Fritz Bauer und die CDU

Der posthume Demokrat

Vor 55 Jahren, am 1. Juli 1968, starb Fritz Bauer. Wie kein anderer Jurist in der Bundesrepublik hatte er als hessischer Generalstaatsanwalt nach dem Krieg die NS-Verbrechen verfolgt. Dafür wurde er von vielen bekämpft und geschmäht – vor allem von der CDU. Ende des letzten Jahres hat Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) ihn posthum mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille geehrt. Fritz Bauer konnte sich dagegen nicht mehr wehren.

Jährlich am Verfassungstag des Landes Hessen, dem 1. Dezember, wird im Rahmen eines Festakts die Wilhelm-Leuschner-Medaille verliehen. Wer sie bekommt, darüber entscheidet der hessische Ministerpräsident. Die Auszeichnung ist nach Wilhelm Leuschner (1890–1944) benannt, dem früheren hessischen Innenminister. Er zählt zu den bekanntesten Persönlichkeiten des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Schon in den 1930er Jahren trug Leuschner maßgeblich dazu bei, den Widerstand zu organisieren. Im Anschluss an das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Leuschner zum Tode verurteilt und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Zu seinem 20. Todestag, am 29. September 1964, verlieh der damalige hessische Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) erstmals die nach Wilhelm Leuschner benannte Medaille. Seither wird Jahr für Jahr eine Persönlichkeit ausgezeichnet, "die sich aus dem Geist Wilhelm Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft und ihre Einrichtungen erworben hat".

Wer einen Blick auf die lange Geehrten-Liste wirft, findet ehrenwerte Namen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, freilich auch einige, deren demokratische Verdienste nicht unumstritten sind. Beispielsweise Roland Koch, ehemals CDU-Ministerpräsident in Hessen, der einst mit einer schäbigen Kampagne gegen junge Ausländer Stimmung im Wahlkampf machte, was ihm zwar wenig nutzte, doch vielen als populistisches Schurkenstück im Gedächtnis blieb. Und war Koch nicht auch Vorsitzender einer christdemokratischen Schwarze-Kassen-Partei, die Millionen-Zuwendungen – die in Wirklichkeit aus schwarzen Auslandskonten der CDU stammten – als "Vermächtnisse von Juden aus Europa" umetikettieren wollte? Als die dreiste Legende im Spenden-Sumpf versank, inszenierte sich der CDU-Mann als "brutalstmöglicher Aufklärer". Eine demokratieverachtende Posse.

Zur Causa Koch hätte Fritz Bauer ganz bestimmt eine Meinung gehabt. Sein Name findet sich seit Ende letzten Jahres ebenfalls auf der Preisträger-Liste. Hessens aktueller Ministerpräsident Boris Rhein hat den ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalt posthum geehrt. Der forsche CDU-Politiker lobte den 1968 verstorbenen Bauer als einen "Kämpfer für Humanität und Demokratie mit Hingabe, Ausdauer und Leidenschaft für eine freie Gesellschaft". Eine überfällige Anerkennung – doch mit schalem Beigeschmack: Es war Rheins Partei, die Bauer viele Jahre das Leben schwer gemacht, ihn geschmäht und bekämpft hat.

Als Ketzer geächtet, bekämpft und bedroht

Fritz Bauer, ein Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, gehörte zu den wenigen unbelasteten Juristen, die in der jungen Bundesrepublik eine Führungsposition einnahmen und der nichts so hasste wie die gängigen Verteidigungs- und Verharmlosungsformeln der Nazi-Vergangenheit. Bauer war der personifizierte Gegenpart der konservativen Adenauer-Juristen, die nur wenig Neigung zeigten, ehemalige NS-Täter zur Verantwortung zu ziehen, zumal dort bekanntlich eine besonders starke personelle Kontinuität zur NS-Zeit gegeben war. Die Bereitschaft, in NS-Strafsachen zu ermitteln und zu handeln, ging nahezu gegen null. Damit war Bauer nicht einverstanden. Er erkannte klarsichtig, dass der NS-Staat kein Betriebsunfall der Geschichte war und wies auf die geschichtlich gewachsenen Strukturen und Mentalitäten hin, die den NS-Verbrechen so sehr entgegenkamen und die aufzubrechen mehr erfordern würde als Gerichtsprozesse. Er setzte die Aufhebung der Verjährungsfrist für NS-Morde durch; ohne ihn hätte es 1963 den großen Ausschwitz-Prozess nicht gegeben.

