"Zahlen sind ein Schlüssel zur Welt". Wenn ein Universitätsprofessor dies feststellt, sollte es stimmen. Oder doch nicht? Laut Umfragen ist Mathematik das bei weitem unbeliebteste Fach bei Schülern, und über 80 Prozent der Erwachsenen gestehen, mit mathematischen Fragen nicht oder nur sehr schwer zurechtzukommen. Der renommierte, vielfach ausgezeichnete Mathematiker der Universität Gießen, Albrecht Beutelspacher, will dies ändern; auf 208 Seiten führt er die Leserinnen und Leser auf kurzweilig spannende Weise durch die Welt der Zahlen. Er stellt Fragen und gibt Antworten zu den spezifischen Bedeutungen und Charakteristika von Zahlen und mathematischen Funktionen, er erzählt dazu Geschichte und Geschichten und erklärt nebenbei auch ihre kulturgeschichtliche Bedeutung und ihren alltäglichen Gebrauch.
Das Inhaltsverzeichnis, beginnend bei der Zahl 1 ("Es kann nur eine geben"), beschreibt in den Überschriften bereits die Rollen, die Zahlen in ihrer individuellen Bedeutung beziehungsweise als Beitrag zur Lösung praktischer Probleme spielen; so ist zum Beispiel 2 "Die Zahl, die den Unterschied macht", 3 "Die erste Ganzheit", 4 "Die Zahl der Orientierung", 5 "Die Zahl der Natur" und so weiter. Neben den jeweiligen Zahlen werden dazu passende Themen behandelt wie zum Beispiel Binär- und Dreieckszahlen, vollkommene und irrationale Zahlen, Pascalsches Dreieck, platonische Körper, der "Goldene Schnitt", "das Imaginäre" und – last not least – die Unendlichkeit, wobei auch ungelösten mathematischen Problemen Raum eingeräumt wird.
Aus der Vielzahl mathematischer Beispiele einige Kostproben:
- Das Fünfeck (Pentagramm) besitzt große geistesgeschichtliche Bedeutung, weil an ihm durch die Pythagoreer (Hippasa um 500 v. u. Z.) eine irrationale Zahl entdeckt wurde.
- Anhand der Zahl 7 wird die Bedeutung von Primzahlen als wichtigste natürliche Zahlen erklärt.
- Für Platon war die Tatsache, dass es nur fünf reguläre Körper (Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Ikosaeder, Dodekaeder) gibt, so bemerkenswert, dass er diese Körper mit den antiken Elementen (Feuer, Erde, Luft, Wasser, Universum) identifizierte; sie werden "platonische Körper" genannt.
- Die "Neunerprobe" als Test auf die Korrektheit einer Addition oder Multiplikation (von Fibonacci beschrieben und von Adam Ries populär gemacht) wird anhand von Beispielen demonstriert.
- Die Null als "Symbol für Nichts" erfährt geschichtliche Würdigung und wird in ihrer Bedeutung in den Stellenwertsystemen ausführlich dargestellt. In Europa via Fibonacci im Jahr 1202 angekommen, hat sie sich im Dezimalsystem 1522 durch Adam Ries durchgesetzt, wobei die Zahl 10, an der sich die Zahlensysteme fast aller Kulturen seit Babylon orientieren, eine wichtige Grundlage bildete.
- "Im Pascalschen Dreieck, als Anordnung von Zahlen, die sich fast von selbst ergibt, lassen sich viele Geheimnisse entdecken", der Autor verblüfft mit spannenden Beispielen.
- "Hochzusammengesetzte" Zahlen wie die 12, die in der Geometrie prominent im Dodekaeder – von Platon mit dem Universum identifiziert – auftaucht, führen über den "genialsten Mathematiker aller Zeiten" – Srinivasa Ramanujan (1887–1920) – zu der nach ihm benannten Zahl 1.729 als kleinste Zahl, die man auf zwei verschiedene Weisen als Summe von zwei dritten Potenzen schreiben kann.
