Tagebuch einer Ungläubigen - "Katholikentag Leipzig 2016" – Tag 1

Seht, da ist der Moses!

01_-_moses_auf_dem_katholikentag_in_leipzig_david_farago.jpg

Moses in Leipzig
Moses in Leipzig

02_-_prophet-geniesser.jpg

Prophet und Genießer
Prophet und Genießer

03_-_bibel_an_bord.jpg

Bibel an Bord

04_-_soziokulturelles_zentrum_nato_-_veranstaltungsort_der_sakularen_tage.jpg

Soziokulturelles Zentrum nato - Veranstaltungsort der Säkularen Tage
Soziokulturelles Zentrum nato

05_-_voll_besetzter_saal_bei_den_sakularen_tagen.jpg

voll besetzter Saal bei den Säkularen Tagen
voll besetzter Saal

06_-_maximilian_steinhaus_von_der_gbs_leipzig_eroffnet_die_sakularen_tage.jpg

Maximilian Steinhaus eröffnet die Säkularen Tage
Maximilian Steinhaus

07_-_michael_schmidt-salomon.jpg

Michael Schmidt-Salomon
Michael Schmidt-Salomon

08_-_der_osterreichische_kabarettist_gunkl.jpg

Der österreichische Kabarettist Gunkl
Gunkl

LEIPZIG. (hpd) In Leipzig hat gestern der 100. Deutsche Katholikentag eröffnet. Nach eigenen Angaben der erste Katholikentag, der sich gezielt auch mit den Ungläubigen auseinandersetzen will. Aber auch die Ungläubigen setzen sich mit dem Katholikentag auseinander. Zahlreiche Alternativ- und Gegenveranstaltungen sind geplant. Daniela Wakonigg ist für uns nach Leipzig gereist und wird in ihrem Katholikentags-Tagebuch von den Ereignissen rund um das katholische Großereignis berichten.

Einen Katholikentag besuchen. Ach herrje. Den letzten habe ich in meiner zarten Jugendzeit absolviert. Ich dachte eigentlich, das hätte ich hinter mir – den einen oder anderen Vorzug muss das Ungläubig-Werden ja schließlich mit sich bringen. Aber da die Katholiken diesmal vorgeben, den Dialog mit den Ungläubigen zu suchen, muss die Sache schließlich jemand unter die Lupe nehmen. Ich opfere mich.

Meine Reise zum Katholikentag im Namen des hpd beginnt wahrhaft prophetisch. Als ich in den Zug steige, steht es plötzlich vor mir: das Prophet. Kein Grammatikfehler, sondern ein Fahrrad mit der Aufschrift "Prophet" auf dem Gestänge. Auf der Sattelstange ein weiterer Schriftzug: "Geniesser". Was soll mir diese rätselhafte Botschaft sagen? Entweder Prophet oder Geniesser, du musst dich entscheiden?

Während ich noch über diese rätselhafte Botschaft der Fahrradindustrie nachdenke, wird es Zeit umzusteigen. Am Hauptbahnhof in Hannover drängen Menschen in den Zug Richtung Osten. Das Katholikentagsprogramm im Gepäck verrät, dass viele von ihnen unterwegs sind nach Leipzig. Kreuz-Anstecker und Aufkleber wie "Bibel an Bord" am Koffer zeigen, dass sich von dem Event doch eher religionsnahe Menschen angezogen fühlen.

Am Bahnsteig herrscht Chaos. Ausgelöst durch das übliche Organisationstalent der Bahn, die angesichts des Großevents an den IC Richtung Leipzig keine zusätzlichen Wagons angehängt, sondern – ganz im Gegenteil – einige Wagons gar nicht erst eingesetzt hat. Ein Schelm, wer denkt, die Bahn könnte dies mit Absicht getan haben, damit die Presse später von den überfüllten Zügen zum Katholikentag schreibt.

Auch meine Reservierung befindet sich in einem der Wagons, die sich auf wundersame Weise in Luft aufgelöst haben. Und so dränge ich mich im Gang zusammen mit Pfadfinder- und Jugendgruppen. Ihre Schlafsäcke und Brotdosen lassen es zweifelhaft erscheinen, dass sie in Leipzig ins Hotelgewerbe investieren oder in Restaurants ihr Taschengeld ausgeben werden.

Zwischen den Katholikentagsbesuchern im Zug, die fast durchweg Wessis sind, sitzen auch ein paar normale Zuggäste aus dem Osten. Sie sind verwundert über die Christenflut, von der sie überrollt werden. Auch die Schaffnerin zeigt sich überrascht: "Och ja! In Leipzsch, da is' irjendwie so'n katholischa Tach." Was es mit diesem "katholischen Tag" auf sich hat, interessiert bei den Ossis kaum jemanden.

