(hpd) Der eine nimmt zu, der andere ab. Am Ende ihrer 30.000 Kilometer langen Deutschland-Safari sind sich die zwei Beute-Deutschen näher gekommen, der Jude Henryk M. Broder und der Moslem Hamed Abdel-Samad, beide vollkommen integriert. Und Wilma. Und Kurt. Und ich.
Das „Buch zur Serie“ heißt es und es enthält entsprechend viele Fotos, einige auch mit Sprechblasen, fast wie ein Fotoroman. Zumindest an manchen Stellen. Ansonsten ist es in verschiedene Formen von Fließtext gepackt, in Tagebücher von Broder, Abdel-Samad und Wilma, in Dialoge bzw. Gespräche mit diversen Menschen unterschiedlicher Couleur.
Ach ja, Wilma ist ein Drahthaar-Foxterrier und zehn Jahre alt. Sie ist dabei, weil Kinder und Tiere die Quote bringen. Abdel-Samad hat zwar, wie jeder anständige Moslem, Angst vor Hunden. Egal.
Kurt ist das Auto, benannt nach Westergaard, dem Karikaturisten, den Broder schon kennt und mit dem Ägypter Abdel-Samad besucht. Der erste Moslem übrigens, der Kurt Westergaard besuchte und seine Arbeit wichtig findet. Wilma bekrittelt allerdings an dem Auto namens Kurt, es sei „außen grässlich bemalt und innen unglaublich kitschig dekoriert.“ Ist wohl Geschmackssache.
Die zwei reisenden Männer kannten sich zuvor anscheinend nicht und kamen über den Tipp eines Bekannten zusammen.
Gemeinsam besuchen sie erst einmal Neo-Nazis in Berlin-Neukölln und sprechen mit denen.
Irgendwann auf der Fahrt durch Berlin erblicken sie aus dem Autofenster heraus Frau Schramm, die Polit-Putze, die Wände mit Graffiti beschmiert (oder so ähnlich. Eigentlich übermalt sie die Schmierereien anderer, bisher 80.000 Mal).
Zum „Happy Holocaust!“ verkleidet sich Broder als Stele und besucht den 5. Geburtstag des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Das findet Hamed überhaupt nicht gut oder lustig. Henryk meint jedoch, „diese Leute feiern den Holocaust, als wäre es Woodstock gewesen.“ Er ist ohnehin dafür, dass sämtliche Gedenkstätten hätten abgerissen werden sollen. Und keiner nahm in seiner feierlichen Rede Bezug auf Ahmadinedschad oder den gegenwärtigen Antisemitismus.
Da ist was dran.
Um ins andere Extrem zu fallen, fahren die beiden mit Wilma und Kurt zum Moschee-Verein nach Duisburg-Marxloh, wo Abdel-Samad sich über Integration und dessen Scheitern auslassen kann. Hier werden sie des Geländes verwiesen, obwohl die Moschee als „Begegnungsstätte“ von Steuergeldern und EU-Subventionen finanziert wurde. Hm.
Beim türkischen Bäcker in München entdecken sie einen „Chip“. An diesem Bäcker ist nichts mehr muslimisch. Aber er verteidigt manche muslimischen Wertvorstellungen (vor allem jene, die das keusche Verhalten von Frauen betreffen) – gerade wie ein neues Apple-Laptop „mit einem Betriebssystem von Atari aus dem Jahr 1970.“ Wilma freut sich, dass sie konfessionslos ist.
Und dann geht’s „Ran an die Banane!“, im „Jurassic-Park der DDR“. Mehrere ältere Herren äußern sich im Konferenzraum des Verlagshauses „Neues Deutschland“. Tja. Hinterher meint Hamed: „Ich glaube, es ist ein Schlüssel für Integration, wenn man über sich selbst lachen kann.“
Sodann besuchen die zwei integrierten Deutschen Großmütter, die am Pariser Platz vorm Brandenburger Tor in Berlin gegen den Krieg oder so, irgendwie, irgendwo, demonstrieren.
Um Krieg und Frieden geht es den beiden Männern ohnehin verdächtig oft. Denn sofort geht es weiter zum Panzerbataillon 413. Ein Soldat meint, er sei Pazifist und arbeite für den Frieden. Martialisch wirkende Safari-Reisende mit geballten Fäusten und wehenden Haaren blicken aus den Panzern freudig in die Linse der Kamera.
Danach wird in Hamburg kurz für den Frieden gelacht.
Weiter geht’s ins Hamburger Büro der Linkspartei. Genauer, zum Friedensexperten für Israel und Gaza. Dessen Mousepad ein Bildnis Muammar al-Gaddafis ist. Das Gespräch läuft nicht rund.
Der übrigen Stationen gibt es mehr, als ich hier berichten möchte. Etwa, als Broder mit Burka aufs Oktoberfest geht, Abdel-Samed in bajuwarischer Tracht, und beide mit muslimischen Jugendlichen ins Gespräch kommen, bis sie von den Bedenkenträgern der Wiesn-Leitung hinausgebeten werden. Um keine religiösen Gefühle zu verletzen.
Die Stationen, die Gespräche, die Reflexionen regen oftmals profund zum Nachdenken an. Vor allem über Juden, Deutsche, Religion, Moslems, Integration, Geld, Frieden, Krieg, Rechte, Linke, Dinosaurier, Chips, Denkmäler und Mahnmale. Die Reihenfolge scheint so gewählt, dass der vorhergehende auf den nächsten Beitrag fast schon zwingend ausstrahlt. Etliches wird auf den Kopf gestellt, gegen den Strich gebürstet. Mehrfach musste ich laut auflachen. Hamed schlägt sich ganz gut. Von Henryk M. Broder war wohl nichts Anderes zu erwarten.
Fiona Lorenz
Henryk M. Broder, Hamed Abdel-Samad: Entweder Broder - Die Deutschland-Safari. Albrecht Knaus Verlag (9. November 2010), 192 Seiten.