- Die im Buchtitel vorkommende "wilde 13" wurde und wird von Triskaidekaphobikern (zum Beispiel Arnold Schönberg) als Unglücksbringerin gefürchtet, sie verfügt als Primzahl 13=12+1 auch über besondere Eigenschaften, die schon in biblischen Berichten eine Rolle spielten und zum Beispiel auch in der Biologie (erläutert an Zikaden, die in einem 13-jährigen Rhythmus erscheinen) bei der Abwehr von Fressfeinden Bedeutung besitzen.
- Die Zahl 14 findet sich bei Johann Sebastian "B+A+C+H" in vielerlei Formen, nicht zuletzt in der "Kunst der Fuge".
Die im Buch enthaltene Liste besonderer Zahlen mit rechnerischen Beispielen und dazugehörenden anekdotischen Begebenheiten ist lang und erhellend. Dazu gehören auch die Gauß-Zahl 17 und die Fibonacci-Zahlen als Naturphänomene sowie die paradoxe Geburtstagszahl 23, die gemeinsam mit 28 auch im "Biorhythmus" eine Rolle spielt. Die Zahl 42 "als Antwort auf alle Fragen" bei Douglas Adams, die "beste Zahl 60", die vor 4.000 Jahren bei der Erfindung des Stellenwertsystems in Mesopotamien wichtig war und die Dreieckszahl 153, die, wie auch 666 als Zahl des Tieres, bereits in der Bibel auftaucht, werden ebenso erläutert wie auch die Cliffhanger-Zahl 1.001 und die Zahl 1.679 fürs "Extraterrestrische". 65.537 als bisher bekannte größte Primzahl und 5,607.249 als letzte Zahl, die Roman Opalka am 6. August 2011 gemalt hatte, und damit zu einer Kultfigur wurde, kommen ebenso zur Sprache wie die scheinbaren Paradoxien negativer Zahlen (beginnend mit -1 als "absurde Zahl").
Ägyptische Mathematiker konnten bereits vor über 4.000 Jahren Bruchzahlen darstellen, die Entdeckung der Dezimalbrüche erfolgte allerdings erst 1585 durch den flämischen Buchhalter Simon Stevin, der damit neue mathematische Horizonte erschloss. Große Bedeutung besitzen auch die Quadratwurzel aus 2 als "irrationale Zahl par excellence" und die dritte Wurzel aus 2 in der analytischen Geometrie mit der "Verdoppelung des Würfels". Letzteres, auch "Delisches Problem" genannt, gehört mit der "Quadratur des Kreises" und der "Dreiteilung des Winkels" zu den berühmten drei ungelösten Problemen der antiken Mathematik, wobei der Autor schlüssig und spannend erläutert, warum diese nach wie vor unlösbar sind.
Weitere sehr bemerkenswerte Kapitel des Buches bilden die Ausführungen zum "Goldenen Schnitt", zur "geheimnisvollen Transzendenten" Kreiszahl Pi und zur von Leonhard Euler gefundenen, irrationalen, transzendenten, reellen Zahl e ("Zahl des exponentiellen Wachstums") als Basis des natürlichen Logarithmus und der (natürlichen) Exponentialfunktion. Kapitel zur "Eulerschen Identität" i ("Ist das Imaginäre vorstellbar?") und zur Unendlichkeit ("Größer als alles"), die in der Mathematik nur als Frage im Plural gestellt werden kann und zu den Rechenregeln einer "transfiniten Arithmetik" führt, bilden den Abschluss interessanter Erläuterungen, die den Lesern auch einiges abverlangen.
