Menschenwürde und die PID

Als Zwischenbilanz können wir festhalten, dass der Begriff der Menschenwürde genauso fragwürdig ist, wie der des freien Willens, der unsterblichen Seele, des Guten und des Bösen. Er stammt von einem Menschenbild, das durch die Wissenschaft längst überholt ist. Zur ethischen Beurteilung der PID ist er jedenfalls völlig ungeeignet. Genau genommen wäre es sogar ein Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn in ihrem Namen der medizinische Fortschritt behindert würde. Die Medizinethikerin Ruth Macklin vom New Yorker Albert-Einstein-College of Medicine fordert, den Begriff der Würde durch den der persönlichen Autonomie zu ersetzen. Weil alle Menschen im Prinzip die gleiche Fähigkeit zu leiden, sich zu entwickeln, zu denken und zu wählen haben, hat kein Mensch das Recht, das Leben, den Körper oder die Freiheit eines anderen zu verletzen. Jedem Menschen ist mit Respekt zu begegnen. In unserem Grundgesetz sollte es daher besser heißen: „Die Autonomie des Menschen ist unantastbar“. Dieses Prinzip müsste aber auch auf alle anderen Wesen ausgedehnt werden und zwar in dem Maße, wie sie in der Lage sind, Leid zu empfinden.

„Designer Babies“

Was bei nichtreligiösen Menschen dennoch an Bedenken in Bezug auf die PID bleibt, ist mit dem Begriff „Designer Babies“ zu identifizieren. Wenn wir davon ausgehen, dass die Zuordnung einzelner Gene zu bestimmten Eigenschaften des Menschen in der Zukunft weitestgehend entschlüsselt werden kann und dass wir dann womöglich in der Lage sind, einzelne Gene gezielt zu verändern, wäre dann nicht die PID der Einstieg in die Genmanipulation des Menschen? Würden wir dann nicht nur einem eventuell vorhandenen Gott, sondern auf jeden Fall der Natur ins Handwerk pfuschen? Der Gipfel des Horrors wäre die Herstellung von Klonkriegern, d.h. gezüchtete Einheitsmenschen deren einziger Zweck das Töten ist. Man kann all dies nicht einfach als reine Science Fiction abtun. Immerhin ist es dem amerikanischen Biochemiker Craig Venter im vorigen Jahr bereits gelungen, ein künstliches Bakterium mit dem Namen Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 herzustellen. Dazu wurden Maschinen eingesetzt, die computergesteuert die etwa eine Million Basenpaare in der gewünschten Reihenfolge aneinandergesetzt haben. Das Design und die Erzeugung auch von komplexeren Lebewesen bis hin zum Menschen oder menschenähnlichen Wesen wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einigen Jahrzehnten möglich sein.

Zur ethischen Beurteilung dieser Entwicklung ist zunächst zu sagen, dass wir ja jederzeit die Grenzen des Erlaubten neu festlegen können. Aber unabhängig davon muss auch die Frage gestellt werden, ob wirklich das gezielte Verändern der menschlichen Gene ethisch so verwerflich ist. Solange Eltern die Wahl haben, werden sie sich wohl für eine möglichst vorteilhafte Genkombination entscheiden. Das ändert natürlich nichts daran, dass es in einer zukünftigen Gesellschaft klare Regeln und Gesetze geben muss, die das Wahlrecht der Eltern in vernünftigen Grenzen hält. Ohne Manipulation werden unsere Gene durch eine rein zufällige Kombination der elterlichen Gene erzeugt. Insofern muss man sich fragen, was eine zielgerichtete Kombination gegenüber dem blinden Zufall unethisch erscheinen lässt. Der an der University of Oxford lehrende Philosoph Nick Bostrom bemerkt dazu:

Wenn Mutter Natur echte Eltern wäre, so würde sie im Gefängnis sitzen wegen Kindesmisshandlung und Mord.

Wie können wir das Leid reduzieren?

Bei Entscheidungen über ethische Fragen wie der PID, der allgemeinen Genmanipulation und auch der Sterbehilfe sollten wir uns immer von der Frage leiten lassen: wie reduzieren wir das Leid und/oder wie können wir das Glück vermehren? Dabei dürfen Gesetze und Entscheidungen natürlich nicht auf Kosten Einzelner oder Minderheiten gehen. Klar muss auch sein, dass Menschen mit Behinderungen all unsere Liebe und Hilfe bedürfen, um ein lebenswertes und glückliches Leben führen zu können. Manche sehen in der PID dennoch eine Abwertung von behinderten Menschen. Dies ist aber eine etwas seltsame Logik. Denn dann dürften wir ja auch generell keine Vorbeugung gegen Krankheiten unternehmen, weil das eine Diskriminierung von Kranken wäre. Behinderungen gar als ein Geschenk oder eine Prüfung Gottes zu sehen, ist eine Perversion des Denkens.

Wie auch immer die Diskussion weiter verläuft, gegen eins sollten wir uns auf jeden Fall wehren, nämlich dass Religionsvertreter Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Leute, die von einem Menschenbild ausgehen, das ins Mittelalter gehört, haben in Ethikkommissionen nichts zu suchen und solche die sogar zweifelsfrei glauben, dass ein toter Papst Krankheiten heilen kann, sollte man gar nicht erst ernst nehmen, denn sie haben sich von der Realität restlos verabschiedet. Der Verweis auf so genannte christliche Werte hat schon genügend Unheil auf unserem Planeten angerichtet. Den Vertretern des Christentums geht es letztlich nicht um das Wohl der Menschen, sondern um die Aufrechterhaltung von Notständen, denn davon lebt das Christentum, wie Friedrich Nietzsche schon in seinem Werk „Der Antichrist“ sehr treffend formuliert hat:

Die christliche Kirche lies Nichts mit ihrer Verderbnis unberührt, sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht. Man wage es noch, mir von ihren "humanitären" Segnungen zu reden! Irgendeinen Notstand abschaffen gierig wider ihre tiefste Nützlichkeit, - sie lebte von Notständen, sie schuf Notstände, um sich zu verewigen ...
…Der Parasitismus als einzige Praxis der Kirche; mit ihrem Bleichsuchts-, ihrem "Heiligkeits"-Ideale jedes Blut, jede Liebe, jede Hoffnung zum Leben austrinkend; das Jenseits als Wille zur Verneinung jeder Realität; das Kreuz als Erkennungszeichen für die unterirdischste Verschwörung, die es je gegeben hat, - gegen Gesundheit, Schönheit, Wohlgeratenheit, Tapferkeit, Geist, Güte der Seele, gegen das Leben selbst ...

Bernd Vowinkel