Notizen aus Russland

Humanistentreffen: Symposium statt Verbandskongress.

Im Dezember <berichtete> hpd über

einen Rundbrief, mit dem sich der Präsident der Russischen Humanistischen Gesellschaft Wladimir Kuwakin an die Regionalverbände des Landes zur Vorbereitung des 1.Russischen Humanisten-Kongresses wandte. Wie hpd inzwischen erfuhr, wird anstelle des für den Sommer 2007 geplanten Verbandskongresses im Mai ein internationales wissenschaftliches Symposium in Rusa vor den Toren Moskaus stattfinden.

Das Motto des Treffens vom 25.-27.05.2007 lautet „Wissenschaft und menschliche Werte" und wird von folgenden Organisatoren getragen: der <Russischen Akademie der Wissenschaften>, der <Russischen Staatsuniversität für Sozialwissenschaften> in Moskau, dem <Transnationalen Forschungszentrum> in Amherst, NY (USA), dem <Forschungsinstitut der Russischen Humanistischen Gesellschaft> an der Philosophischen Fakultät der Moskauer Lomonossow - Universität und der <Internationalen Akademie für Humanismus> in Amherst, NY (USA).

Das Symposium enthält folgende thematische Sektionen:
1. Wissenschaft als allgemeinmenschlicher Wert
2. Wissenschaft und Bildung
3. Wissenschaft und Massenmedien
4. Wissenschaft und freie Forschung
5. Schutz der Wissenschaft vor Pseudowissenschaft und Scharlatanerie
6. Wissenschaft und Ethik
7. Die soziale Verantwortung des Wissenschaftlers

Derzeit haben sich neben russischen Akademikern und Humanisten auch Wissenschaftler aus Ägypten, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Kanada, Nigeria, Norwegen, Polen, Serbien, Spanien und den USA zu dem Symposium angemeldet. Die Mitglieder der Regionalverbände der Russischen Humanistischen Gesellschaft sind ebenfalls aufgerufen worden, zahlreich zu erscheinen, um am Rande des Symposiums an einem Verbandstreffen im kleineren Rahmen aus Anlass des 10. Jahrestages der Gründung ihrer Gesellschaft teilzunehmen. <Programm>

Putins neue alte Prioritäten

Der russische Präsident Wladimir Putin äußerste sich am 01.02.2007 auf einer Pressekonferenz im Kreml zur Bedeutung von Religion und Kernwaffen für sein Land wie folgt: „Sowohl die traditionellen Konfessionen der Russischen Föderation als auch der atomare Schutzschild stellen jene Komponenten dar, die das russische Staatswesen festigen und die notwendigen Voraussetzungen für die innere und äußere Sicherheit des Landes schaffen. Hieraus ergibt sich die heutige und zukünftige Haltung des Staates, die dieser gegenüber beiden Faktoren einzunehmen hat." <Originalartikel> (Russisch)

„Zeitbombe" Grundlagen der orthodoxen Kultur

Nach Auffassung des Vorsitzenden des Muftirates Russlands Rawil Gajnutdin ist die Einführung des Unterrichtsfaches „Grundlagen der orthodoxen Kultur" - hpd <berichtete> - verfassungswidrig. Am 30.01.2007 erklärte er auf einer Beratung von Vertretern regionaler gesellschaftlicher Organisationen in Moskau: „Wir können es nicht ohne Weiteres hinnehmen, wenn versucht wird, die russische Geschichte dahingehend umzuinterpretieren, dass ein Volk besonders hervorgehoben wird und die Rolle der anderen herabgewürdigt wird." Die Behauptung, jeder Einwohner Russlands müsse die orthodoxe Kultur und die orthodoxe Geschichte Russlands kennen, würde der gesamten Gesellschaft die Idee der Überlegenheit einer Kultur und eines Volkes gegenüber den anderen aufzwingen. „Der Unterricht des Faches ‚Grundlagen der orthodoxen Kultur' versetzt die Muslime, Juden und Buddhisten des Landes in die Lage von jüngeren Brüdern", ergänzte der Mufti.

