Rechte heile Welt im Alltag

(hpd) Die Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis präsentieren neun Fallstudien, die Rechtsextremismus im Alltag in unterschiedlicher Ausdrucksform schildern. Hierbei entsteht ein anschauliches Bild von diesem Lager aus der Perspektive der alltagskulturellen Entwicklungen, wobei sich allerdings gesamtgesellschaftliche Verallgemeinerungen verbieten würden.

 

Rechtsextremismus findet dann breite Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit, wenn einschlägige Parteien Erfolge bei Wahlen erzielen, es spektakuläre Aufmärsche von Neonazis gibt oder besonders brutale Gewalttaten aus diesem politischen Lager auszumachen sind. Doch was geschieht eigentlich in der Normalität des Alltags in Sachen Rechtsextremismus? Diese Frage haben sich die beiden Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis gestellt. In ihrem Buch „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland“ gehen sie von folgender Beobachtung aus: „Doch wer sich mit Rechtsextremismus in diesem Land befasst, findet sich häufig schneller als vermutet auch in der bürgerlichen Mitte wieder, bei Menschen, die sich vehement von Neonazis und deren Hitlerkult distanzieren, aber zum Teil doch ähnlich radikale Ansichten vertreten“ (S. 9f.). Um dies zu verdeutlichen, reisten Geisler und Schultheis durch die Republik. Aus ihren Eindrücken und Erlebnissen entstanden die neun Kapitel des Buches, die als Fallstudien des Alltagsrechtsextremismus gelesen werden können.

Darin geht es um die Frau eines NPD-Funktionärs, die als Elternsprecherin und Schöffin aktiv ist und ihre Kinder Hakenkreuzen malen lässt, oder um einen Gymnasiasten, der in Abgrenzung von seinen Eltern zum Neonazi wurde und einschlägige Straftaten beging. Andere Kapitel thematisieren das Alltagsleben in einem Dorf, wo Neonazis ständig präsent sind und die NPD über 30 Prozent der Stimmen erhält, oder widmen sich dem Engagement beim Erwerb eines Hotels, das angeblich Rechtsextremisten als Schulungseinrichtung dienen sollte. Außerdem stehen die Urteile von Amtsgerichten, die Gewalttaten aus diesem politischen Lager als „jugendtypische Verfehlungen“ deuten, oder Internet-Aktivitäten von Neonazis, die über soziale Netzwerke Kontakte zu Jugendliche knüpfen, im Zentrum des Interesses. Und schließlich finden auch die islamfeindlichen Aktivitäten angeblicher „Bürgerbewegungen“, die Medienstrategien der NPD und die UFO-Verschwörungsvorstellungen von Rechtsextremisten gesonderte Aufmerksamkeit.

...die auf das Dramatische fixierte öffentliche Wahrnehmung

Geisler und Schultheis liefern mit ihren Fallbeispielen häufig nur Beschreibungen und halten sich meist mit Bewertungen zurück. Gleichwohl heißt es auch: „Was rechtsextrem genannt wird, entsteht ganz offensichtlich auch mitten unter uns – und dringt nicht bloß von irgendwoher in den heilen Mainstream ein“ (S. 10). Außerdem bemerken die Autoren bezüglich der auf das Dramatische fixierten öffentlichen Wahrnehmung des Rechtsextremismus: „Denn das Extreme lässt sich leicht stigmatisieren, das Alltägliche hingegen kaum bekämpfen. Und was normal geworden ist, taugt nicht mehr für Schlagzeilen. Heute ist die Schwelle sehr hoch, die Rechtsextreme überschreiten müssen, um überhaupt noch breitere Aufmerksamkeit zu erfahren oder Empörung auszulösen“ (S. 11f.). Und weiter schreiben sie zu ihrer Perspektive: „Wer verstehen will, wie etabliert, integriert, cool, trendig allgegenwärtig, bürgerlich und vertraut unsere extrem rechten Mitbürger und ihre Ansichten sind, muss sich mit eben jenem Alltag abseits der Schlagzeilen befassen“ (S. 12).

Bei den erwähnten Fallgeschichten handelt es sich um einzelne Ereignisse, die nicht für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung sprechen. Gleichwohl machen sie deutlich, dass die mediale und wissenschaftliche Fixierung auf das breitere öffentliche Wirken von Rechtsextremisten deren gesellschaftliche Präsenz nur eingeschränkt erfassen kann. Hierbei verdeutlichen die Autoren auch die strategischen Ansätze zu einer „völkischen Graswurzelrevolution“, wie sie etwa bei der Gründung von scheinbar harmlosen Bürgerinitiativen oder bei dem Umgang mit den auf Dramatisierung fixierten Medien zum Ausdruck kommt. Darin liegen die Stärken des Bandes. Mehr darf man von ihm allerdings nicht erwarten – was die Autoren selbst einräumen. Auch bezüglich der Strategien und Tipps zur Bekämpfung des Rechtsextremismus halten sie sich eher zurück. Ganz allgemein wollen sie nur verdeutlichen, „was selbst der vermeintlich heile Mainstream täglich an Rassistischem, Intolerantem und Demokratiefeindlichem hervorbringt“ (S. 205).

Armin Pfahl-Traughber

 

Astrid Geisler/Christoph Schultheis, Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland, München 2011 (Carl Hanser-Verlag), 224 S., 15,90 €

Der Blog der Autoren zum Buch