Damit handelte er sich nicht nur den Zorn konservativer Kreise ein. Bauer wurde gemieden, verunglimpft und bedroht. In der Nachkriegsjustiz galt er vielen als Ketzer. In der hessischen CDU, in der Hardliner wie Alfred Dregger und Manfred Kanther jahrzehntelang das politische Weltbild vorgaben, galt Bauer beinahe schon als Staatsfeind. Die Schmähungen steigerten sich noch, nachdem es ihm gegen starke Widerstände gelungen war, die Frankfurter Auschwitzprozesse gegen einstige Bewacher des Vernichtungslagers tatsächlich auf den Weg zu bringen. Die Prozesse erfüllten in ihrer Durchführung und in ihren Ergebnissen ein tieferes Anliegen Bauers:

"Wenn etwas befohlen wird, sei es Gesetz oder Befehl, was rechtswidrig ist, was also im Widerspruch steht mit den Zehn Geboten, dann musst Du 'Nein' sagen! Es bedarf Mut und Courage in jeder Richtung gegenüber dem äußeren Feind. Man hat völlig übersehen, dass die Zivilcourage, der Mut vor dem Feind im eigenen Volk genauso groß, wahrscheinlich größer ist – und nicht weniger verlangt wird. Dass es ehrenhaft ist, dass es Pflicht des Einzelnen ist, auch in seinem eigenen Staat für das Recht zu sorgen. Und deswegen ist das A und O dieser Prozesse zu sagen: Ihr hättet 'Nein' sagen müssen!"

Bauer zwang die Deutschen zum Hinsehen. Ein Volk, dass sich mühte, das zu vergessen, was es verschwieg: seine Bereitschaft zur Teilnahme an einem System der Barbarei. Aus der Politik gab es keine zwingenden Gesetzesvorgaben. Unter diesem Eindruck zeigte vor allem die Justiz nur wenig Neigung, ehemalige NS-Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die Nichtverfolgung von NS-Verbrechen: eine skandalöse, jahrzehntelange Verweigerung von Strafverfolgung, eine konsequente Strafvereitelung im Amt. Bauer wollte sich damit nicht abfinden.

Gegen die Integration der Täter

Geboren 1903 in Stuttgart, war Bauer einer der wenigen Unbelasteten im Justizapparat der BRD. 1930 wurde er mit 26 Jahren jüngster Amtsrichter Deutschlands. 1933 kam er nach der Machtübernahme der Nazis in Haft. 1936 floh er nach Dänemark, später nach Schweden. Mit Willy Brandt gründete er dort eine Exil-Zeitschrift. 1949 kehrte Bauer zurück, um ein demokratisches Justizwesen mitaufzubauen. Er wurde Generalstaatsanwalt in Niedersachsen, 1956 holte ihn Hessens Regierungschef August Zinn in dieser Funktion nach Frankfurt. Hier ließ er von seinen Mitarbeitern über 1.000 Zeugen vernehmen und bereitete den Auschwitz-Prozess gegen die SS-Wachmannschaften vor. Als oberster Staatsanwalt in Hessen hatte er das Verfahren bundesweit an sich gezogen – gegen alle Widerstände. Er musste sich mit Richtern und Staatsanwälten aus der Nazi-Zeit herumschlagen, die nach 1945 weiter im Staatsdienst blieben und oft seine Arbeit sabotierten. "Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland", beschrieb er später einmal seine Lage in einem Fernseh-Interview.

Dass Fritz Bauer schon früh die Rolle eines Außenseiters innehatte, zeichnete sich bereits im September 1949 ab, als Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung sagte, man solle in Deutschland "Vergangenes vergangen sein lassen" und damit auch eine Amnestie für NS-Täter meinte. Adenauers Politik hatte den Aufbau demokratischer Institutionen und eine Demokratisierung der Gesellschaft durch stillschweigende Integration der ehemaligen Anhänger, Mitläufer und auch der Täter des Nationalsozialismus zum Ziel. Nicht nur im konservativen Juristen-Milieu galt der hessische Generalstaatsanwalt als Störenfried, als eine umstrittene, ja verhasste Figur. Politisch war der furchtlose Jurist Bauer weiterhin enormen Widerständen ausgesetzt. Vor allem die CDU brachte sich gegen ihn in Stellung.

Im Oktober 1960 hielt Fritz Bauer im Rahmen einer vom Landesjugendring Rheinland-Pfalz veranstalteten Tagung einen Vortrag über die "Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns", in dem er sich mit den sozialen Ursachen des Nationalsozialismus beschäftigte. Bauer ging der Frage nach, wie es möglich geworden war, dass Menschen andere Menschen ausgrenzten, verfolgten und ermordeten. Ein Vorschlag des rheinland-pfälzischen Landesjugendrings, den Text Oberstufengymnasien und Berufsschulen als Broschüre zur Verfügung zu stellen, wurde vom Kultusministerium des Bundeslandes abgelehnt. Kultusminister Eduard Orth (CDU) verteidigte seine Entscheidung mit der Begründung, Bauers Text produziere "Fehlurteile" über die deutsche Geschichte. Die Ablehnung wurde 1962 auch von einem jungen, ehrgeizigen CDU-Abgeordneten begrüßt, der monierte, der zeitliche Abstand vom Nationalsozialismus sei zu gering, um sich darüber ein abschließendes Urteil bilden zu können. Sein Name: Helmut Kohl.

