Gestern stellte Carola Rackete, Umweltaktivistin und Seenotretterin, ihr Buch zur aktuellen Klimadebatte in Berlin vor. Darin fordert sie radikale Maßnahmen.
Seit Ende Juni kennt man Carola Rackete. Sie wurde schlagartig berühmt, als sie sich einer Anordnung von Italiens damaligem rechtspopulistischen Innenminister Matteo Salvini widersetzte und als Kapitänin der "Sea Watch 3" mit 40 Flüchtlingen an Bord in Lampedusa anlegte. An Land wurde sie von den Behörden festgenommen, das Verfahren läuft noch, jedoch ist sie überzeugt, dass es eingestellt wird, verriet sie auf einer Pressekonferenz in Berlin. Auch wenn die zahlreich anwesenden Journalisten gerne wieder auf ihre kompromisslose Haltung bei der Seenotrettung zurückkamen, ging es hier um etwas anderes: Sie hat ein Buch geschrieben, das den Titel "Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation" trägt und das sie gestern in den Räumen der Bundespressekonferenz vorstellte. Darin fordert sie ein entschiedenes und radikales Vorgehen, um den Klimawandel aufzuhalten.
Bekannt geworden sei sie zwar mit "21 Tagen ihres Lebens" in der Seenotrettung, im Klima- und Umweltschutz engagiere sie sich jedoch schon viel länger, berichtete Rackete, die seit einem Jahr auch der Bewegung Extiction Rebellion angehört. Nach eigener Aussage verbrachte die studierte Naturschutzmanagerin die letzten sieben Polarsommer in der Antarktis auf einem Forschungsschiff und habe auch am Nordpol das Eis schwinden sehen. Die Zerstörung der Ökosysteme sei kein Problem, sondern eine existenzielle Krise. Ob wir als Menschheit weiterleben wollen, sei die entscheidende Frage. Wir stünden vor der Wahl: Radikale Transformation oder gesellschaftlicher Kollaps? Wir müssten über die Werte unserer Gesellschaft reden: Wichtig sei nicht Konsum, sondern Gesundheit, die Erhaltung der Natur, gegenseitige Wertschätzung. "Brauchen wir immer mehr oder gibt es ein 'genug'?", fragte sie in den vollen Raum. Was den Umgang mit unseren Ökosystemen angeht, könnten wir viel von indigenen Bevölkerungen lernen. Sie seien es, die 80 Prozent der weltweiten Biodiversität schützten. Wir müssten weg von der Macht-euch-die-Erde-Untertan-Haltung, die die Bibel und Descartes proklamierten.
Das sei jedoch schwierig, fuhr die 31-Jährige fort, da die Gesellschaft "durch die profitierenden Unternehmen aktiv fehlgeleitet und missinformiert" werde, indem diese Forschung finanzierten, die versuche, Fakten zu verschleiern und eine progressive Gesetzgebung zu verhindern. Sie erzählte, dass es bereits Überlegungen gebe, den Straftatbestand des "Ökozids" – analog zum Genozid – zu schaffen, um damit Unternehmen und Personen zur Rechenschaft ziehen zu können, die die weltweite Zerstörung vorantreiben. Die Industriestaaten seien hier in der Verantwortung, denn sie seien schuld an den Klimaveränderungen, welche die Entwicklungsländer bereits jetzt zu spüren bekämen, doch die kolonialen Machtstrukturen setzten sich fort.
Hier zeigt sich auch die Verbindung zum Engagement in der Seenotrettung: Die Menschen würden schon jetzt vor den Folgen des Klimawandels fliehen, der ihre Lebensgrundlagen zerstöre, sagte die Autorin, und sie prophezeite auch eine Zunahme bewaffneter Konflikte. Die Geflohenen wünschten sich jedoch, dass ihre Heimat erhalten bleibe und man müsse ihnen die Möglichkeit, das "Recht auf ein Daheimbleiben", garantieren. Darüber hinaus müsse es außerdem einen eigenen Schutzstatus für Klimaflüchtlinge geben, da sie nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fielen. Auch zur Verteilung hatte sie einen Vorschlag: Der sogenannte "Klimapass" sehe vor, dass die Länder, die am meisten CO₂ ausgestoßen haben, die meisten Geflüchteten aufnehmen müssten.