Mit kaum erwähnenswerter Verspätung erreiche ich schließlich Leipzig. Für den Hauptanreisetag des Katholikentags ist es insgesamt erstaunlich leer im Hauptbahnhof. Mein Weg führt mich in die Innenstadt. Die christlichen Gäste sind im ungläubigen Leipzig leicht zu erkennen: An grünen Bändern mit dem aufgedruckten Kirchentagsmotto "Seht, da ist der Mensch" tragen sie stolz ihre Dauerkarten um den Hals. Ich verlege mich auf die Komplementärfarbe und mache Rast bei einem alten, ziemlich roten Bekannten: Moses mit der Steintafel "Das 11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!".

"Das 11. Gebot", das mit Moses erstmals beim Katholikentag in Regensburg 2014 auftrat, um die massive staatliche Subventionierung von Kirchentagen anzuprangern, ist nicht bei allen gleichermaßen beliebt. Viele Menschen ohne Kirchentagsbändchen um den Hals gehen lächelnd vorbei, zeigen einen Daumen nach oben und bedanken sich, "dass es endlich mal jemand ausspricht", andere werfen Moses auch schon mal eine alte Brezel an den Kopf.

Überhaupt sind die Gespräche beim Moses immer wieder interessant. Eigentlich möchte man meinen, dass sich inzwischen herumgesprochen hätte, dass ein Drittel bis die Hälfte des Geldes, mit dem ein Kirchentag finanziert wird, aus öffentlichen Geldern stammt. Umso erstaunlicher ist es, dass immer wieder Kirchentagsbesucher dabei sind, die das für eine Lüge halten. So wie zwei ältere Damen, die stolz sind, jeden Katholikentag zu besuchen und Stein und Bein schwören, dass das Event allein von der Kirche finanziert wird. Auch der Hinweis, dass der Katholikentagsveranstalter selbst das staatliche Sponsoring zugibt, kann sie nicht überzeugen. Sie wollen sich ihren Glauben nicht von Fakten zerstören lassen. Und sei es auch nur der Glaube an die Finanzierung ihres Katholikentags.

Während die Katholikentagsbesucher auf dem Leipziger Markt um 18:00 Uhr ihre Eröffnungsfeier abhalten und von Bundespräsident Gauck persönlich und Papst Franziskus mittels moderner Digitaltechnik ein Grußwort erhalten, zieht es mich zu einer anderen Eröffnung. Jener der "Säkularen Tage", eine Veranstaltungsreihe, die die Giordano-Bruno-Stiftung Leipzig als gottloses Alternativangebot zum Katholikentag organisiert hat.

An diesem ersten Abend steht ein Vortrag von Michael Schmidt-Salomon auf dem Programm: "Braucht der Mensch noch Religion?". Das soziokulturelle Zentrum die naTo, in dem die Veranstaltung stattfindet, ist vollbesetzt. Rund hundert Gäste haben dem seligen Schwelgen im Glauben auf dem Katholikentag Schmidt-Salomons radikale Desillusionierung vorgezogen: Unser Leben ist ungerecht, absurd und wir werden alle sterben. Aber das alles ist kein Grund, den fadenscheinigen Antworten der Religionen auf die Absurdität und die Ungerechtigkeit unserer Existenz aufzusitzen, findet Schmidt-Salomon. Vielmehr sei es notwendig, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu unternehmen. Wer im Leben mehr Gerechtigkeit erfahre, müsse nicht auf einen Ausgleich der Gerechtigkeitsbilanz im Jenseits oder durch die Wiedergeburt glauben. Durch die Verbesserung der Welt und die Erkenntnisse der Wissenschaft über das Wesen unserer Welt würde Religion immer überflüssiger. Und der Verlust von Religion sei nichts, wovor man sich fürchten müsse. Im Gegenteil: "Die wissenschaftliche Entzauberung der Welt hat ihr einen neuen Zauber verliehen."

Nach Schmidt-Salomons philosophischem Vortrag folgt als nächster Höhepunkt des Abends Philosophie mit etwas anderen Mitteln. Der österreichische Kabarettist Gunkl spricht vom Irrsinn der Welt im Allgemeinen und seiner schwierigen Kindheit im Besonderen. Hochgradig verwirrt hätten ihn beispielsweise schon als Kind beim Kasperltheater die unsinnige weil selbstevidente Frage, ob denn auch alle da seien, ebenso wie die obligatorische "Jaaaa!"-Antwort des jungen Publikums. Ein Dialog, der ihn noch heute an so manches Erlebnis in der Erwachsenenwelt erinnert, sagt Gunkl. Beispielsweise wenn Religionsführer in bunten Gewändern vor ein Publikum träten, das sich ohne Bedürfnis nach kritischem Denken ganz dem Gruppenerlebnis hingäbe.

Eine bombastische Eröffnung des gottlosen Alternativprogramms zum Katholikentag. Beide Vorträge extrem stark. Und mit sehr vielen steilen Thesen darin, die beim anschließenden Bierchen dringend weiterdiskutiert werden müssen. Mit Schmidt-Salomon, Gunkl und jedem, der darauf Lust hat. Ich verabschiede mich am frühen Morgen von den noch immer eifrig Diskutierenden. Morgen wird ein harter Katholiken-Tag.