In einem Gespräch mit dem russischen Bildungsminister Andrej Fursenko betonte Gajnutdin, dass sich die Haltung des Muftirates Russlands zu einem landesweiten Schulfach Religionskunde von der Position der orthodoxen Kirche ein wenig unterscheide. „Falls es zu einem einseitigen Entschluss kommen sollte, legen Sie eine auf Jahrzehnte angelegte Zeitbombe. Und ein Konflikt wird unvermeidlich sein, wenn heutzutage die Kultur von nur einer Religion vermittelt werden soll", betonte er gegenüber dem Minister. <Originalartikel> (Russisch)

Erstes Festival der Gefängnistheater

In Russland soll demnächst das landesweit erste nationale Festival der Gefängnistheater stattfinden. Das teilte der Pressedienst der Föderalen Strafvollzugsbehörde mit. „In vielen russischen Strafkolonien gibt es Theatertruppen, die erfolgreich arbeiten. Deshalb planen wir gegenwärtig das erste landesweite Festival der Gefängnistheater", sagte ein Sprecher der Behörde. Als Beispiel führte er das Theaterstudio „Inspiration" in der Strafkolonie Nummer drei, Gebiet Kostroma (Mittelrussland) an: „Gegenwärtig stehen nur zwei Aufführungen auf dem Spielplan: ‚Eine Flamme im Wind' von Tatjana Makarskaja und ‚Der Gärtners Hund' von Lope de Vega. Doch bald findet die Erstaufführung eines neuen Spiels statt: Die moderne Komödie ‚Die Idiotin' vom Peter Haas". Die Sträflinge stellten alle Kostüme und Kulissen selbst her, so der Sprecher. <Originalartikel> (Deutsch)

Russen sind stolz auf Errungenschaften der Sowjetzeit

Die Bürger Russlands sind stolz auf die Vergangenheit ihres Landes. Davon zeugen die Ergebnisse einer jüngsten Umfrage des Allrussischen Forschungszentrums „Öffentliche Meinung".

Dem Dokument zufolge legt ein beträchtlicher Teil der Befragten sehr viel Wert auf die Errungenschaften aus den Zeiten der UdSSR. Die überwiegende Mehrheit von ihnen bewundert die Heldentaten der Sowjetmenschen während des Großen Vaterländischen Krieges der Jahre 1941-1945 (93 Prozent), den ersten Weltraumflug mit Juri Gagarin im Jahr 1961 (91 Prozent) und den Start des ersten künstlichen Satelliten im Jahr 1957 (84 Prozent). 73 Prozent der Menschen haben ihren Stolz auf den damals beispiellosen Direktflug des sowjetischen Piloten Valeri Tschkalow aus Moskau über den Nordpol nach Vancouver geäußert. 61 Prozent der Befragten seien durch die Entwicklung der Atom- und der Wasserstoffbomben beeindruckt worden.

Der Generaldirektor des Zentrums „Öffentliche Meinung" Valeri Fjodorow erklärte in diesem Zusammenhang, Russland habe in den 1990er Jahren „eine Epoche der Bloßstellung der Vergangenheit erlebt und damit wesentlich übertrieben". „Dann stellte sich plötzlich heraus, dass wir nichts zu lieben haben und auf nichts stolz sein können", bedauerte er. „Doch keine Gesellschaft kann lange in einer solchen Situation existieren. Leider finden unsere Menschen an dem, was in den jüngsten 15 Jahren geschaffen wurde, keinen Anlass, auf ihr Land stolz zu sein. Die Menschen verstehen einfach nicht, ob es wert ist, auf einen der weltgrößten Alu-Konzerne stolz zu sein, oder ob das eine neue Lüge der Oligarchen ist".

