FRANKFURT. (hpd) Filmvorführung und anschließende Diskussion mit der Filmemacherin und GBS-Beirätin Ricarda Hinz am 1. Oktober 2010 im Saalbau Bornheim / Frankfurt am Main, im Rahmen der fünften Veranstaltungsreihe der Säkularen Humanisten – Regionalgruppe Rhein-Main des Förderkreises der Giordano Bruno Stiftung (GBS) - in Zusammenarbeit mit DiKOM e.V.
Bericht und Kommentar von Jochen Beck
Fast zwei Jahre nach der ersten Veranstaltung der Frankfurter Säkularen Humanisten hatte man diesmal eine Filmvorführung im Angebot, und erstmals befasste man sich unmittelbar mit dem Werk des streitbaren Kirchenkritikers Karlheinz Deschner.
Der Film „Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner“ ist eine Montage von Interviewausschnitten, die zusammen ein Streitgespräch ergeben, das so nie stattfinden konnte. Er ist bereits 1998 als Diplom-Arbeit der studierten Kommunikationsdesignerin Ricarda Hinz entstanden, wurde aber nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt, da die einschlägigen Staatsverträge die Themen „Religion“ und „Familie“ besonders schützen und hier Kritik nur in Ko-Existenz mit Gegenkritik zulassen. Die Erfüllung dieser Bedingung kann man dem Film meines Erachtens nach ohne Weiteres zusprechen, immerhin tritt hier die Gegenkritik in Gestalt vieler hochrangiger Kirchenvertreter an, darunter sowohl Bischöfe als auch prominente Laien. Ich persönlich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass fundierte Argumente der Gläubigen dem Schnitt zum Opfer gefallen sind.
Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als praktizierender Christ weiß ich nur zu gut, dass die Geistlichen und engagierten Laien nichts Besseres aufzubieten haben. Vielmehr dürften sich die Meisten in den Behauptungen ihrer Glaubensbrüder im Film wiedererkennen. Bei den säkularen Interviewpartnern hingegen ist oft ein Hintergrundwissen präsent, welches die Masse der Gläubigen, aber auch immer wieder die intellektuelle Redlichkeit der Theologen, zutiefst überfordert. Mancher Zuschauer, der sich der Giordano Bruno Stiftung nahe fühlt, konnte dem einem oder anderen Namen erstmals ein Gesicht zuordnen, wie etwa dem Vorstand Herbert Steffen sowie dem Beirat Professor Birnbacher und dem Kurator Professor Hermann Josef Schmidt, beides Philosophen. Unter den Fürsprechern Deschners fanden sich auch die abtrünnigen Theologen Professorin Uta Ranke-Heinemann und Professor Horst Hermann.
In den Interviews bezog man sich ausschließlich auf die „Kriminalgeschichte des Christentums“. Dass Deschner auch in anderen Werken („Und abermals krähte der Hahn“, „Der gefälschte Glaube“) die Glaubwürdigkeit der christlichen Glaubenslehre und ihrer Dogmen kritisch untersucht hat, scheint keinem der Religionsvertreter in dem Film bewusst zu sein. Auffällig war die Unbedarftheit der christlichen Laien im Vergleich zu den Geistlichen. Dieses Gefälle führe ich teilweise auf den Umstand zurück, dass viele Geistliche die Gläubigen durch Desinformation bei Laune halten.
Ich habe einmal erlebt, wie ein katholischer Priester über den Heiligen Thomas Morus anlässlich dessen Kalendertages predigte. Dem Pfarrer war es wohl zu peinlich, der Gemeinde zu erklären, warum jemand lieber den Märtyrertod starb, als sich vom Papst loszusagen. So bekamen die Schäflein zu hören, Thomas Morus wollte nur Gott und nicht den König als Oberhaupt der Kirche anerkennen. Der Priester wusste natürlich, dass Heinrich VIII. nicht Christus als Oberhaupt der Kirche ablösen wollte, sondern nur den Papst als Haupt der Kirche Englands. Der gleiche Pfarrer führte später das Dispensgespräch mit einem mit mir befreundeten Paar. Die evangelische Braut mokierte sich über das katholische Glaubensbekenntnis, wo exklusiv von der „katholischen Kirche“ gesprochen werde und nicht von der „christlichen Kirche“. Der Pfarrer beschwichtigte die junge Dame, indem er darauf hinwies, „katholisch“ bedeute „allgemein“ und es wäre die gesamte Christenheit gemeint. Tatsächlich aber ist für den Katholizismus die Katholische Kirche die alleinige Kirche Jesu Christi. Protestanten sind für sie Christen ohne Kirche, wie Benedikt XVI. erst kürzlich wieder klarstellte.
