(hpd) Der Publizist Felix Wemheuer legt mit “Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf” eine Dokumentation mit Texten zum Thema vor, welche von Lenin und Mao über Landauer und Most bis zur RAF und “Roten Zora” reichen. So informativ der Sammelband insgesamt ist, so hätte man sich doch eine ausführlichere und systematischere Einleitung, aber auch die Aufnahme von aktuellen Texten gewünscht.
Wie hältst Du es mit der Gewalt? Diese veränderte Gretchenfrage hat sich die politische Linke – gemeint ist hier das allgemeine politische Lager, nicht die Partei, die sich so nennt - im Laufe der Geschichte immer wieder gestellt. Dabei nahmen die jeweiligen Akteure in Auffassungen und Handlungen ganz unterschiedliche Positionen ein, welche zwischen den Extrem-Polen des Pazifismus und Terrorismus angesiedelt waren.
Dies macht auch ein Sammelband deutlich: Der Publizist Felix Wemheuer hat ihn unter dem Titel “Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf” herausgegeben. In der Einleitung schreibt er: “Dieses Buch dokumentiert einige der hitzigen Debatten innerhalb der globalen Linken im Zeitraum von den 1880er bis zu den 1980er Jahren um die Frage der Ausübung von Gewalt zur sozialrevolutionären Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse” (S. 7). Dabei definiert Wemheuer den Begriff “Linke”, wie er selbst sagt, “großzügig”, fällt darunter doch für ihn sowohl Martin Luther King wie die “Rote Armee Fraktion” (vgl. S. 7).
Nach diesen Vorbemerkungen begründet er seine Auswahl und Einteilung, wobei von “den revolutionären Zyklen des 20. Jahrhunderts” ausgegangen wird: der Ära von Bürgerkrieg und Revolution 1917 bis 1923, dem Abwehrkampf gegen den Faschismus 1936 bis 1945 sowie den Bauernrevolutionen in der Dritten Welt und den Unruhen in den Metropolen nach 1945.
Die insgesamt 23 Texte finden sich danach eingeteilt in fünf Kapitel: Zunächst geht es um Krieg und Revolution mit Beiträgen u.a. von Lenin und Mao, danach um die Frage des individuellen Terrorismus mit Texten u.a. von Landauer, Luxemburg, Most und Trotzki, dem anschließend um den “Roten Terror” zur Verteidigung der Revolution mit Beiträgen u.a. von Kautsky, Malatesta und Trotzki, darauf folgend um Texte zur Gewalt als Mittel der Befreiung des kolonisierten Menschen und der Afroamerikaner in den USA mit Texten von Cleaver, Fanon und King und schließlich um die “Stadtguerilla” in Form des Linksterrorismus mit Texten u.a. der RAF und “Roten Zora”, aber auch einer Distanzierung von Negt.
Die Dokumentation macht kontroverse Positionen deutlich, wobei es sowohl um eine grundsätzliche wie um eine strategische Einstellung der Gewalt geht. Für letztere steht etwa Luxemburgs Kommentierung eines Attentats auf einen Generalgouverneur im zaristischen Russland: “Es atmet sich förmlich leichter … nachdem eine der abstoßendesten … Bestien des absolutistischen Regimes ein so schnödes Ende gefunden hat und wie ein toller Hund auf dem Straßenpflaster verendet ist” (S. 72). Dann heißt es aber auch: “Die rächende Hand des Terroristen kann die Desorganisation und Demoralisation des Absolutismus … beschleunigen. Den Absolutismus stürzen und die Freiheit verwirklichen kann – mit dem Terror oder ohne den Terror – nur der Massenarm der revolutionären Arbeiterklasse im Zarenreich” (S. 74). Es gab aber auch eindeutige Distanzierungen von Gewalt, selbst von Anarchisten wie etwa Gustav Landauer: “Das ist der Grundirrtum der revolutionären Anarchisten … dass sie glauben: das Ideal der Gewaltlosigkeit mit Gewalt erreichen zu können” (S. 80).
Mit dem Sammelband liegt eine beachtenswerte und reflexionswürdige Dokumentation zum Thema vor. Indessen können auch einige Aspekte kritisiert werden: Wemheuer verwendet den Begriff in der Tat zu großzügig, hier hätte man sich eine genauere Ausdifferenzierung gewünscht, kommt es dann doch zu der absurden Gleichbehandlung von King und RAF. Aber auch der Gewaltbegriff wird selbst nicht näher erläutert. Lediglich die konkreten politischen Rahmenbedingungen differenziert der Herausgeber, wobei auch hier der Unterschied von einer demokratischen und diktatorischen Gesellschaft keine genügende Würdigung findet. Merkwürdig ist auch das Fehlen von bedeutenden Autoren und Texten in dem Kontext des Themas wie etwa von Herbert Marcuse. Und schließlich endet die Dokumentation auch in den 1980er Jahren. Warum keine Stellungnahmen aus der Autonomen-Szene in Deutschland oder Linksterroristen aus Griechenland oder Italien der Gegenwart enthalten sind, erschließt sich angesichts der Aktualität des Themas nicht.
Felix Wemheuer (Hrsg.), Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf, Wien 2014 (Promedia Verlag), 173 S., 12,80 €