„Der Segen der Intoleranz“

(hpd) Vor wenigen Tagen erschien im Alibri Verlag eine Arbeit, die sich mit dem Fundamentalismus insbesondere evangelikaler Provenienz auseinandersetzt. hpd sprach mit dem Autor, Simon Schneeberger, über seinen „Fundamentalismus für Einsteiger“.

hpd: Herr Schneeberger, wo liegen die Vorzüge des Fundamentalismus?

Schneeberger: Der Fundamentalismus besticht durch seine Effizienz. Ein Blick in eine „Heilige Schrift“ genügt, um auf so gut wie alle Fragen eine Antwort zu erhalten. Er bietet dem Menschen Konzepte, die das Leben vereinfachen. Das ist natürlich nur dank absolut gesetzten Gewissheiten und Glaubensüberzeugungen möglich. Neben diesen „Wahrheiten“, welche für die Gläubigen nicht verhandelbar sind, werden keine alternativen Modelle geduldet, die Welt zu deuten oder das Alltagsleben zu gestalten. Es ist doch toll, wenn man zum Beispiel auf die Frage, wie alt die Welt sei, sofort mit absoluter Gewissheit „6000 Jahre!“ antworten kann, anstatt sich auf wissenschaftliche Diskussionen einlassen zu müssen. Oder wenn man genau weiß, wie man sich zu kleiden hat, damit man Gott gefällt. Und wie beseligend ist das Gefühl zu wissen, auf dem richtigen Weg zu sein und sich Un- und Falschgläubigen gegenüber überlegen zu fühlen. Fundamentalismus verdankt seinen Erfolg dem „Segen der Intoleranz“.

hpd: Was meinen Sie mit dem „Segen der Intoleranz?“

Schneeberger: Natürlich ist das bewusst provokativ formuliert. Aber ich denke tatsächlich, dass es sich lohnen würde, die religiöse Intoleranz mehr unter dem Aspekt ihrer Attraktivität zu erforschen, als sie bloß als Nebenprodukt dogmatischen Denkens zur Kenntnis zu nehmen. Sie bietet ja nicht nur Orientierung. Sie trägt zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls bei, lässt ein Gefühl moralischer Überlegenheit entstehen und vereinfacht die Verarbeitung von Angst und Aggressionen. Insofern ist Intoleranz wirklich ein Segen. Der Gläubige fühlt sich zudem durch seine Überzeugungen auch zur Intoleranz legitimiert, denn wenn er tolerant wäre und z.B. andere Religionen als gleichwertige Alternativen anerkennen würde, wäre das Verrat an seinem Glauben und letztlich an Gott.


hpd: Welche fundamentalistische Richtung würden Sie dem modernen Europa empfehlen?

Schneeberger: Ich lege jedem Einsteiger die protestantische Variante des Fundamentalismus ans Herz. Sie kommt wie viele andere Trends aus den USA, stammt also aus dem westlichen Kulturkreis und eignet sich damit bestens für Europäer, die sich für Fundamentalismus begeistern können. Der Evangelikalismus hat viel zu bieten. Er befähigt jeden, die Entstehung der Welt mitsamt Tier und Mensch zu erklären oder darzulegen, dass Dinosaurier noch vor ein paar tausend Jahren auf der Erde lebten. Er macht dem Gläubigen Hoffnung, jeden Moment „entrückt“ zu werden und in den Himmel aufzusteigen. Er hat Konzepte, dank derer der Gläubige die „Globale Erwärmung“ oder die ganze Problematik der sich verknappenden Ressourcen spielend als Lügen antireligiöser Kräfte entlarven kann. Mit anderen Worten: Es ist eine sehr kreative Form des Fundamentalismus.


hpd: Spass beiseite. Was war Ihre Moivation, sich mit Fundamentalismus auseinander zu setzen?

Mich stört seit langem die unehrliche Diskussion zum Thema. Religiöser Fundamentalismus wird in der öffentlichen Debatte oft so diskutiert, als ob es sich um etwas handle, das über eine Religion herfällt, diese infiziert und in der Folge pervertiert. Es wird alles getan, um die Sache so darzustellen, als ob die Grundlage des Fundamentalismus nicht in der Religion zu finden sei, sondern außerhalb – als ob sich auf einmal dunkle Mächte mit schlechten Absichten ihrer bemächtigten. Dabei ist es ja klar, dass die Religionen mit ihren Heiligen Schriften und ihrer Dogmatik die Grundlage des Fundamentalismus bilden. In der öffentlichen Debatte kann aber nicht genug betont werden, wie segensreich doch Religion sei und dass sie immer nur das Gute wolle. Kritik an Religion ist tabu. Kritik an Fundamentalismus ist hingegen erlaubt. Diese paradoxe Situation, die religiösen Lehren letztlich nicht als Grundlagen des Fundamentalismus anerkennen zu wollen, gehört im Zeitalter der politischen Korrektheit zum guten Ton. Lieber werden politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren ins Spiel gebracht, welche die Ursache sein sollen, dass dieses angeblich so harmlose Pflänzchen „Religion“ sich auf scheinbar magische Weise in einen Hort des aggressivsten Extremismus verwandelt.
Meine feste Überzeugung ist, dass die Fundamentalismusdebatte keinen Schritt weiterkommt, solange sich nicht die Einsicht durchsetzt, dass jede Kritik am Fundamentalismus in Religionskritik grundsätzlicher Art einmünden muss.

hpd: Warum haben Sie dafür die Form der polemischen Überspitzung gewählt?

