Lichtblick: "Frauen und Religionenkritik"

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F Lorenz, U Wessels, M Rullmann, M Ahadi

DUISBURG. (hpd) "Frauen und Religionenkritik", die dritte der vier Vortragsveranstaltungen von "mehr licht!", des Literaturbüros Ruhr e.V. in Kooperation mit der gbs war wahrlich ein Lichtblick.

Dieser Tag stand im Schatten der geplanten Hinrichtung Sakineh Aschtianis. Religiöses Recht sollte walten und die 43 Jahre alte Frau und Mutter sollte elend qualvoll gesteinigt werden. Zur höheren Ehre von Gott gegebener Gesetze, zur höheren Ehre der Religion.

An diesem Mittwoch saßen die vier Frauen, Philosophinnen und Menschenrechtlerinnen Mina Ahadi, Margit Rullmann, Fiona Lorenz und Ulla Wessels im Duisburger Stadtmuseum beisammen um dem Publikum des voll besetzten Saals ein Bild der Religionskritik dezidiert aus der Perspektive der Frauen zu zeichnen.

Allerdings saßen sie nicht lange, denn direkt zu Beginn stand Mina Ahadi auf, um uns in einer kurzen aber fulminanten Ansprache ihre Position zum Islam unmissverständlich und mitreissend zu verdeutlichen. Für die Gründerin des Komitees gegen Steinigung, ist Religion vor allem mit sehr viel Leid, mit sehr viel Emotion und mit sehr viel Wut verbunden.

Sie erklärt, dass der Islam für Frauen eine lebenslängliche Erniedrigung bedeutet und dass jährlich vollstreckte 5000 "Ehrenmorde" nur die Spitze des Eisberges unbeschreiblichen Elends und alles durchdringender Repressalien sind. Religion, das sind nicht einfach nur ein paar tradierte Rituale, erklärt uns Mina Ahadi, das ist eine Ordnungs- und Herrschaftsideologie, ein anti-emanzipatorisches System, das mit purer Gewalt die Menschen, und die Frauen im Besonderen kontrolliert.

Seit der Auferstehung des politischen Islam vor 30 Jahren verlieren viele Millionen Frauen systematisch ihre Autonomie, ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung.
Die Frau ist im Islam von Grund auf Objekt. Der Koran spricht nur "über" die Frau, ist niemals Stimme der Frau. Und das, was dort "über" die Frauen steht, ist mit sehr viel Hass verbunden. So ist die Steinigung kein Auswuchs, sondern zentrales Charaktermerkmal des politischen Islam, denn "entweder zeigt die Frau Gottesehrfurcht, oder sie wird von uns in ein Totenhemd gewickelt und öffentlich umgebracht".

So kulminiert Mina Ahadis Rede in dem Apell aufzustehen, gegen einen zutiefst Frauen- und Menschenverachtenden politischen Islam, gegen demokratische Regierungsvertreter, die dieses dulden und mit "Mördern Geschäfte machen" und auch gegen die eigenen Schwestern, die den politischen Islam erdulden oder gar verteidigen. Mina Ahadi appelliert an uns alle, diesen brutalen und sadistischen Chauvinismus im Namen Allahs nicht länger zuzulassen, sondern dagegen aufzustehen und Taten folgen zu lassen.

Die anschließend von Fiona Lorenz vollbrachte umfassende Analyse der Situation der Frauen im Christentum, wirkt vor diesem Passepartout der totalitären Bedrohung durch den politischen Islam vergleichsweise harmlos. Doch der genaue Vergleich ergibt, dass es sich beim christlich tradierten Frauenbild um dieselbe Sorte Gift handelt, nur dass es "hier und heute" durch einen gehörigen Schuss säkularen Wassers seiner tödlichen Wirkung beraubt wurde.

Aufklärung, Bildung und Menschenrechtsbewusstsein haben der autoritären Struktur der Gotteshierarchie den Wind aus den Segeln genommen. Die altpatriarchale Ordnung der Bibel, von ganz oben Gott, dann Mann, darunter SEIN Haus mit SEINER Frau und SEINEN Kindern, als seinem Eigentum darin, bröckelt. Fiona Lorenz zitiert uns das 10. Gebot, in dem es tatsächlich genau so steht: "Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen, nicht nach dessen Frau, Sklave, Rind oder Esel, oder nach irgendetwas, was deinem Nachbarn gehört". Und an dem wir uns heute wieder, wie fantasielose Politiker und Politikerinnen (!) fordern, mehr orientieren sollen? Fiona Lorenz jedenfalls fordert Einspruch und klärt: "Regeln und Gesetze dienen jenen, die sie erstellen." Folglich ist die Geschlechterapartheid der drängendste Beweis für den gestaltenden Ausschluss der Frauen. Und noch immer ist hierzulande eine Frau ökonomisch ruiniert, wenn sie versucht mit Kindern, aber ohne Mann zu leben.

Gerade den Frauen fehle es häufig am mentalen Rüstzeug für kritisches Denken. Unemanzipierte, traditionell denkende Frauen fördern den "Glauben" in Alltag und Erziehung, ohne jemals ihren eigenen Glauben zum Gegenstand kritischen Nachdenkens zu machen. Und so sind es die Frauen selbst, die die gedankliche Weiche zur gegenseitigen Beurteilung verinnerlicht haben und aufrechterhalten: Entweder Heilige oder Hure. Die dem Mann und der Familie dienende, sich aufopfernde, treue Frau ist christlich "in" und sei möglichst mariengleich, asexuell und impotent. Dagegen wird die christliche "out"-Frau die ungehorsame, eigenmächtige, neugierige Frau zusammen mit der Hure entwertet und gehört zur Salzsäule erstarrt. Schließlich sind die Frauen ja auch seit Eva schuld am Bösen in der Welt. So wollen es die 2000 Jahre alten patriarchalen Hirtenvolkgeschichten.

