12 Thesen zur Einschätzung von Auffassungen und Handlungen

Ist die PEGIDA-Bewegung eine neue Form des Rechtsextremismus?

BONN. (hpd) Gegen-Demonstranten riefen “Nazis raus”, Minister sprachen von “Nazis in Nadelstreifen”. Gemeint war jeweils die Bewegung “Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes” (PEGIDA), die bei öffentlichen Versammlungen in Dresden kontinuierlichen Zulauf bis zu 17.500 Personen erhielt.

Doch wie angemessen sind die erwähnten Einschätzungen? Kann man tatsächlich von einer neuen nationalsozialistischen Bewegung sprechen? Ist PEGIDA wirklich eine neue Form des Rechtsextremismus. Die folgenden Thesen nehmen zu diesen Fragen eine inhaltliche Einschätzung aus extremismustheoretischer Perspektive vor:

1. Auch wenn es keine genauen Daten über die politische und soziale Zusammensetzung der PEGIDA-Demonstranten gibt, zeigt der nur oberflächliche Blick auf deren Anhänger: Von einer Ansammlung von Neonazis lässt sich nicht sprechen. Lediglich eine kleine Minderheit der Demonstrationsteilnehmer stammt aus der damit gemeinten politischen Szene.

2. Indessen ist zwar jeder Neonazi ein Rechtsextremist. Es muss aber nicht jeder Rechtsextremist ein Neonazi sein. Der Begriff steht vielmehr für einem Sammelbezeichnung für Auffassungen und Handlungen, die sich im Namen ethnischer Identität gegen den Minimalkonsens einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wenden.

3. Dafür liefern die 19 Grundpositionen von PEGIDA keine Anhaltspunkte. Ganz im Gegenteil enthalten sie gar menschenrechtliche Auffassungen wie die nach der “Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten” als “Menschenpflicht” oder realistische Forderungen wie die “für dezentrale Unterbringung der Kriegsflüchtlinge”.

4. Indessen stehen diese Inhalte, die erst in Folge öffentlicher Kritik an PEGIDA von deren Führungsspitze ohne Legitimation durch die Basis der Bewegung beschlossen und veröffentlicht wurden, nicht für die ganz anders ausgerichteten Inhalte und Stimmungen bei den einschlägigen Demonstrationen.

5. Dort dominiert eine von Aversionen und Ressentiments geprägte emotionale Stimmung und kein von Reflexionen und Sorgen getragener sachlicher Ton. Der PEGIDA-Initiator Lutz Bachmann meinte etwa, Flüchtlinge lebten in “luxuriös ausgestatteten Unterkünften”, während sich arme Rentner “kein Stück Stollen” mehr leisten könnten.

6. Ein derartiger rigoroser Dualismus, der mit solchen Gut-Böse-Bildern arbeitet, prägt auch die Auffassungen und Handlungen zu anderen Themen: Deckungsgleich mit Formulierungen aus rechtsextremistischen Demonstrationen ist von der “Lügenpresse” bezogen auf die Medien und von “Volksverrätern” hinsichtlich der Politiker die Rede.

7. Derartige Einstellungen, die auch in der Ablehnung von Dialogen mit Politikern oder von Interviews mit Journalisten zum Ausdruck kommen, verweigern einen für Demokratien selbstverständlichen öffentlichen Diskurs. Es geht den PEGIDA-Aktivisten erkennbar mehr um emotionale Artikulation und nicht um eine inhaltliche Kommunikation.

8. Dazu wäre man wohlmöglich auch argumentativ und intellektuell nicht in der Lage, besteht doch gerade für Dresden bzw. Sachsen mit einem Anteil von 0,4 bzw. 0,1 Prozent von Muslimen in der Bevölkerung kein realer Kern, um für die Stadt bzw. das Land von einer Gefahr von “Glaubenskriegen” und “Islamisierung” zu sprechen.

9. Es entsteht so der Eindruck, dass die Demonstranten aus ganz anderen Gründen auf die Straße gingen. Ihr allgemeiner Unmut über “gemachte Politik”, der sich in den ostdeutschen Ländern auch in einer geringen Wahlbeteiligung artikuliert, sucht sich offenkundig in den Ressentiments und Vorurteilen gegen Flüchtlinge ein emotionales Ventil.

10. Dies bedeutet indessen nicht, dass die artikulierten fremdenfeindlichen und nationalistischen Stimmungen nicht existent sind. Sie haben aber offenkundig wenig mit realen gesellschaftlichen Gegebenheiten zu tun, wodurch ein Eingehen auf die hierbei angeblich artikulierten “Sorgen” von Bürgern eine unangemessene Gegenstrategie wäre.

11. Die übergroße Mehrheit der PEGIDA-Demonstranten stammt offenbar ebenso wenig aus dem organisierten Rechtsextremismus wie die PEGIDA-Führung. Der Initiator Bachmann ist zwar mehrfach vorbestraft, aber aufgrund von kriminellen Delikten. Andere Führungskräfte kommen aus der CDU oder FDP, fielen dort aber durch muslimenfeindliche Positionen auf.

12. Dies spricht indessen nicht zwingend für eine rechtsdemokratische Ausrichtung von PEGIDA, denn rechtsextremistische Einstellungen findet man nach den Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung nicht nur in der Neonazi-Szene. Einschlägige Mentalitäten und Orientierungen gehen darüber hinaus und artikulieren sich hier möglicherweise.

 

Angesichts des Mangels an genauen Daten über die Einstellung der PEGIDA-Demonstranten lassen sich aktuell dazu noch keine gesicherten Einschätzungen formulieren. Gleichwohl sind die artikulierten Auffassungen, formalen Denkungsarten und propagierten Feindbilder deckungsgleich mit denen im rechtsextremistischen Lager.

 


Siehe dazu auch “Zwanzig Thesen zur demokratietheoretischen Einschätzung einer Bewegung - Die PEGIDA-Demonstrationen als neues Phänomen für Fremdenfeindlichkeit