Flucht, Aufatmen, Hoffen

azadi.jpg

Fotos: F. Navissi

BERLIN. (hpd) Die deutsche Gemeinde der Bahai, United4Iran und einige andere Gruppen luden am letzten Sonntag auf den Pariser Platz zu einer Gedenk- und Solidaritätsveranstaltung für die inhaftierten und verurteilten Bahai in Iran ein.

Es sprachen unter anderem Farin Fakhari, Claudia Roth von den Grünen, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, der iranische Exil-Politiker Mehran Barati sowie Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Am Rande der Veranstaltung sprach der hpd mit drei iranischen Flüchtlingen, die seit einigen Wochen in Berlin zu Hause sind.

Ali K. und Sepehr A. sind seit Mitte Juli in Berlin; Hesam M. traf einige Tage später ein. Allen dreien ist es gelungen, den Iran zu verlassen und in die Türkei zu fliehen.

Sie sind auf Grundlage eines Sondergesetzes, das ähnlich bereits für Flüchtlinge aus dem Irak galt, nach Deutschland gekommen. Alle drei beobachten und kommentieren die Entwicklungen in Iran weiterhin. Sie versuchen, fern ihrer Familie und ihrer Freunde, ein neues Leben aufzubauen.
Inzwischen haben sie die notwendigen Papiere, eine Wohnung und leben sich, soweit möglich, in Berlin ein. Ein starkes Netzwerk engagierter IranerInnen und Deutscher unterstützt sie dabei nach Kräften.
Diese drei jungen Männer sind einige von vielen Hoffnungsträgern, die fliehen mussten - und nicht aufgeben werden, für ihr Land zu kämpfen.

hpd: Wie fühlt Ihr Euch? Fühlt Ihr Euch aufgenommen und angekommen in Berlin?

Ali K.: Eigentlich sprechen zuerst die Älteren, aber ich möchte, dass Hesam anfängt.

Hesam M.: Ich habe hier ein gutes Gefühl. Vor allem geht es mir psychisch inzwischen viel besser als noch vor wenigen Monaten. Langsam komme ich zur Ruhe.

Ali K.: (lächelnd) Ja, auch ich habe hier ein gutes Gefühl. Ich habe das Gefühl, ganz langsam anzukommen.

hpd: Was ist in Deutschland, was ist vor allem in Berlin ganz anders, als Ihr es kennt? Vielleicht auch: als ihr es erwartet habt?

Hesam M.: Die Vorstellung, die ich von Deutschland und von Berlin hatte, war eine völlig andere. Diese Stadt ist multikulturell, es leben viele Menschen aus verschiedenen Nationen hier. Und es werden so viele verschiedene Sprachen gesprochen. Das ist ein überwältigender Eindruck. Berlin wirkt auf mich sehr lebendig. Und es ist für mich überraschend, was auch nachts noch hier möglich und los ist.
Vor allem habe ich den Eindruck, dass die Menschen hier nicht nur an die Arbeit denken, sondern auch an viele andere Dinge.
Allerdings vermute ich, dass Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Städten eine Ausnahme darstellt.


hpd: Wie stellt Ihr Euch Eure Zukunft vor? Welche Hoffnungen habt Ihr?

Ali K.: Ich bin kein Mensch, der in der Zukunft lebt. Ich lebe jetzt. Nur bei meinen politischen Aktivitäten plane ich längerfristiger. Also erst einmal will ich hier richtig ankommen.
Dann ist mein Ziel: ich möchte erst die Möglichkeit nutzen, einen Sprachkurs zu machen. Und daraus dann das Beste machen. Also erst einmal sehr gut Deutsch lernen und dann werde ich sehen, was diese Gesellschaft mir an Möglichkeiten bietet. Und erst anschließend werde ich darüber nachdenken, was ich machen kann.
Aber noch etwas Kleines; etwas, das vielleicht nur wenig wichtig scheint, aber für mich sehr wichtig ist: Sport – neben der Sprachschule. Ich habe inzwischen auch wieder mit dem Training beginnen können.