Schneeberger: Es ist doch absurd, wie sich unsere Gesellschaft durch die „verletzten religiösen Gefühle“ von Extremisten einschüchtern lässt. Heute brauchen sich religiöse Hardliner bloß auf Gott zu berufen und sie können sicher sein, dass man ihnen mit viel Verständnis entgegenkommt – egal, wie intolerant ihre Forderungen auch sein mögen. Die Reaktion Europas auf den religiösen Fundamentalismus, der sich hier ja vor allem in der Gestalt des Islams zeigt, ist sehr beunruhigend. Die Europäer meinen, sich Intoleranten gegenüber tolerant zeigen zu müssen. Religiöser Intoleranz, welche sich weder mit den Menschenrechten noch mit Pluralismus und Freiheit verträgt, wird auffallend zurückhaltend, ja wohlwollend begegnet, denn man scheint sich mittlerweile einig zu sein, dass man das Thema „Fundamentalismus“ unter dem Titel „Respekt vor kulturellen Traditionen“ abhandeln muss. Somit wird jede Islamkritik sofort als fremdenfeindliche Aggression qualifiziert. Es scheint heute so zu sein, dass Sie, wenn Sie in der öffentlichen Debatte punkten wollen, Partei für unaufgeklärte Religion ergreifen und am Henryk Broder- und Necla Kelek-Bashing teilnehmen müssen. Ich finde das alles alarmierend. Für mich schreit diese Entwicklung nach einer polemischen Reaktion.

hpd: Sehen Sie spezifische Vorteile der Polemik gegenüber dem klassichen Sachbuch?

Schneeberger: Die Polemik bedient sich ironischer und satirischer Elemente. Im Unterschied zum klassischen Sachbuch ist sie dadurch ein Stück weit subversiver. Sie ist eine Scharfzeichnung des Themas mit bewusst provokativen Akzentuierungen. Gleichzeitig bleibt sie aber immer bei den Tatsachen. Die Provokation besteht dabei in der schonungslosen Darstellung des Themas. Im Fall des Fundamentalismus heißt das, auch über die extremsten Positionen (sprich: Glaubensüberzeugungen) aufzuklären und zu zeigen, dass diese aus den „Heiligen Schriften“ abgeleitet werden können. Das ist gerade auch deshalb wichtig, weil man einsehen sollte, dass man auch sogenannt „moderaten“ Formen der Religion immer mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen muss, denn es handelt sich bei ihnen nur um gezähmte Varianten, die sich dank Aufklärung, kulturellen und zivilisatorischen Fortschritten von den intolerantesten ihrer Dogmen verabschiedet haben. Damit sind diese aber nicht verschwunden, sie sind bloß deaktiviert. Dass sie jederzeit reaktiviert werden können, beweist der aktuelle Boom des Fundamentalismus.

hpd: Worin sehen Sie die Gefahren des Fundamentalismus?

Schneeberger: Der Fundamentalismus steht im Widerspruch zu zentralen Werten und Überzeugungen der Demokratie. Menschenrechte, Pluralismus, persönliche Freiheit – mit religiösem Extremismus verträgt sich das alles nicht. Fundamentalismus hat somit das Potenzial, diese Werte zu erodieren. Perverserweise berufen sich Fundamentalisten natürlich gerade auf die Religionsfreiheit, wenn sie uns mit den Zumutungen ihres intoleranten Lebensstils vor den Kopf stoßen. Sie nutzen die Freiheiten, die ihnen unsere Gesellschaft ermöglicht, um ihr Bekenntnis zur Unfreiheit und die Unterwerfung unter religiöse Gesetze zu propagieren.

hpd: Wenn wir den christlichen mit dem islamischen Fundamentalismus vergleichen: Wer wird das Rennen im 21. Jahrhundert machen?

Schneeberger: Der islamische Fundamentalismus ist im Moment natürlich mit Abstand der erfolgreichste. Aber der christliche Fundamentalismus holt zahlenmäßig stark auf und vermag Millionen von Menschen zu rekrutieren. Er wächst weniger durch Reproduktion als durch Konversion. Evangelikalen und vor allem den Pfingstlern gelingt es, Menschen in unterschiedlichsten Kulturen für ihre Sache zu gewinnen. Der aktuell zu beobachtende Boom des Pfingstlertums könnte durchaus dazu führen, dass der christliche Fundamentalismus zum islamischen stark aufholen wird. Welche Form des religiösen Extremismus in den kommenden Jahrzehnten die zahlenmäßig größte Gruppe bilden wird, ist also noch nicht ausgemacht. Zur Zeit scheint das islamische Eiferertum klar an der Spitze zu stehen. Andererseits wird das Gewaltpotenzial des christlichen Fundamentalismus wohl weiterhin geringer sein als bei der islamischen Variante.

hpd: Wie sollte sich die Gesellschaft gegen fundamentalistische Strömungen zur Wehr setzen?

Schneeberger: Jedes westliche, aufgeklärte Land, welches ein Interesse daran hat, seine Gesellschaftsordnung zu bewahren, muss sich kompromisslos zu den Werten der Aufklärung bekennen und darf niemals davon abrücken. Es bedarf dringend eines klaren Stellungsbezugs gegen die „Werte der Intoleranz“ der Fundamentalisten. Was uns dabei aber häufig im Weg steht, ist die Scheu vor Religionskritik. Niemand will sich die Finger verbrennen. Fatal im Kampf gegen den Fundamentalismus ist ein mangelndes Selbstbewusstsein, zu einer eindeutig säkularen Politik zu stehen.

hpd: Herr Schneeberger, vielen Dank für das Gespräch.

Simon Schneeberger: Fundamentalismus für Einsteiger. Aschaffenburg 2010. 197 Seiten, kartoniert, Euro 14.-, ISBN 978-3-86569-061-6

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.