Dass es vor dem Monopol der patriarchalen Monotheismus-Phantasien bereits mehrere tausend Jahre Kultur- und Religionsgeschichte gab, die keineswegs unter dieser zwanghaften Repression des Weiblichen litten, daran erinnerte im Anschluss Marit Rullmann. Sie schilderte kompakt, wie die zahlreichen archäologischen Funde von Göttinnenfiguren aus neolithischen Siedlungen Anatoliens, wie Catal Hüyük zeitgenössische Künstlerinnen inspirierten. Marija Gimbutas hat die Funde weiblicher Göttinnenbilder katalogisiert und die Tradition der großen Muttergöttin der archaischen Zeit belegt.

Diese vorpatriarchalen Kulturen wurden lange unterschätzt. Ebenso wie die Tatsache, dass sie Kupfer und Gold zwar zur Herstellung von Schmuck und Werkzeugen, aber offensichtlich nicht zur Herstellung von Waffen nutzten. Denn man hat weder Schwerter noch gewalttätige Verletzungen an Skeletten gefunden. So nimmt man an, dass Werte wie Fürsorge, Mitleid und Gewaltlosigkeit, die heutzutage eher Frauen zugeschrieben werden, damals einen höheren, allgemeinen Stellenwert in der Gesamtgesellschaft genossen haben. In diesen Kulturen waren Frauen offensichtlich keine untergeordneten Dienerinnnen.

Der Übergang dann von diesen matrizentrischen Kulturen zum Patriarchat spiegelt sich in Erzählungen wie der Orestie von Aischylos, die sich wie ein Rechtfertigungsdrama für diesen Paradigmawechsel liest. Während Heraklit noch seine "Schrift über die Natur" der Göttin Artemis weihte, glitten weibliche Göttinnen auf dem Olymp langsam in die domestizierten Tochter und Ehefrauenrollen. Aber erst der strenge Monotheismus vertrieb bekanntlich das Weibliche gänzlich aus dem Göttlichen und umgekehrt. In Thora, Bibel und Koran spricht Gott ausschließlich mit Männern.

Ebenso verheerend wirkte die abendländische Philosophie, die den Kirchenvätern jahrhundertelang dazu diente, eine vernunftgemäße Interpretation des einzig wahren Glaubens zu liefern. Jede freie Philosophie, die es ja schon gegeben hatte wurde als "heidnisch" degradiert und gewaltsam vernichtet, wie z.B. bei der letzten neuplatonischen Philosophin Hypatia, die 415 von fanatisierten Christen grausam in Stücke gerissen wurde. Wissenschaft, Medizin und Mathematik galten den Christen als Teufelswerk. In der Hochscholastik dann verband der einflussreiche Kirchenlehrer Thomas von Aquin, die Frauenfeindlichkeit der Scholastik mit jener des Aristoteles was geradewegs zu den Hexenprozessen führte.

Zum Schluß ihrer Ausführungen betonte Marit Rullmann noch, dass die politische Dimension des fehlenden Göttinnenbildes völlig verkannt ist. Ein Grund für ihre philosophierenden Kolleginnen Luce Irigaray, Gerda Weiler oder Heide Göttner-Abendroth, die Symbolkraft der Göttin als Vorbild und somit gesellschaftliche Macht zurückzuerobern. Und Religion, Kult und Machtverhältnisse matrizentrischer Gesellschaften zu analysieren, die es ja auch heute noch in Asien, Afrika und Südamerika gibt.

Auf die Nachfrage der Moderatorin Ulla Wessels, ob die Idee der Göttin denn eine Option für säkular denkende Frauen sei entbrannte, dann doch noch eine kleine Debatte: Auf der einen Seite wünschte man sich einhellig eine säkulare und vernünftige Gesellschaft, die auf der Solidarität aller Menschen untereinander beruht und sich von keinerlei irrationalen Fantasien diktieren lässt, was richtig und falsch wäre. Auf der anderen Seite braucht eine Gesellschaft doch so etwas wie Rituale und gemeinsame Feierlichkeiten.

Fiona Lorenz machte auf das Problem aufmerksam, dass in den Momenten, in denen Menschen Ihren Zusammenhalt zelebrieren wollen, z.B. nach einer Katastrophe, dann doch wieder alle in die Kirche gehen, einfach, weil dort ein Raum zur Verfügung steht. Diese Räume und Rituale stehen kirchenkritischen Menschen einfach nicht zur Verfügung bzw. müssten erst neu geschaffen werden.

Einhellig wurde ein weitergehender gesellschaftlicher Diskurs erhofft, in dem humanistische Werte und Bedürfnisse offen und ohne Angst ausgehandelt werden.
Mina Ahadi appellierte zum Schluss noch einmal, die Religion wirklich zu verlassen.
Auch Marit Rullmann plädierte für eine strickte Trennung von Religion und Gesellschaft. Ganz konkret nannte sie den verpflichtenden Ethikunterricht als wichtigen Schritt.
Und Fiona Lorenz gab uns noch mit auf den Weg, dass es durchaus vielfältige Wege gibt, Spiritualität zu erfahren, ganz simpel über kontrollierten Drogenkonsum, Naturerfahrungen, ekstatischen Sex, Musik, Kunst und andere schöne gemeinsame Erlebnisse.

Ricarda Hinz