Deutschland Deine Kinder (22)

"Vertiefte Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR"

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Schattenkinder
Schattenkinder

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Das ehemalige Kinderheim St. Joseph in Birkenwerder bei Berlin: "… der obere Bereich der Fenster ist noch identisch mit meiner Zeit dort. Da waren die Schlafräume …"
Das ehemalige Kinderheim St. Joseph in Birkenwerder bei Berlin: "… der obere Bereich der Fenster ist noch identisch mit meiner Zeit dort. Da waren die Schlafräume …"

BERLIN. (hpd) Unter der Prämisse "Vertiefte Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR" fanden sich im Dezember 2012 zwölf WissenschaftlerInnen zusammen, die sich zuvor schon für Transparenz der Informationen zur Heimerziehung eingesetzt hatten. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.

Das Projekt wird vom Bundesministerium des Inneren gefördert. Es soll zu einer umfassenden Plattform für alle wichtigen Belange der DDR-Heimerziehung ausgebaut werden. Säuglingsheime beispielsweise, Dauerheime, Behinderteneinrichtungen, eine Reihe von Normal- und Spezialheimen fehlen noch. Vormundschaftsheime, Jugendinternate – davon sind bisher nur wenige bekannt geworden. An der Vervollständigung wird gearbeitet. Hinweise, Fehler, Irrtümer, zusätzliche Informationen werden erbeten an info[at]ddr-heimerziehung.de.

Unter dem schlichten Namen "Heimatlas" bietet das Forschungsprojekt eine aktuelle Basis-Informationen über 720 DDR-Heimeinrichtungen, davon – so stellt es sich jetzt heraus – waren 175 Objekte konfessionelle Einrichtungen.

In den Jahren 1949 bis 1990 waren mehr als 400.000 vielleicht sogar bis zu 500.000 Kinder und Jugendliche in unterschiedlichsten Heim-Kategorien untergebracht - und dabei sprechen wir nur von der DDR. In "Obhut genommen" war dafür bis vor kurzer Zeit noch der - milde - umgangssprachliche Ausdruck. In den vergangenen vier bis sechs Jahren bekannt gewordenen Einzelschicksale und die Reaktionen darauf lassen keinen Zweifel: Betroffene tragen noch heute an Spätfolgen ihres Heimaufenthaltes – und leiden. Mal ist es die nicht gewährte Schulbildung, mal verpasste beruflichen Chancen, Belastung psychischer oder körperlicher Art, Demütigungen, von Erwachsenen an ihnen vorgenommene sexuelle Handlungen, Schläge, Entzug der Nahrung oder auch die Pflicht zur Arbeit, wie sie Erwachsenen abverlangt wird und aus deren Folge Leid, Stigmatisierung, Traumata, Krankheit, Schwäche nicht einfach beiseite schiebbar ist.

Von Gewalt bestimmt, so werden die Spezialheime für "schwer Erziehbare", die Jugendwerkhöfe beschrieben. Beispielsweise wird der "Geschlossene Jugendwerkhof" (GJWH) Torgau als einer einem Gefängnis gleich geführten Disziplinierungseinrichtung der DDR-Jugendhilfe beschrieben, der mit der Heimerziehung das ideologische Ziel verfolgte, die Kinder und Jugendlichen zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umzuformen. 1998 wurde im GJWH Torgau eine Gedenkstätte eingerichtet, 2009 eine Dauerausstellung eröffnet.

Zumindest Fragmente von Heimkinder-Schicksalen wiederholt in das Bewusstsein zu rücken scheint erforderlich, zu schnell sollen ihre Drangsalierungen dem “guten Gewissen” einer Geldleistung weichen.

Wer gibt das Geld und wenn wofür?

Der Bund und die ostdeutschen Länder finanzieren hälftig die Ost-Fonds. (Im Gegensatz dazu tragen die Kirchen die Finanzierung der West-Fonds mit.)

Ende 2013 wurden die Ost-Fonds mit 40 Millionen kalkuliert und aufgelegt. Im ersten Quartal 2014 kam die Nachricht, 3.500 Anträge seien bereits genehmigt und weitere 10.000 in der Bearbeitung - das übertreffe die Erwartungen und in der Folge sei das Geld aufgebraucht.

Eine Aufstockung auf 200 Millionen Euro - wieder hälftig von Bund und den Ostdeutschen Ländern zu zahlen - wurde beschlossen und zeitgleich die Frist zur Antragstellung auf den 30. September 2014 festgelegt. Als Grund dafür wurde die von den ostdeutschen Ländern geforderte Planungssicherheit vorgegeben.