Im hessischen Landtag forderten Abgeordnete der CDU im April 1963 gar Bauers Ablösung als Generalstaatsanwalt, weil er im Ausland schlecht über Deutschland rede. Einige machten ihm sogar seinen Status als NS-Verfolgter und Emigrant zum Vorwurf, weil er dadurch "befangen und unsachlich" sei. Eine perfide, abstruse Argumentation.

Späte Würdigung, überfällige Rehabilitierung

Mitte der 1960er Jahre trübte sich Bauers Stimmung immer mehr ein. Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner Kritik an den alten Nazi-Seilschaften erhielt er Schmähbriefe und Morddrohungen. An zwei seiner Freunde schrieb er: "Die Strafanzeigen hageln, alles ist gegen mich verschworen." Bauer kämpfte einen mühsamen, einsamen Kampf: Gegen die Verdrängung und das Vergessen, gegen Ignoranz und Gleichgültigkeit. Neben seinem Engagement für die Aufarbeitung der NS-Zeit war er einer der bedeutendsten Vorkämpfer für Strafrechts- und Strafvollzugsreformen und Resozialisierung. An den Gebäuden der Landgerichte Braunschweig und Frankfurt wurde auf sein Betreiben als Inschrift der Anfang des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" angebracht.

Es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis die Partei, die ihn einst als Gegner geschmäht und bekämpft hatte, ihn im Dezember 2022 als demokratischen Aufklärer würdigt. Eine "Schlüsselfigur der jungen deutschen Demokratie" nennt CDU-Ministerpräsident Rhein nun Bauer bei der Verleihung auf dem Campus Westend der Frankfurter Goethe-Universität. "Ohne Fritz Bauer wäre unsere Geschichtsaufarbeitung nicht die, die sie heute ist". Eine späte, eine überfällige Rehabilitierung.

Wir wissen nicht, wie Fritz Bauer auf diese späte Form der Würdigung reagiert hätte. Vielleicht hätte er die Annahme der Medaille verweigert und stattdessen dem Ministerpräsidenten vorgeschlagen, couragierte Menschen der Gegenwart auszuzeichnen, die sich in Hessen etwa bei der Aufklärung des Skandals um den "NSU 2.0" verdient gemacht und dabei einen hohen Preis gezahlt haben. Es hätte zu ihm gepasst.

Nun also steht sein Name auf der langen Liste der Preisträger und es gibt nicht wenige, die dem CDU-Chef unterstellen, die posthume Auszeichnung Bauers sei ein ganz und gar eigennütziger Coup, sich als überparteilicher Erneuerer und Versöhner zu inszenieren. Im Oktober wird in Hessen gewählt. Freundlichere Stimmen verweisen darauf, die Preisträger-Wahl konterkariere die jahrzehntelange brüchige Erzählung, Bauer sei ein Anti-Demokrat gewesen. Das immerhin verdiene Respekt.

Apropos Preisträger: 2015 bekam die Medaille Heinz Riesenhuber, der unter Helmut Kohl Bundesforschungsminister war und Fritz Bauer einmal persönlich begegnet ist. Die beiden hatten in den 1960er Jahren einen gemeinsamen TV-Auftritt in der HR-Talkshow "Kellerclub", wo Bauer mit Studierenden über den Umgang mit NS-Verbrechern diskutierte. Der junge Heinz Riesenhuber, damals in der Jungen Union, hielt Bauer entgegen, dass doch zum Teil auch einfach nur brave Bürger auf bestimmte Posten gestellt worden seien und diese ausgefüllt hätten. Das machte Fritz Bauer sprachlos. Es war genau die rechtfertigende Denkweise, gegen die er Zeit seines Lebens gekämpft hat.

In der Nacht zum 1. Juli 1968 wurde Fritz Bauer tot in der Badewanne seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Beigesetzt wurde er in Göteborg im Grab seiner Eltern.

Mehr Information auf fritz-bauer-institut.de

Lese-Tipp: Ronen Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, München 2015, 352 Seiten

Film-Tipp: Der Staat gegen Fritz Bauer, Regie: Lars Kraume, u.a. mit Burghart Klaußner, Deutschland 2016, 104 min

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