Wahrscheinlich haben viele Leser schon selbst erlebt, wie Geistliche die niedrige Stellung der Frau im Neuen Testament als einen Fortschritt für die damalige Zeit darstellten. Das ist aber falsch. Die Stellung der Frau war im alten Ägypten am besten, also in einer Hochkultur, die bis weit in die Zeit der Abfassung der Bibel (800 v.u.Z. bis 150 u.Z.) hinein existierte: „Die ägyptische Frau ging einen aufrechten Gang“, heißt es etwa bei dem Rechtshistoriker Uwe Wesel (Geschichte des Rechts). Innerhalb ihrer Klasse war die Frau zivilrechtlich dem Mann fast gleichgestellt. Für eine altägyptische Mädchenbeschneidung gibt es dagegen keinen Beleg. „Erfreue ihr Herz, so lange sie lebt!“, heißt es in einer altägyptischen Weisheitslehre. Also hätte sich bereits das Alte Testament in unmittelbarer Nachbarschaft Inspiration holen können, um humanere Resultate zu liefern. Aber ich fürchte, hier wissen es die christlichen Agitatoren nicht besser. Es zeigt zudem, wie bereitwillig diese ihre Klientel mit ungeprüften falschen Behauptungen abspeisen.
Besonders beschämend ist es auch, wie die Geistlichen immer wieder den Eindruck vermitteln wollen, die Moral an sich sei biblischen Ursprungs. Dabei finden wir die Goldene Regel als Argumentationsmuster bereits in einem 4000 Jahre alten altägyptischen Brief (Tyldesley, Die Töchter der Isis, Seite 38, 1996). Wenn ein Alt-Ägypter bei dem Totengericht die erfüllten Gebote beteuern sollte, musste es heißen: "Ich habe die Hungrigen gesättigt, ..... dem Schifflosen ein Fähre verschafft, .... ". In der Odyssee von Homer (660 v.u.Z) heißt es, zu jemandem, der einen Bettler misshandelt, derselbe könne auch ein verkleideter Gott sein, der die Gesinnung der Menschen prüfen will (XVII, 480 f.). Dass solche sittlichen Urteile ihre Basis letztlich in evolutionär-biologisch gewachsenen, sozialen Instinkten haben, wird heute nur noch von religiösen Fundamentalisten in Abrede gestellt.
Interessanterweise ist es ausgerechnet der greise, inzwischen verstorbene Bischof Hermann Spital von Trier, der einen entscheidenden Hinweis gibt, der gläubigen Zuschauern zu denken geben sollte:
„Ich finde es schlimm, dass die Kirche 200 Jahre gebraucht hat, um zu erkennen, dass diese Gedanken urchristlich sind.“
Hier gibt ein Bischof zu, dass die Menschenrechte eine 200 Jahre alte Wertekonstruktion sind und die Kirche sich bis in die 1960iger Jahre hinein dagegen gesperrt hat.
Wie können moderne Demokraten eine Religion als göttliche Offenbarung anerkennen, die um 35 u. Z entsteht und etwa um 1776 bis 1789 von antichristlichen (freidenkerischen) Aufklärern mit der Konzipierung der Menschenrechte überrascht wird? Wie kann man einer Kirche angehören, die durch göttlichen Beistand gesicherte Unfehlbarkeit bezüglich der Glaubens- und Sittenlehre in Anspruch nimmt, aber dann noch „ …200 Jahre gebraucht hat …“ bis sie ihre „Sittenlehre“ halbwegs im Sinne der Menschenrechte frisierte? Ist der folkloristische Service bei Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen usw. das wert? Natürlich haben die Kirchenvertreter für die Menschenrechte das Evangelium als Quellgrund in Anspruch genommen. Das tat auch Spital hier, und in einer Gesellschaft, in der den meisten Menschen zu dem Begriff „Menschenrechte“ nicht viel mehr einfällt als „Folterverbot“ und trotzdem sofort mit einem bekanntgewordenen kreativen Polizeichef sympathisieren, muss man wohl darauf gefasst sein, dass dies meist widerspruchslos hingenommen wird.