Die Betroffenen reagierten mit Unmut. Die Benachteilung als DDR-Bürger den West-Deutschen gegenüber – dort endete die Antragsfrist am 31.Dezember 2014 – schien der Willkür gleich. Eine verständliche Erklärung gab es nicht.

Jetzt, im Februar 2015, liegen konkrete Zahlen vor. Zu den Ost-Fonds: Sie können “bedarfsgerecht” auf 364 Millionen aufgestockt werden.

Rund 27.000 Betroffene haben Forderungen an die Hilfsfonds Ost gemeldet. Allein in Berlin gingen 4.819 Anmeldungen ein, aus denen nun sukzessive Anträge entstehen werden. Insgesamt liegen aus Berlin 6.306 Forderungs-Anmeldungen vor, davon betreffen 1.487 die West-Fonds.

Gewährt werden kann auf Antrag eine Geldzahlung bis zu 10.000,00 Euro in den vier Kategorien 1. Gesundheit, 2. Mobilität, 3. soziale Kontakte 4. Wohnen

Das ergibt bei 27.000 Betroffenen, die jeweils 10.000 Euro erhalten eine Summe in Höhe von 270 Millionen Euro. Von den 364 Millionen bleibt nach Abzug der 270 Millionen eine Summe von 94 Millionen Euro übrig. Dem Betrag stehen Forderungen der Betroffenen für Renten-Ersatzleistungen gegenüber. Festgelegt wurden dafür 300,00 Euro als monatliche Zahlung und die trifft zu, wenn ein Betroffener im Heim bzw. für das Heim gearbeitet hat, dieses aber keine Sozialleistungen abführte, mit anderen Worten: die gesetzlich vorgeschriebene Anmeldung unterblieb.

Fazit

Das Forschungsprojekt arbeitet und wird weitere Heime finden, die Kinder und Jugendliche in der damaligen Zeit aufgenommen haben. Vorbehaltlich weiterer Erkenntnis kann man mit den aktuellen Zahlen rechnen: Der Heimatlas weist derzeit 720 Heime aus, 175 konfessionelle Einrichtungen inbegriffen. Das ergibt aufgerundet 24,3 Prozent aller Heime wurden konfessionell geführt.

Doch selbst wenn richtig wäre, dass diese Heime viel kleiner waren als beispielsweise der Jugendwerkhof Torgau. Weshalb bleiben die starken konfessionellen Einrichtungen weiter im Schatten? Beteiligen sie sich an dem, was angerichtet worden ist und an dem sie Profit hatten? 24 Prozent von veranschlagten 364 Millionen Euro, das wären 87,36 Millionen Euro. Die Zahl “hinkt”, denn sie bezieht sich auf die Anzahl der Heime.

Aber, die Frage besteht und wurde von einer Betroffenen an Johannes Stücker-Brüning, Geschäftsführer der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am Runden Tisch Heimkinder gestellt: Warum beteiligen sich die Kirchen bisher nicht an den Ost-Fonds – seine Antwort war einfach: "Wir wurden nicht gefragt." Bei allem Verständnis für Zurückhaltung - das lässt sich doch wohl ändern.

Eine von Heimerziehung Betroffene antwortete auf die Fragen, ob sie mit der Fond-Lösung einverstanden und ob es nun gut mit der Entscheidung sei: "Nein. Behinderte und die Kranken in den Psychiatrischen Kliniken wurden bisher überhaupt nicht berücksichtigt, sie blieben vollkommen außen vor. Ich will wissen, dass sich dieses Land, diese Regierung damit beschäftigt und ebenso die Kinderarbeit, die wir leisten mussten nicht verleugnet. Bleibt es so, bin ich enttäuscht und habe den Glauben an den Rechts- und Sozialstaat verloren."

Zum Abschluss ein O-Ton von Johannes Stücker-Brüning, der nicht nur Geschäftsführer der Caritaskommission der DBK ist, sondern auch als Vertretung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf der Bundespressekonferenz Runder Tisch Heimkinder am 13.12.2010 sagte: "Die Kirchen stehen zu ihrer Verantwortung in der frühen Bundesrepublik … die Heimerziehung war damals auf das bloße Funktionieren der Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft ausgerichtet. … Die Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen, das haben wir am Runden Tisch eindrucksvoll erlebt, in ihrer Individualität und subjektiven Befindlichkeit traten dabei oftmals in den Hintergrund."

 


Weitere Links: Konfessionell geführte Heime
Jugendwerkhof Torgau