Dennoch stellte er fest, dass die meisten Einwohner Russlands kein Interesse an einem Zurück zur UdSSR-Zeit hätten. 52 Prozent der Befragten haben sich ihm zufolge für das Leben im modernen Russland ausgesprochen. 26 Prozent zogen die Leonid-Breschnew-Ära vor, je vier Prozent - die Stalin-Zeit bzw. die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ein Prozent hat die Bereitschaft gezeigt, wieder die Jelzin-Zeit zu erleben. Acht Prozent der Menschen möchten in einer anderen Epoche leben und fünf Prozent haben keine klare Antwort auf diese Frage gegeben, ergänzte der Soziologe. <Originalartikel> (Deutsch)

Estland: Sowjetstern = Hakenkreuz

Die Gesetze, die die estnischen Behörden ermächtigen, Gedenkstätten zu Ehren der Sowjetsoldaten abzureißen, waren gerade verabschiedet - hpd <berichtete> -, als Estlands Parlamentarier Ende Januar über einen ähnlich zielgerichteten Gesetzentwurf debattierten.

Das neue Gesetz soll die öffentliche Benutzung und Verbreitung der Symbolik der ehemaligen „Besatzungsregime" unter Strafe stellen, und zwar: „die Zurschaustellung und Verbreitung der offiziellen Symbolik der früheren UdSSR, der Unionsrepubliken und der KPdSU wie auch der Symbolik der NSDAP und der SS". Weiterhin ist vorgesehen, dass „leicht erkennbare Fragmente dieser Symbolik, die berufen sind, vorsätzlich Hass zu schüren und die öffentliche Ruhe zu stören", ebenfalls der Bestrafung unterliegen. Unter das Gesetz fallen die Flaggen, Wappen, Ehrenzeichen und andere offizielle Symbole, „die mit den Besatzungsmächten in einem Zusammenhang stehen". Für entsprechende Delikte wird eine Geld- oder eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren angedroht. Juristische Personen müssen bis zu 3200 Euro zahlen.

Der russische Föderationsrat hat auf die jüngste Initiative des estnischen Justizministeriums scharf reagiert. Sein Vorsitzender Sergej Mironow schloss Sanktionen gegen Estland nicht aus. „Es muss gründlich prognostiziert werden, welche Folgen die Sanktionen haben werden. Ob sie zu einer Verschlechterung der Lebenslage unserer Landsleute in Estland führen oder ob sie diese oder jene politische Entscheidung beeinflussen werden", sagte er.

Bei den Voranhörungen hat sich herausgestellt, dass einige Neuerungen nur schwerlich mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates zu vereinbaren sind. Der estnische Rechtskanzler (Ombudsmann) Allar Jőks gab zu bedenken, dass der Gesetzentwurf unbegründet die Meinungsfreiheit einschränke. Er beanstandete, dass die Tatmerkmale, die zur Beurteilung der Strafwürdigkeit herangezogen werden, zu verschwommen formuliert worden seien. Aus dieser Sicht empfahl er, die Liste der nazistischen und kommunistischen Symbole aus dem Gesetzentwurf zu streichen, die den Bestand der Aufwiegelung zum Hass erfüllen.

Estlands Staatsmacht beharrt darauf, dass der Initiative keine einseitige Stoßrichtung gegen die sowjetische Symbolik unterstellt werden dürfe. Justizminister Rein Lang kam jedoch nicht um das Eingeständnis herum, dass man Nazisymbolen gegenüber bisher recht viel Toleranz aufgebracht hätte, was er für falsch befand. Seiner Meinung nach gebe es zwischen Josef Stalin und Adolf Hitler absolut keinen Unterschied.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat den Beschluss der estnischen Regierung, die Symbole aus den Zeiten der Sowjetunion mit den Nazisymbolen in einen Topf zu werfen, als eine Schande gebrandmarkt. Vom politischen Standpunkt aus könne dieses Vorgehen nur mit dem Bestreben erklärt werden, künstliche Schwierigkeiten in einer Zeit zu schaffen, in der echte Probleme wie die Lage der russischsprachigen Bevölkerung in Lettland und Estland zu lösen seien.

„Unzulässig", protestierte auch der stellvertretende Duma-Vorsitzende Wladimir Pechtin. Tausende sowjetische Menschen haben bei der Befreiung des Baltikums von den deutschen Faschisten ihr Blut vergossen. „Derartige Gesetzesvorhaben beleidigen die Gefühle der Veteranen. Nun wollen die estnischen Behörden nicht nur die sowjetischen Denkmäler abreißen. Sie wollen auch noch die Menschen verfolgen, für die die sowjetischen Ehrenzeichen auch Symbole des Sieges über den Faschismus sind", entrüstete er sich.