Carola Rackete hat ihr Buch, dessen Erlöse sie der Flüchtlingsorganisation borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen spenden will, den "Opfern des zivilen Gehorsams" gewidmet. Maßnahmen des zivilen Ungehorsams, wie sie Extinction Rebellion derzeit durchführt, findet sie angesichts der Situation angemessen, auch wenn sie nicht jede einzelne Aktion gutheiße. Da die Entscheidungen im Parlament nicht zum Wohle der Allgemeinheit oder dem der nächsten Generation getroffen würden, forderte sie, eine "echte Demokratie" herzustellen. Sie plädierte dafür, einen "Bürgerrat" einzusetzen, der für ein Jahr ausgelost wird. Diese Volksvertreter, die kein Interesse an einer Karriere oder Wiederwahl hätten, könnten Maßnahmen vorschlagen, die sozial gerecht seien.
Warum sie glaube, dass eine solche Bürgerversammlung besser funktioniere als ein Parlament mit gewählten Politikern, wollte eine Journalistin wissen. Es habe bereits erfolgreiche Versuche in anderen Ländern gegeben, antwortete die junge Frau mit den rückenlangen, braunen Dreadlocks. Als Beispiel nannte sie die Abtreibungsgesetze in Irland. Wie die "letzte Generation" im Untertitel ihres Buches zu verstehen sei, lautete die Frage eines anderen Journalisten, ob es schon zu spät sei, zu handeln. Sie gehe nicht davon aus, dass es keine weitere Generation mehr geben werde, jedoch könne die jetzige noch viel verändern, bevor die unumkehrbaren "Kippelemente" kämen. Noch sei das Zwei-Grad-Ziel erreichbar.
Carola Rackete: "Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation", München 2019, Droemer HC, 176 Seiten, 16 Euro
18 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Tolle starke Frau mit vernünftigen Vorschlägen, leider wird Sie an der Habgier der Konzerne, wozu ich auch die Kirchen zähle und der Ignoranz der Politik scheitern.
verliert man jeden Glauben an die Ernsthaftigkeit eines gewollten Wandels.
David Z am Permanenter Link
Welche "vernūnftigen Vorschläge" meinen Sie?
Und ja, Ernsthaftigkeit und Vernunft beim Thema Klimawandel zu finden, ist leider sehr schwer geworden.
Andreas Lichte am Permanenter Link
Carola Rackete ist in einem eindrucksvollen Interview mit dem "Europäischen Journalisten des Jahres" Armin Wolf in der österreichischen Nachrichtensendung "ZIB 2" zu sehen.
Carola Rackete ist die lebende Gegenposition zur "marktkonformen Klimapolitik" von Philipp Möller, dessen neues Mantra "ich habe keine Angst mehr" (ich ergänze: "dabei hat mir die FDP geholfen ...") man hier kennenlernen kann: "Herr Möller hat keine Angst mehr", https://hpd.de/artikel/herr-moeller-hat-keine-angst-mehr-17266
Mark am Permanenter Link
"denn sie seien schuld an den Klimaveränderungen, welche die Entwicklungsländer bereits jetzt zu spüren bekämen, doch die kolonialen Machtstrukturen setzten sich fort."
"Der sogenannte "Klimapass" sehe vor, dass die Länder, die am meisten CO₂ ausgestoßen haben, die meisten Geflüchteten aufnehmen müssten."
Laut offiziellen Zahlen wären Russland, China und Indien auf der Liste. Aber es ist unwahrscheinlich dass diese Länder so etwas machen würden.
