In Erinnerung an einen schwäbischen Tüftler

Er hatte ein fliegend`Herz

mesmer_02.jpg

mesmer_03.jpg

KONSTANZ. (hpd) Das Zeppelin Museum in Friedrichshafen zeigt vom 27. März bis zum 28. Juni die bislang umfassendste Ausstellung über Leben und Werk von Gustav Mesmer (1903–1994), den man auch den "Ikarus vom Lautertal" nannte.

Zeitlebens träumte Mesmer davon, mit einem Fahrrad zu fliegen. 1930 wurde er in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, weil er in seinem oberschwäbischen Heimatdorf einen Gottesdienst gestört hatte. Rund 35 lange Jahre verbrachte er hinter Anstaltsmauern. Heute wird er europaweit als Künstler und Visionär gefeiert. Etwas über einen, der auszog, das Fliegen zu lernen, und dem, kennt man seine Geschichte, wohl auch gar nichts anderes übrig geblieben ist.

1903 wird Gustav Mesmer im oberschwäbischen Altshausen geboren. Jahrzehnte später schreibt Mesmer dazu in seiner unverwechselbaren Sprache: "Drei Sylvester, 16 Tage nach der Jahrhundert-Illumination und deren Salvenkrachen erfolgte mein Geburtstag. Jedenfalls war es Winter, die Dächer und Felder mit Schnee überkleidet, die häuslichen Wohnräume wohlerträglich erwärmt. Es war ja noch in der Zeit, als die Petroleumlampe an der Decke und auf dem Tische sich befand."

Die Enttäuschung im Kloster

Mesmers Vater war Verwaltungsfachmann, seine Mutter kümmerte sich um die insgesamt 11 Kinder. Aufgewachsen ist Gustav Mesmer in einem streng katholischen Umfeld, die Familie ist seit Generationen in Oberschwaben zu Hause.

Gustav Mesmers Schulausbildung wird durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, da ist er gerade 11 Jahre alt. Er arbeitet auf Bauernhöfen als sogenannter "Verdingbub". Die Kriegsjahre sind hart und die Familie kann die vielen Esser nur mit Mühe ernähren. Dann, bei der Arbeit im Kloster Untermarchtal, empfehlen ihm die Schwestern, in einen Orden einzutreten: "Sie gäbten doch so ein schönes Päterchen", sollen sie zu ihm gesagt haben.

Gustav Mesmer befolgt diesen Rat und geht 1922 ins Kloster Beuron. Dort wird er zu Bruder Alexander und verbringt fast sechs Jahre hinter Klostermauern. Doch es gefällt ihm nicht, von einem klösterlichen Leben habe er ganz andere Vorstellungen gehabt, resümiert er rückblickend: "Da kann nur ein lebensunerfahrener hereinfallen wie ich."

Enttäuscht und deprimiert kehrt Mesmer 1928 wieder nach Altshausen zurück. Seine Eltern waren darüber nicht glücklich, denn eine Klosterlaufbahn galt in jenen Zeiten noch als etwas Besonderes. Die Aufnahme in einem Kloster bedeutete damals wirtschaftliche Sicherheit und war mit gesellschaftlichem Prestige und sozialer Anerkennung verbunden. Zuhause beginnt Mesmer mit einer Schreinerlehre, von seinem Meister erhält er eine gute Beurteilung. Aufgefallen sei aber, so eine Bemerkung, "sein eigenes und stilles Wesen".

Abgeschoben in die Psychiatrie

Kurz darauf ein tiefer Einschnitt in seinem noch jungen Leben. Wohl noch geprägt von den für ihn ernüchternden Erlebnissen während seiner Klosterzeit, stört Gustav Mesmer eines Sonntags in der evangelischen Kirche in Altshausen die gerade stattfindende Konfirmations- und Abendmahlsfeier. Er stürmt in die Kirche und erklärt lauthals, dass hier "nicht das Blut Christi" ausgeteilt werde und sowieso "alles Schwindel" sei.

Mesmer wird von aufgebrachten Kirchenbesuchern aus dem Gotteshaus gezerrt und nach Hause gebracht. Ein Skandal ohnegleichen, so etwas hat man in Altshausen noch nicht erlebt. Mesmers Familie ist entsetzt und fühlt sich dem Gespött der Dorbewohner ausgeliefert. Gustav soll nach diesem Vorfall immer schweigsamer geworden sein. Der "Kirchenstürmer" wird zum Tagesgespräch im ansonsten ereignisarmen Gemeindealltag. War der Gustav nicht immer schon ein kauziger Sonderling gewesen? Einer, der während seine Altersgenossen im Gasthaus die Bierkrüge stemmten, lieber stundenlange Spaziergänge unternahm? Und: Im Kloster soll er sich ja auch schon seltsam aufgeführt haben. Man war sich schnell einig – der Gustav tut nicht gut, der Gustav muss weg. Knapp zwei Wochen nach seinem "geistigen Überschwang", wie er seine Aktion einmal umschrieb, wird Mesmer in das Psychiatrische Landeskrankenhaus Bad Schussenried eingeliefert. Die erste Diagnose ist schnell gestellt: Paranoide Schizophrenie.

