STUTTGART. (hpd/dhuw) Michael de Ridders Buch „Wie wollen wir sterben? Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur.“ und sein Einsatz für das Achten von Würde und Selbstbestimmung auch bei unheilbar Kranken sorgt seit seinem Erscheinen 2010 für Aufruhr – besonders unter der Ärzteschaft.
Gleich zu zwei Veranstaltungen der Humanisten Württemberg war Michael de Ridder nach Stuttgart gereist. Am späten Nachmittag des 16. März stand zunächst ein Seminargespräch im Humanistischen Zentrum mit Ehrenamtlichen der von den Humanisten Württemberg (DHUW) und der Arbeiterwohlfahrt Stuttgart getragenen Humanistischen Hospizinitiative auf dem Programm.
Abends luden die Humanisten Württemberg gemeinsam mit dem Evangelischen Bildungswerk in den Hospitalhof zur einer Informationsveranstaltung mit dem bekannten Vorsitzenden der Hans-Joachim-und Käthe-Stein-Stiftung für Palliativmedizin und Chefarzt der Rettungsstelle Vivantes im Klinikum Am Urban, Berlin, ein.
Unter den Gästen im fast bis auf den letzten Platz gefüllten Saal im Hospitalhof waren an diesem Abend neben den Ehrenamtlichen und Organisatoren der Humanistischen Hospizinitiative auch viele, die in ihrem näheren Umfeld gerade selbst mit der Endphase des Lebens und der damit verbundenen Frage, wie wir sterben wollen konfrontiert werden. Sich diese Frage zu stellen und sich mit der unverrückbaren Tatsache zu befassen, dass jeder Mensch, der geboren wird stirbt, findet in unserer Gesellschaft wenig Beachtung, so Ursula Marx von den Humanisten Württemberg in ihrem Grußwort. Der gesellschaftliche Wandel führe immer mehr zur Vereinzelung. Zusätzlich würden die Menschen immer älter und die Medizin postuliere, alles sei machbar und reparierbar. Dies habe zur Folge, kritisierte Marx, dass die Menschen, meist ohne Begleitung, im Altenheim oder Krankenhaus stürben. Oft würde der Tod aus Angst verdrängt, da wir nicht wüssten, was danach passiere. Im Hinblick auf die so wichtige und sinnvolle Erstellung einer Patientenverfügung und eines Organspendeausweises, nannte Marx die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Tod als unabdingbare Voraussetzung.
Lebensverlängerung soll niemals Selbstzweck werden
Dass jedoch eine bewusste, ehrliche und menschliche Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod gerade nicht zu den Grundvoraussetzungen der gängigen medizinischen Ausbildung gehört, dies zeigte dann Michael de Ridder in seinem Beitrag auf. In seiner über dreißig Jahre andauernden ärztlichen Laufbahn – mit Erfahrungen in der Intensiv-, Notfall-, Rettungs- und der Palliativmedizin – erlebte de Ridder immer wieder, wie sich Ärzte über den Willen ihrer Patienten hinweg setzen, alles tun, was medizinisch und technisch möglich ist und so eher zur qualvollen Sterbeverzögerung als zur sinnvollen Lebensverlängerung beitragen. Doch Lebensverlängerung, so de Ridder, solle niemals zum Selbstzweck werden. In seinem Vortrag beklagte de Ridder das oftmals reflexartige Verhalten von Ärzten und erklärte, dass einer der größten ärztlichen Kunstfehler es sei, in den natürlichen Sterbeprozess einzugreifen.
Ein großes Manko sieht de Ridder in der medizinischen Ausbildung: Nicht nur der Patient, auch der Arzt müsse lernen loszulassen. De Ridder forderte eine Abkehr von dem ärztlichen Paternalismus, hin zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Doch bis dahin, so zeigt es die Praxis, ist es noch ein weiter Weg. Zugleich wüssten Ärzte und Pflegepersonal oft nicht über die aktuelle Gesetzgebung und ihre Pflicht zur Willensermittlung des Patienten Bescheid und würden so gängiges Recht unwissentlich brechen und kritisches Reflektieren unterlassen. Die immer häufiger eingerichteten Ethikkomitees der Krankenhäuser sollten oftmals nur über diese prekäre Situation hinweg täuschen.
Im Laufe seines Vortrags stellte de Ridder zwei Fallbeispiele aus seinem Buch vor, die die Absurdität und Grausamkeit einer nicht besonnen eingesetzten Hochleistungsmedizin verdeutlichten und das Publikum merklich zutiefst berührten und beunruhigten. Die anschließende Fragerunde zeigte dann auf, dass selbst für ein hinsichtlich Hospiz und Palliativmedizin vorgebildete Publikum die Antwort auf die Frage „Wie wollen wir sterben?“ keine leichte ist. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, den es immer weiter zu verfolgen gilt. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der auch vom Humanistischen Verband Deutschlands angebotenen Patientenverfügung kann für diesen Prozess nur förderlich sein.
Zum Schluss der Veranstaltung betonte de Ridder nochmals die Bedeutung der persönlichen Zuwendung in der Sterbephase: Wir – und damit meinte er sicherlich nicht nur die Ärzte – könnten immer etwas tun, damit es dem Patienten besser geht. Der Satz „wir können nichts mehr tun“ sei schon an sich ein ärztlicher Kunstfehler. Mit seinem Buch und seiner Aufklärungsarbeit begegnet de Ridder diesem noch viel zu oft begangenen Fehler und setzt sich leidenschaftlich ein für mehr Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende und somit auch für ein Umdenken hin zu einem humanistischen Wandel in der Medizin.
„Wie wollen wir sterben? Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur.“ von Michael de Ridder ist im Jahr 2010 bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen.
Julia von Staden