"Sie plädierte dafür, einen "Bürgerrat" einzusetzen, der für ein Jahr ausgelost wird. Diese Volksvertreter, die kein Interesse an einer Karriere oder Wiederwahl hätten, könnten Maßnahmen vorschlagen, die sozial gerecht seien."
Was ist wenn Volksvertreter gewählt werden, die kein Interesse an radikalen Maßnahmen haben, weil diese in der Bevölkerung sehr unbeliebt sind. Maßnahmen die zu Mietsteigerungen, Preissteigerungen, Arbeitslosigkeit und teuere Großprojekte führen? In Holland kam es zu Protesten von Bauern und Bauarbeiter gegen Umweltschutzauflagen.Sie glaubt die großen Konzerne seien ihre Gegner, aber liegt sie falsch, der Durchschnittswähler ist es, der ihre radikalen Maßnahmen nicht befürwortet. Klimaschutz ist eine beliebtes Thema, aber wenn die Wähler gefragt werden was sie bereit wären zu tun, so verlangen sie Klimaschutz zum ermäßigten Preis.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Sehr viele Europäer mussten feststellen, dass die Eliten in Afrika und Nahen Osten nicht viel auf die Reihe bekommen.
Frau Raketes naive Haltung, wir könnten mit deutscher Hybris die Welt retten ist atemberaubender Unsinn. Zum anderen werden Wahlergebnisse diese Republik weiter Spalten.
Bernd Neves am Permanenter Link
"Man kann nicht immer den Kolonialismus die Schuld an allen Problemen geben, die in den Entwicklungsländern vorzufinden sind.
Man kann nicht nur, man muss; aus zwei Gründen:
1. Soziale Strukturen brauchen oft Jahrhunderte zur Entstehung eines sozialen Gleichgewichts (Traditionen, Kultur etc. ). Diese seinerzeit vorhandenen Stukturen wurden durch den Kolonialismus für immer zerstört.
2. Die politischen Führungen, die der kulturellen und sozialen Zerstörung folgten, waren ja nie frei. Selbst während und nach der formalen Entlassung aus den alten Kolonialherrschaften bestand und besteht die Kontrolle durch die kolonialen Mächte bis heute weiter, ausgeübt von westlichen Konzernen und unterstützt durch westliche Staatspolitik. Wer sich widersetzte, wurde beseitigt, wie z. B. Patrice Lumumba und Salvator Allende. Auch heute mischt sich "der Westen" immer noch mit Gewalt, der Korruption lokaler Privilegierter, der Unterstützung krimineller Gruppen, Regime-Changes und Wirtschaftskriegen in die Angelegenheiten der ehemaligen Kolonialländer ein.
Bekannte Beispiele aus neuerer Zeit, auch derzeit aktuelle, sind in im Nahen Osten und Lateinamerika reichlich zu finden.
Selbst wenn man annimmt, dass die Zeit gereicht hätte, die alten Wunden zu heilen und neue Strukturen zu errichten, es fehlten sowohl die Mittel als auch die Genehmigung der alten Kolonialherren.
Der Kolonialismus ist heute immer noch aktiv, er wird nur nicht mehr so genannt. Er nennt sich heute "Globalisierung" und "Freihandel".
Jochen Beck am Permanenter Link
"Man kann nicht immer den Kolonialismus die Schuld an allen Problemen geben, die in den Entwicklungsländern vorzufinden sind.
Man kann nicht nur, man muss; aus zwei Gründen:
1. Soziale Strukturen brauchen oft Jahrhunderte zur Entstehung eines sozialen Gleichgewichts (Traditionen, Kultur etc. ). Diese seinerzeit vorhandenen Stukturen wurden durch den Kolonialismus für immer zerstört."
Das vorkoloniale Afrika war eine Sklavenhaltergesellschaft, welche auf die Nachfrage aus der islamischen Welt (650-1920) und den beiden Amerikas (1519-1860) mit Export reagierte. Der Sklavenhandel in Afrika endete erst durch den Kolonialismus (1880-1960). Soviel zu den damals vorhanden Strukturen sozialen Ausgleichs. Es ist reichlich naiv zu behaupten Ausbeutung besteht nur wo Weiße auf der Bildfläche erscheinen.