Mit "Null, unendlich und die wilde 13" legt Albrecht Beutelspacher ein Buch vor, das mit Humor und grundlegendem Wissen weitgespannte Einsichten in die Welt der Zahlen, beziehungsweise der Mathematik mit ihren wichtigsten Konstanten, bietet. Querverweise zu Natur und Technik bis hin zur Philosophie, garniert mit zahlreichen Beispielen, die allerdings von Nichtmathematikern nicht immer leicht nachzuvollziehen sind, ergänzen die Ausführungen und widerlegen das Vorurteil, Mathematik sei "trockene Wissenschaft". Die Ankündigung am Einband und im Vorwort des Buches, dass sich die Lektüre "ganz ohne mathematische Vorkenntnisse erschließt", ist für "Normalverbraucher" euphemistisch übertrieben; mit solidem Grundwissen und vor allem mit der Bereitschaft, Hirnschmalz zu investieren, kann das Buch jedoch Liebe zur Mathematik wecken beziehungsweise bereits vorhandenes mathematisches Wissen vertiefen und damit zusammenhängende wichtige Erkenntnisse vermitteln.
Albrecht Beutelspacher, Null, unendlich und die wilde 13 – Die wichtigsten Zahlen und ihre Geschichten, © Verlag C.H. Beck, München, 2020, ISBN 978-3-406-74967-4, 18,00 Euro (eBook 12,99 Euro)
10 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Gerfried; hört sich toll an. Bin ja selbst ein Fan von e, Pi und Goldenem Schnitt...
Andreas Scholz am Permanenter Link
mit pi hab ich ein problem. von 3 mathematikern habe ich keine mich befriedigende antwort bekommen.
der umfang eines kreises ist ja U = pi * d. so wenn jetzt d = 1 ist dann U = pi.
wenn mann U jetzt aber abrollt, dann ist diese strecke endlich, gibt also einen punkt auf dem zahlenstrahl. Pi hat aber eine unendliche zahl von ziffern hinter dem komma und kann deshalb nicht auf dem zahlenstrahl verortet werden.
U = endlich genau. Pi <> endlich genau. aber U = Pi.
bin in der zwischenzeit wieder soweit, dass ich schlafen kann. :-)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Freut mich, dass du wieder schlafen kannst; dann scheint das 'Problem' ja gelöst zu sein...
Andreas Scholz am Permanenter Link
in der tat, in der tat. also ich habe mir das buch gekauft und da gibt es ein kapitel nur über pi. darin kann man auch lernen, dass die nasa mit 15 nachkommastellen für pi rechnet.
die antwort auf mein problem ist, dass es NIE stimmt, wenn man pi in eine Gleichung einsetzt. Die Begründung ist, dass pi als transzendente zahl keiner gleichung genügt.
U = pi * d ist also ersten kappes und 2. trotzdem alttagstauglich.
was es alles gibt. das gute ist jetzt nicht nur, das ich wieder ruhig schlafen kann, sondern, noch besser, dass ich in diskussionen mit mathematikern, den klugscheisse raushängen lassen kann.
:-)
Michael Ganß am Permanenter Link
65537 die größte bekannte Primzahl? Schon 1588 war 131071 bekannt, Stand heute ist es 2^82.589.933 − 1, s. https://en.wikipedia.org/wiki/Largest_known_prime_number
Rene Hartmann am Permanenter Link
Gemeint ist wohl eher, dass 65537 die größte bekannte Fermat-Primzahl ist.
Gerfried Pongratz am Permanenter Link
So ist es, sorry, dass mir Pierre de Fermat (1607 - 1665) textlich "unter den Tisch gerutscht" ist! 65 537 ist die größte Primzahl der Form 2^k + 1, d.h. 2^16 + 1.
Michael Ganß am Permanenter Link
Ah ok, danke für den Hinweis.
Rudi Knoth am Permanenter Link
Ein interessanter Artikel. Alelrdings sollte man daran denken, daß Mathematik nicht nur Zahlen und Rechnen mit Zahlen ist. Hier in Deutschland gilt Unwissenheit in Mathematik als nicht so schlimm.
Gerfried Pongratz am Permanenter Link
Das Buch bietet viel mehr als Zahlen und Rechnen mit Zahlen, ich habe in aller Kürze auch darauf hingewiesen.