Heidenhammer oder falsch verstandene Ethik

Staatliche Religionserziehung

Der konfessionelle Religionsunterricht vermittelt per definitionem genau „Moral (als) eine Ansammlung von Geboten und Verboten“ und stellt Kinder zunächst als noch zu formende Angehörige der jeweiligen Religionsgemeinschaften ihrer Eltern dar. Genauso gut könnte man Kindern Unterricht in der Weltanschauung ihrer Eltern geben. Statt des Religionsbekenntnisses stünde dann die Parteizugehörigkeit/präferenz der Erziehungsberechtigten ganz oben auf dem (amtlichen) Schulzeugnis. Sozialdemokraten gehen zu Lehrer Bauer, die Konservativen zu Seipel, für die FPÖ’ler müssen wir noch einen Lehrer finden, der unterrichten darf, vielleicht werden die auch gemeinsam mit dem BZÖ unterrichtet, die Grünen dürfen zum Onkel Sascha. Für die Kinder von Nichtwählern gibt’s Freistunden, für Kommunisten ebenso.

Religion ist eine Weltanschauung wie andere auch. Wie viele andere Weltanschauungen gründet sie auf Irrealem und Dogmen. Dass sie in vielen (aber bei weitem nicht allen) Kulturen eine Sonderstellung als besonders schützenswerte Anschauung hat, ist Resultat blutiger Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Machtstellungen und keineswegs ein Naturgesetz. Dass man Religion wie in Österreich, Deutschland und Italien wie in Teilen der Schweiz etwa mit dem konfessionellen Unterricht besonders fördert, ist nebenbei gesagt international eher ein Unikum. In den USA oder Frankreich kennt man nichts dergleichen. Was weder Franzosen noch US-Amerikaner zu schlechteren Menschen macht als Österreicher. Zumindest gibt es keine empirischen Belege für derartige Behauptungen. Und: Weder da noch dort stürmen die Massen in irgendwelche Hinterhöfe oder Sonntagsschulen um die vermisste religiöse Erziehung durch Radikalinskis zu genießen. Selbst in den sehr religiösen USA genießt eine Mehrheit der Kinder keine stukturierte religiöse Erziehung außerhalb des Elternhauses.

Genausowenig gibt es empirische Belege für die Diffamierung der „Volks“partei, religionsfreie Kinder seien für die steigende Gewalt an Schulen verantwortlich. „Das Thema Gewalt an Schulen steht auch im engen Zusammenhang mit Wertefragen“, sagte etwa 2007 der damalige ÖVP-Vorsitzende Wilhelm Molterer. Daher soll für alle Schülerinnen und Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden oder ohne Bekenntnis sind, ein verpflichtender Ethikunterricht eingeführt werden, heißt es in einem damals gefällten Beschluss der Parteispitze.

Soll heißen: Nicht religiöse Menschen sind gewalttätiger als andere. Das ist eine Beleidigung jener fast zwei Millionen ÖsterreicherInnen, die keiner Religion angehören. Und wissenschaftlicher Unfug. Eine Entschuldigung steht bis heute aus. (Nur ein häufig genannter Einwand vorweg: Das NS-Regime war NICHT atheistisch, Adolf Hitler war bis zu seinem Tod Katholik. Die kommunistischen Regimes mögen offiziell atheistisch gewesen sein – ihre Gräueltaten haben sie damit nie begründet. Daraus eine besondere Brutalität von Atheisten abzuleiten wäre, als würde man jeden von einem Katholiken begangenen Mord unabhängig vom Motiv dem Vatikan in die Schuhe schieben.)

Grüner Standpunkt schwammig

Die einzige Parlamentspartei, für die das Thema überhaupt einer Rolle spielt, sind die Grünen. Sie nehmen gemessen am gesellschaftlichen Konsens, dass der konfessionelle Religionsunterricht schon so passt, weil er eh immer da war, eine fortschrittliche Rolle ein. Sie fordern in ihrem Bildungsprogramm einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle statt des konfessionellen Religionsunterrichts. Letzteren soll es nur als Freifach geben.

Ein schwammiger Standpunkt. Der vorweggenommene Kompromiss. Man will sich den Aufschrei der Konservativen (und von Teilen der SPÖ) ersparen – und verhindert eine gesellschaftliche Debatte. Die Forderung ist gut gemeint. Das ist das Gegenteil von gut gemacht. Auch innerparteilich gibt es Kritik, wie von den AgnostikerInnen und AtheistInnen für ein säkulares Österreich, einer grün-nahen laizistischen Organisation.

Warum überhaupt Ethikunterricht?

Der konfessionelle Religionsunterricht gehört weg. Ob verpflichtend oder als Freifach. Er stellt nicht nur die Trennung von Staat und Kirche infrage. Er dient ausgewiesenermaßen als Propagandainstrument der jeweiligen Religionsgemeinschaften (und wenn nicht, nehmen die LehrerInnen ihre eigentliche Aufgabe nicht wahr), vielleicht moderner als früher aber er bleibt ein Propagandainstrument. Er legt Kinder auf vermeintliche „Identitäten“ fest und festigt nebenbei die Stellung der Religionsgemeinschaften insgesamt als moralische Instanzen. Eine Stellung, die sie sich vor allem über reale gesellschaftliche Machtstellungen erworben haben und über die Behauptung, moralische Instanzen zu sein. An Beweisen haben sie es bisher mangeln lassen. Bzw. haben sie allesamt bis heute mehr Gegenbeweise geliefert als Indizien für besondere Moralität.

Warum braucht es überhaupt einen Ethikunterricht als Ersatz für den konfessionellen Religionsunterricht? Wer das fordert, gibt indirekt zu, dass Kinder ethische Orientierung brauchen, die bisher nur die Religionen vermittelt haben. Was heißt, dass religionsfreie Kinder diese ethische Orientierung bisher nicht hatten. Ein weichgewaschener VP-Standpunkt.

Um nicht missverstanden zu werden: Niemand hat etwas dagegen, dass österreichische Schulkinder endlich und erstmalig systematisch mit ethischen Fragen konfrontiert werden. Nur hat das mit dem Religionsunterricht nicht das Geringste zu tun. Der gehört sowieso raus aus den Schulen. Ob mit oder ohne Ethik- oder Lebenskundeunterricht.

Christoph Baumgarten