Salvador Allende wurde gestürzt, weil er das Volk mehrheitlich aufgrund rechtswidriger Enteignungen einheimischer Unternehmer gegen sich hatte. In den Parlamentswahlen hatte er nur noch 42% der Stimmen.
Andreas am Permanenter Link
@ Jochen Beck Zitat Jochen Beck: "Salvador Allende wurde gestürzt ..." Sie meinen wahrscheinlich die Friedensbewegung "CIA", Zitat wikipedia: "Bei der US-Intervention in Chile führte der US-am
Jochen Beck am Permanenter Link
Wikipedia ist keine zitierfähige Quelle.
Andreas am Permanenter Link
@ Jochen Beck Müssen Sie Ihre rechten, kruden Thesen ausgerechnet beim Humanistischen Pressedienst veröffentlichen?
Gabriele Wruck am Permanenter Link
"Die Billigung des Putsches durch die USA..."
"Billigung", aha.
Wahrscheinlich wollte die CIA damals eigentlich nur auf eine Ferienfreizeit in die Eifel, und ein paar von denen haben sich leider, leider verfahren.
Meine Güte. Wie viele Milliarden Dollar den USA "Billigungen" dieser Art (Syrien, Ukraine usw.) wert sind, können Sie ganz offiziell im US-Bundeshaushalt oder bei Zbigniew Brzeziński nachlesen.
Denn inzwischen sind sie so arrogant, dass sie sich noch nicht mal mehr die Mühe machen, es zu verheimlichen.
Karl kraus am Permanenter Link
Kapitalismus muss weg, viel einfacher, mit ihm keine Hoffnung.
Helmut Lambert am Permanenter Link
Und dann nochmal mit Sozialismus versuchen? Wie naiv ist das denn?
Roland Fakler am Permanenter Link
Was ihr Engagement im Umweltschutz angeht, kann ich Frau Rackete nur zustimmen: Unser zerstörerischer, konsumlastiger Lebensstil ist einfach irre.
Die Ursachen für die Flucht aus Afrika sind derzeit nicht klimatisch, sondern politisch, durch Korruption, Misswirtschaft, Überbevölkerung, religiösen Wahn und Bürgerkriege bedingt. Wir brauchen in Deutschland nicht immer mehr, weder Güter, noch Autobahnen, noch Menschen, sondern wir brauchen „Nachhaltigkeit“. Dafür sind vor allem die verantwortlich, die sich mit diesem Land identifizieren, die hier ihre Heimat haben und hier ihre Zukunft planen. Den Leuten, die ihre Zukunft in Kasachstan planen, kann unser Land scheißegal sein. Deswegen sollten sie auch nicht mitreden.
A.S. am Permanenter Link
Es ist die Zahl der Menschen auf diesem Planeten, die sich wird reduzieren müssen. Wohl durch Krieg.
Und solange Menschen sich um ihr Überleben am kommenden Tag sorgen müssen, wird diesen Menschen die Sorge um einen prognostizierten Weltuntergang in einigen Jahrzehnten egal sein.
Guggemos Walter am Permanenter Link
So erfreulich der Satz "Wir müssten weg von der Macht-euch-die-Erde-Untertan-Haltung, die die Bibel und Descartes proklamierten." auch ist, es wäre wesentlich wichtiger die Bibel Forderung "Seid fruchtb
(1.Mose 1:28: Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.) Besonders weitsichtig erscheint mir diese Forderung nicht.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
Weltuntergangsprophezeiungen zu gesellschaftlichen Veränderungen zu benutzen, ist nichts neues. Paulus hat das, dank Jesu Vorarbeit, auch erfolgreich getan.
Mal sehen, was dieses Mal passiert.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
wenn die Menschheit überleben will, muß sie sich vom Wirtschaftswachstum und
vom Bevölkerungswachstum verabschieden.
Viele Grüße
Arno Gebauer