Hesam M.: Auch ich möchte zuerst einmal die deutsche Sprache sehr gut lernen, obwohl ich glaube, dass es eine sehr schwierige Sprache ist. Dann will ich hier in Deutschland studieren.


hpd: Es gibt wieder eine Welle der Emigration – und es gibt viele „gute Köpfe“, die aus dem Iran weggehen – also der berühmte „Brain-Drain“. Ihr seid ein Teil davon. Was meint ihr, was mit den Menschen geschehen wird, die geflohen sind? Gibt es Gemeinsamkeiten in der derzeitigen, -nennen wir sie der vierten großen Welle der Emigration aus dem Iran?

Hesam M.: (verlegen) Ich bin kein „Kopf“ der Iraner. Du solltest einfach nur nach Iranern fragen.
Es ist eine sehr, sehr schmerzliche Erfahrung: zu erleben, wie die islamische Republik immer wieder, alle paar Jahre wieder, ihre Intellektuellen aus dem Land vertreibt. Sie macht ihnen das Leben regelrecht unerträglich. Es wird eine Stimmung aus Angst und Bedrohung geschaffen. Das geschieht so schon seit 30 Jahren. Die wollen nur Leute behalten, die ihren genehm sind, ihre eigenen Leute.
Diese Wellen, in denen die Leute weggehen und hier im Exil ankommen... das ist auch keine angenehme Situation für die Leute, die in Iran bleiben. So wenig wie für uns.

hpd an den hinzugekommenen Sepehr A.: Darf ich an dich die Frage stellen: War die Tatsache, dass Du Bahai bist, ein Grund für dich, den Iran zu verlassen?

Sepher A.: Natürlich kannst du diese Frage stellen.
Ja, ich bin Bahai. Ich komme aus einer Bahai-Familie. Für Menschen, die aus einer Bahai-Familie kommen, gibt es zusätzlich zu den generellen Verletzungen der Menschenrechte noch zusätzliche. Zum Beispiel dürfen sie nicht studieren, sie dürfen nicht in öffentlichen Verwaltungen arbeiten, nicht Beamte zum Beispiel werden. Vieles Andere mehr ist ihnen zudem verwehrt.
Aber der Grund, weshalb ich aus dem Iran geflohen bin, war meine Arbeit in einer Kommission, die sich um die Menschenrechte kümmert. Und in dem Moment, da ich das Gefühl hatte, dass es zu gefährlich wird, habe ich das Land verlassen.

hpd: Abschließend noch eine Frage an alle drei: Geht ihr davon aus, dass ihr irgendwann wieder zurück in den Iran könnt?

Hesam M.: Ja, ich denke, dass ich in den Iran zurückgehen werde. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Situation dort so verändern wird, dass ich frei in den Iran zurückkehren kann. Aber auch, wenn sich die Situation nicht ändert, werde ich immer in den Iran zurück gehen wollen.

Ali K.: Ich denke nicht darüber nach, ob ich oder ob ich nicht zurückgehen werde. Nicht, dass ich nicht will. Mein Motto ist: die Geschichte wird von den Menschen gemacht. Es sind die Anstrengungen der Menschen, die die Umstände verändern.
Wenn wir Iraner erfolgreich auf eine Demokratisierung des Iran hinarbeiten, dann bedeutet das auch, dass wir zurückgehen können. Ob ich persönlich dabei an Rückkehr denke oder nicht ändert daran nichts.
Denn ich bin aus tiefsten Herzen davon überzeugt, dass es die Menschen sind, die die Geschichte machen. Das ist auch meine Hoffnung.

Sepher A.: Ich kann dazu nur sagen: Ich möchte. Ich liebe den Gedanken, zurückzugehen. Und ich denke, es wird möglich sein.

hpd: Wollt ihr einen Satz auf Deutsch sagen?

Hesam M.: „Ich fühle mich gut.“

Ali K.: „Ich mag nicht Stalinismus. Ich liebe Marxismus.“

Sepher A. (lächelt): „Ich bin optimistisch.“

hpd: Wir danken für das Gespräch.

Für den hpd: F. und S. Navissi, Dolmetscherin: F. Fakhari