Die estnische Gesetzesinitiative ist nicht der erste Versuch in ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas, die sowjetische Symbolik zu verbieten. So wurde in Ungarn der stellvertretende Vorsitzende der Kommunistischen Arbeiterpartei Attila Vajnai im November 2005 wegen des Tragens eines Roten Sterns auf einer Demonstration zu einer dreijährigen Haft verurteilt. Seit 1989 sind in hier nazistische und kommunistische Symbole verboten. Auch in Lettland unterliegen Wappen und Hymne der UdSSR seit 1991 einem Verbot, das laut der russischen Zeitung „Kommersant" in der Praxis jedoch nicht angewendet wird. Am 9. Mai jedes Jahres hindere hier niemand die Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges daran, sich in Riga am Denkmal der sowjetischen Soldaten einzufinden und ihre Kriegsmedaillen zu tragen. Litauens Parlament hingegen hat einen Vorstoß seiner Opposition abgelehnt, die Symbole des Nazi-Deutschlands und der UdSSR zu verbieten.  <Originalartikel> (Deutsch)

Russische Gläubige sind im Durchschnitt jünger geworden

Nachdem das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche Alexi II. gegen die von Russlands Schulen aufgezwungene Evolutionstheorie gewettert hatte - siehe <hpd-Verweis> -, konnte er sich auf derselben Veranstaltung zumindest bezüglich der Altersstruktur seiner Anhänger freuen: Betrug das Durchschnittsalter der orthodoxen Gläubigen Mitte der 80er etwa 62 bis 63 Jahre, so seien es heute 43 bis 45 Jahre. Der Patriarch wies darauf hin, dass „die Mehrheit der Gläubigen keine tiefen Kenntnisse über die Wahrheiten des heimatlichen Glaubens besitzen" und nur wenige Russen „sich Gedanken darüber machen, was den Menschen in das ewige Leben führt".

Der Patriarch von Moskau und ganz Russland hatte am 29.01.2007 mit einer Rede im Moskauer Kreml-Palast das weltweit größte orthodoxe Forum, die „15. Internationalen Weihnachtslesungen", eröffnet. Das Thema des diesjährigen Forums, das bis zum 03.02.2007 anhielt, lautete „Glauben und Bildung: Gesellschaft, Schule und Familie im 21. Jahrhundert". Veranstalter der Veranstaltung waren das Moskauer Patriarchat mit Unterstützung des russischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft, der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Bildungsakademie, der Staatlichen Lomonossow-Universität und anderer Einrichtungen. <Originalartikel> (Deutsch)

Interkonfessioneller Rat für Anerkennung des Studienganges Theologie

Die Mitglieder des Interkonfessionellen Rates haben sich Anfang Februar bei der Allrussischen Kommission für akademische Abschlüsse (WAK) dafür eingesetzt, den Studiengang Theologie anzuerkennen, damit russische Geistliche die entsprechenden wissenschaftlichen Grade erhalten könnten. Wladimir Worobjow, stellvertretender Vorsitzender des Interkonfessionellen Rates und Rektor der Russisch-orthodoxen und geisteswissenschaftlichen Sankt-Tichonow-Universität bemängelte die fehlende Anerkennung theologischer Abschlüsse durch die WAK als Beeinträchtigung von Verfassungsrechten und Menschrechten. „Und das umso mehr, als es in den europäischen Ländern und den USA Doktoren der Theologie gibt. Wenn diese nach Russland kommen, werden deren akademische Grade bei uns anerkannt", erklärte der Geistliche.

Derzeit bieten 36 russische Hochschulen ein theologisches Studium an. An 21 staatlichen Hochschuleinrichtungen gibt es Lehrstühle oder Fakultäten für Theologie. <Originalartikel> (Russisch)

Tibor Vogelsang