In Schussenried merkt er bald, dass an eine schnelle Entlassung nicht zu denken ist. Nach einer längeren Zeit des Wartens und Bangens beginnt er zu arbeiten, anfangs als Buchbinder in der Anstaltsbibliothek. Am 10.Oktober 1932 taucht in seiner Krankenakte zum ersten Mal der Hinweis auf: "Hat eine Flugmaschine erfunden, gibt entsprechende Zeichnungen ab."

Angeblich hat er in einer Illustrierten einen Bericht über zwei Erfinder gelesen, die mit einem Fahrrad fliegen wollten. Diese Idee begeistert Mesmer, der Flug durch Muskelkraft treibt seine Fantasie in schwindelnde Höhen. Er konstruiert und bastelt an Flugmodellen, in der Anstalt wird er verlacht: "Erfinder-Allotria", steht in der Krankenakte.

Knapp überlebt

Den Naziterror – zehntausende werden in den psychiatrischen Anstalten von den braunen Machthabern umgebracht – überlebt Gustav Mesmer mit viel Glück. Sein Name taucht auf keiner der Transportlisten auf, die in den sicheren Tod führten. Vermutlich deswegen, weil er ein guter Arbeiter war und gebraucht wurde. Während dieser Zeit drängt er auch mehrmals vehement auf seine Entlassung, bleibt aber ungehört. Vor allem seine Mutter hat ihm die Aktion in der Kirche nie verziehen und verhindert, dass ihr Sohn nach Hause zurück kehrt.

1949 wird Gustav Mesmer auf eigenen Wunsch in das Psychiatrische Landeskrankenhaus Weißenau verlegt, nicht weit weg von seinem Heimatdorf Altshausen. Den Anstaltswechsel beschreibt er fast schon poetisch-süffisant: "Im Sattsein von Zuständen sowie der umgebenden Landschaft, entwickelte sich in mir der Wunsch, den alt- und allzuangewöhnten Aufenthalt zu Schussenried zu wechseln, mit Verlegung nach Weißenau."

Hier verbringt Mesmer die folgenden 15 Jahre. Er erlernt die Korbflechterei und wird als "geschickter und fleissiger Arbeiter" gelobt. Manchmal darf er an Wochenenden sogar nach Altshausen und seinen Briefen merkt man an, dass er davon träumt, endlich ein normales Leben führen zu können. Er vermisst schmerzlich seine Heimat, sehnt sich nach einer bürgerlichen Existenz. An die Tochter eines Pflegers schickt er rührende Zeilen: "Ob Sie, wertes Fräulein, Lust und Liebe, meine Gattin werden zu wollen?" Was er nicht weiß: die meisten seiner Briefe werden von der Anstaltsleitung zurück behalten und man macht sich lustig über den Träumer. Die Ärzte nennen Mesmers Wünsche und Hoffnungen "Beziehungsideen".

"Ich weiß sonst nichts als Suppenschwab'"

Doch unverdrossen befasst sich Gustav Mesmer weiter mit seinem Traum vom Fliegen, schreibt aber zunehmend Texte und Abhandlungen, die sich meist mit dem Weltall oder religiösen Fragen beschäftigen. In der Weißenau wird ihm für seine Aktivitäten ein Raum zugewiesen, manchmal helfen ihm sogar Angestellte der Anstalt beim Zusammenbau seiner Flugfahrräder. Mesmer zeichnet immer neue Flugmodelle und verfasst Lehrschriften über Fluggetriebe oder die beste Flugtechnik. Papier ist rar zu jener Zeit und so verwendet er die Rückseiten von alten Rechnungsformularen, die er zu Heften zusammen klammert. Die Titelseiten gestaltet er selbst mit Farbzeichnungen, die Texte sind mit Schreibmaschine geschrieben.

In seiner Akte taucht 1951 folgender Eintrag auf: "Bei den kürzlichen Baumtestuntersuchungen hat Mesmer ein sehr interessantes Bild gezeichnet. Auffallend zeichnerische Begabung". Ende der fünfziger Jahre beginnt er auch damit, Familienmitglieder zu fotografieren und zu porträtieren. Sein Fotoapparat wird für ihn ein wichtiges Hilfsmittel zur Dokumentation seiner vielfältigen Aktivitäten.