WIEN. (hpd) Seit Monaten diskutieren Politik und Medien in Österreich über die Zukunft des heimischen Schulsystems. Spätestens seitdem die jüngsten Ergebnisse der PISA-Studie bekannt wurden, wird überall akuter Reformbedarf gesehen. Allein, von einem Konsens ist man meilenweit entfernt. Zu sehr geht es um Ideologie – vor allem bei den Rechtsparteien.
„Gib mir ein Kind bis es sieben ist, ich gebe dir den Mann.“ Das jesuitische Bildungsprinzip scheint auch in Österreich zu gelten. Zumindest für die katholische ÖVP. Vor wenigen Wochen stellte sie auf Druck des mächtigen niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll die Forderung auf, alle Lehrer sollten bei den Bundesländern angestellt werden. Bisher war das nur bei Volks- und Hauptschullehrern der Fall. Die Bezahlung übernimmt die Bundesregierung. Mittelbare Bundesverwaltung heißt das in Österreich. Geführt hat das nach Ansicht praktisch aller Beobachter zu machtpolitischen Spielwiesen der jeweiligen Landeshauptleute. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Schulleiterposten nach Parteizugehörigkeit vergeben werden. Je nach politischer Lage mit mehr oder weniger ausgesprägtem „Proporzsystem“. Unter diesem Begriff versteht man in Österreich eine peinlich genaue Aufteilung der politischen Machtsphäre in Personalfragen: Schwarze Gemeinde – schwarzer Schuldirektor. Rote Gemeinde – roter Schuldirektor. Einzig Ausnahme ist Kärnten. Dort stellt das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) den Landeshauptmann. Entsprechend viele Schuldirektoren fühlen sich dieser Partei zugehörig.
Nur in Bundesschulen, das sind Gymnasien (AHS) und die Oberstufenschulen, wird das Prinzip gelegentlich durchbrochen. Dort sind nicht die Landeshauptleute für die Direktorenernennung zuständig, sondern Bildungsministerium und Bundespräsident. Würde die Personalhoheit auch über diese Schulen an die Landesregierungen gehen, würde die Parteibuchwirtschaft fröhliche Urständ feiern, lautet die Befürchtung von Kritikern und Bildungsexperten.
In dieser Forderung nach „Verländerung“ scheint sich auch der Wille nach einer Bildungsreform der ÖVP zu erschöpfen. Ihre kürzlich bekannt gewordenen Vorstellungen nach dem Bildungssystem sehen nur eine „mittlere Reife“ für Hauptschüler vor. Diese soll Voraussetzung sein, dass die Kinder in eine weiterführende Schule gehen dürfen anstatt sich nach der Schulpflicht nach einem Lehr- oder Arbeitsplatz umsehen zu müssen. Davon versprechen sich die Konservativen eine höhere soziale Durchlässigkeit beim „differenzierten Schulsystem“.
Soziales Ungleichgewicht
Kritiker, unter anderem Bundesbildungsministerin Claudia Schmid (SPÖ), sehen schon im derzeitigen „differenzierten“ System eher soziale Diskriminierung als Bildungsförderung. Wie nicht zuletzt die jüngsten PISA-Ergebnisse zeigen, entscheidet in kaum einem Land der soziale Status der Eltern so sehr über die Schulchancen eines Kindes wie in Österreich. Ähnlich wie in Bayern und einigen anderen deutschen Bundesländern werden die Kinder nach der Volksschule aufgeteilt: Auf eine Hauptschule mit vier Jahren und anschließendem einjährigen polytechnischen Lehrgang bzw. Umstieg in eine Oberstufe oder in die Unterstufe der AHS. 93 Prozent der Kinder, die in eine AHS kommen, schaffen die Matura (das österreichische Abitur, Anm.), bei Kindern aus Hauptschulen sind es nur 30 Prozent.
Nicht nur SPÖ und Grüne fordern teilweise seit Jahrzehnten, dass dieses „differenzierte Schulsystem“ zugunsten einer gemeinsamen Schule für 10- bis 14-Jährige aufgegeben wird. Auch Bildungsexperten wie der PISA-Erfinder Andreas Schleicher halten das System Hautschule/Gymnasium für überholt. „Keines der Spitzenländer (beim PISA-Test, Anm.) hat ein gegliedertes Ausbildungssystem“ sagt er und rät zur Einführung einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Dort werde „nicht sortiert, sondern individuell gefördert und letztlich von allen die gleichen Leistungen gefordert“. Auch der Bildungsexperte und ehemalige ÖVP-Politiker Bernd Schilcher trommelt seit Jahren für die Gesamtschule. Dazu kommt, dass Gewerkschaften, Arbeiterkammern und die traditionell eher ÖVP-affinen Wirtschaftsvertreter die Gesamtschule einfordern. Tenor: „Kein Kind darf zurückbleiben.“