Zugeständnisse in Saudi-Arabien:

Die Stimme der religiösen Allgegenwärtigkeit wird leiser

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Saudi-Arabien lockert islamische Gesetzesregelungen und erlaubt Frauen alleine zu leben, außerdem wird die Lautstärke des Muezzin-Rufes nun reguliert. Ist das Königreich auf dem Weg zu einer freieren Gesellschaft?

Es scheint sich etwas zu tun im Königreich Saudi-Arabien. Zwar ist der reiche Golfstaat noch immer fest in der Hand der wahhabitischen Glaubenslehre und somit einer extrem strengen Form islamischer Gesetzgebung unterworfen, allerdings häufen sich seit geraumer Zeit kleinere Meldungen aus der Region, die aufhorchen lassen.

Nachdem 2018 Frauen das Recht erhalten hatten, selbst Auto zu fahren und die Todesstrafe zumindest für minderjährige Täter sowie öffentliche Auspeitschungen verboten worden waren, gibt es nun erneut weitere kleine Schritte in Richtung einer Lockerung des streng religiösen Zwangskorsetts: Aufgrund einer Änderung in den Verfahrensregeln der Scharia-Gerichte ist es Frauen neuerdings erlaubt, ohne die Erlaubnis eines Vormundes alleine zu leben.

Auch wenn dies aus aufgeklärter Sicht eine absolute Selbstverständlichkeit darstellen sollte, kann eine solche Erlaubnis in dem Gottesstaat durchaus als hoffnungsvolles Zeichen verstanden werden. Nun ist es nicht mehr nur Witwen und Geschiedenen, sondern auch jungen unverheirateten volljährigen Frauen ohne einen männlichen Vormund – einem sogenannten "Wali" – erlaubt, ihren Wohnort frei bestimmen zu können. Dies kann für viele Frauen, die sich der Kontrolle ihrer Familien entziehen möchten und ihr Leben selbstbestimmt führen wollen, ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung sein.

Muezzin wird leiser gedreht

Auch auf dem Gebiet der Allgegenwärtigkeit der Religion im Leben der saudischen Bürger soll es nun zu einer kleinen aber bedeutsamen Änderung kommen: Abdullatif al-Scheich, saudischer Minister für islamische Angelegenheiten, ordnete vor einem Monat an, die Gebetsrufe des Muezzins in ihrer Lautstärke zu begrenzen. Die Lautstärke darf von nun an nur noch auf ein Drittel des maximalen Volumens aufgedreht werden, außerdem sollen nur noch die Gebetsrufe ausgestrahlt werden, sodass die anschließenden Gebete, welche zuvor mit übertragen wurden, entfallen sollen.

Als Begründung für diesen durchaus bemerkenswerten Schritt wird die Beschwerde älterer Menschen sowie Eltern kleiner Kinder genannt, welche durch die miteinander konkurrierenden Lautsprecherrufe um den Schlaf ihrer Sprösslinge in Sorge sind. Da an manchen Orten einige Moscheen nahe beieinanderliegen, soll es teilweise zu einem lauten Durcheinander an Gebeten gekommen sein, welchem mit der neuen Regelung Einhalt geboten werden soll.

In den Sozialen Medien gab es für diese öffentliche Zurückdrängung der religiösen Omnipräsenz von Hardlinern heftige Kritik. Streng religiöse Stimmen sprachen sich als Reaktion auf den Erlass für ein gleichzeitiges Verbot von öffentlicher Musik in Bars und Cafés aus. Al-Scheich reagierte auf den Unmut in einer Fernsehansprache mit den Worten: "Die, die beten wollen, brauchen nicht auf die Stimme des Imams zu warten. Sie sollten schon vorher bei der Moschee sein." Außerdem gebe es zahlreiche Fernsehkanäle, die Gebete übertrügen, begründete der Minister die Anordnung. Abdullatif al-Scheich bezeichnete die Kritiker weiter als Unruhestifter, welche den Zusammenhalt des Staates stören würden und Zweifel an dessen Entscheidungen säen wollten.

Es scheint so, als wolle Prinz Mohammed bin Salman, der De-facto-Alleinherrscher im Königreich Saudi-Arabien, sein Land modernisieren und den Einfluss des Islams begrenzen. Gegen Kritiker seiner Politik wird jedoch noch immer mit harter Hand vorgegangen. Der spektakulärste Fall ist der des ermordeten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, welcher seinem Heimatland ein Dorn im Auge war.

Eine demokratische Verfassung wird im autokratisch regierten Königreich vermutlich nicht so bald Einzug halten, eine Liberalisierung der Gesellschaft mit neuen Freiheiten für seine Bürgerinnen und Bürger scheint jedoch begonnen zu haben. Der Prinz weiß, dass er sein Land für die Zeit fit machen muss, wenn die Ölquellen versiegen. Mit den Werten einer streng religiösen Doktrin wird dies nur schwerlich erreichbar sein.

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