschlichung", sondern eine "Beseelung". Davon abgesehen ließe sich hier fragen: hat nicht die von Descola "kulturalisierte" Natur einen höheren Stellenwert bei den mit ihr Agierenden gehabt? Ein starker Gegensatz zur Vorstellung, "Natur" sei unbeseeltes Rohstofflager im Dienste der Menschen und daher bloßes Material.

Ich würde eher von einem Konzept einer "beseelten" Natur ausgehen, wie in den Auffassungen von Gaia, in dem die Erde und ihre Prozesse als großer lebender Organismus verstanden wird, dessen Abläufe und Zusammenhänge bei weitem nicht so klar sind, wie manche gerne behaupten mögen. So gibt es gerade in der Erforschung von unterschiedlichen Arten immer wieder aufsehenerregende Ergebnisse, nicht nur was Verhalten wie Kommunikation und angebliche Kulturtechniken betrifft.

Ihr Seelenbegriff verdankt, so sagen Sie ausdrücklich, viel der Monadologie von Leibniz. Der Barockphilosoph entwarf ein System, gemäß dem jede Monade, jedes Subjekt, jede Seele die Welt aus einer anderen Perspektive spiegelt. Ja, die Seele ist genau diese Spiegelung. Kritiker wie Bertrand Russell haben ihm vorgeworfen, dann sei die Seele nur Spiegel von Spiegelungen – also leer. Trifft das möglicherweise auch Ihren Seelenbegriff? Leibniz ergänzt das Bild zwar durch die aristotelische Vorstellung von Seele als Entelechie, als Verwirklichung der Möglichkeiten eines konkreten Körpers. Aber passt das zusammen? Oder ist dies nicht, übernimmt man es, eher ein Bruch, eine recht gewollte Hinzufügung?

Entgegen der (mathematischen) Darstellung von Bertrand Russell gelange ich durch diese Häufung von Spiegelungen zu einem Inhalt, nicht zu einer Leere. Entelechie heißt ja schon, dass Inhalte zur Entfaltung vorhanden sind. Das Subjekt ist ja nicht "leer". Die jeweilig eigene Perspektivierung steht dabei für das eigene seelische Erfahren der Welt, für die Empfindung, die spezifische Wahrnehmung.

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Jede Seele hat einen Resonanzraum, versetzt mit jeder Bewegung das Ganze in Schwingung. Damit ließe sich auch die Wirksamkeit alter schamanistischer Praktiken verstehen. Wer sind die heutigen Erben der Schamanen? Die Künstler? Die von der Last des Leides der Welt Bedrückten, also die Depressiven und die Traumatisierten?

Schwer zu sagen, viele wollen es sein. Vermutlich sind gerade diejenigen es am wenigsten, die es sich auf die Fahnen heften möchten – leider tun Künstler das oft, obwohl sie häufig nur in ihrer eigenen Erfahrungs- und Gefühlswelt kreisen und glauben, dies sei Inhalt genug und mitteilenswert. Schamanische Praxis setzt aber genau darauf, über sich hinauszugehen, und nicht auf Selbstdarstellung.

Gut möglich, dass unter den Bedrückten oder Depressiven schamanisches Potenzial unbemerkt "liegenbleibt" – allerdings fehlt ja bei jenen häufig die Fähigkeit, das Erfahrene wiederzugeben oder in irgend einer Weise mitteilbar zu machen. Die Pathologisierung scheint in unserer Gesellschaft momentan immer noch akzeptabler zu sein, als sich mit den Entstehungsgeschichten von "Devianzen" zu befassen. Mit Sicherheit sind jedenfalls die zahlreichen psychischen Probleme auf den Umgang mit Leid und Tod, beziehungsweise dessen Leugnung und Verdrängung, in unseren Gesellschaften im direkten Zusammenhang zu sehen.

Was würden Sie Thomas Nagel letztlich entgegnen, der die Frage, woher können wir wissen, "wie es ist, eine Fledermaus zu sein", schließlich für unbeantwortbar hält?

Ich würde ihm zustimmen. Wir können nur versuchen uns anzunähern. Dies allerdings ist ein lohnenswertes Unterfangen.

Susanne Magdalena Karr: "Verbundenheit. Zum wechselseitigen Bezogensein von Menschen und Tieren." Neofelis