Erkundungsreise zu den Religionen Afrikas

(hpd) Kirchen und Moscheen sind allgegenwärtig in Afrika, liest man in V.S. Naipauls Buch „Afrikanisches Maskenspiel“, besonders in den Elendsvierteln rund um die Metropolen, wo sie sich ausbreiten „wie eine ansteckende Krankheit“. Auch als Prunkbauten am Reißbrett entworfener Hauptstädte, wo sich in ihnen alsbald die Spinnen einrichten. Was macht ihre Attraktion aus?

Der neueste Reisebericht des indischen Gentleman aus Trinidad handelt von Menschen, Geistern - und Tieren. In sechs afrikanischen Ländern erforscht Vidiadhar Surajprasad Naipaul, wie die Menschen mit ihren Göttern umgehen. Zwei Jahre ist er immer wieder unterwegs, besucht Heiler und Wahrsager und befragt gebildete junge Menschen, einen Ingenieur, einen Geschäftsmann, eine Polizistin, eine Autorin.

Wie es um die Menschen steht, das erfährt der Leser durch den Romancier am genauesten daran, wie sie mit den Tieren umgehen. Mit den heimatlosen Hunden und mageren Katzen in Hinterhöfen und Straßen, mit den einst verehrten Krokodilen im Palastgarten eines geschassten Diktators, mit den Abermillinonen Fledermäusen von Abidjan, die als Nahrungsquelle unerschöpfliche scheinen und immer wieder Quelle des Ebola-Virus sind. Mit den ausgedienten todmüden Polopferden, die bis zum Umfallen Kinder reicher Leute spazieren tragen.

In Afrika hofft der Literaturnobelpreisträger auf den Urgrund der Religionen zu treffen. Er findet ihn in der Angst, in der Unsicherheit, in einer morbiden Nervosität - und den Boden für die neuen Religionen in der Hoffnung auf ein besseres Morgen. Erst der Islam, von den Sklavenhändlern nach Afrika gebracht, und dann das Christentum wussten den Afrikanern vor allem eines anzubieten: ein Leben nach dem Tod. Als Lohn oder Strafe. Das war, was den alten Herrschern noch fehlte. Und eine Doktrin. Der alte Glaube bestand aus Gebräuchen und einem Regelwerk dessen, was man tun oder nicht tun durfte. Ohne Erklärungen. Er war eng verbunden mit lokaler Macht. Und einem Gott, der zu weit war, um sich um die Menschen zu kümmern. Für deren Belange waren die untergeordneten Geister zuständig. In den Zeiten einer enormen Bevölkerungszunahme, der Vernichtung von natürlichen Lebensräumen und der Verunsicherung reicht dies den Menschen nicht mehr aus. Der Mythos hat im Zeitalter der Medien wenig Chancen. Doch einen eindeutigen Sieger gibt es nicht. Wenngleich der Islam das bedrohliche Bewusstsein von Krise ein wenig mehr vom Leibe zu halten weiß, sind die alten Religionen überall gegenwärtig, im Verborgenen.

So leben die Menschen mit mehreren Weltanschauungen, gerade die jungen, modernen, die dem fremden Reisenden gegenüber zu Meistern der Diplomatie werden. Einen erfolgreichen Ghanaer lässt Naipaul hintergründig sagen: „Man schuf sich ein Wesen, dass über einen herrschte; und dieses Wesen kann man auch missbrauchen.“ Ideologisch einfacher machen es sich dagegen die vielen Würdenträger der alten Kulte und Riten in ihren Schreinen im Gewirr der Straßen und Quartiere der Städte, für die Zauber und Wahrsagung vor allem eine Quelle einträglicher Einnahmen sind. Mit List und Drohung und geschickter marketing-gerechter Anpassung an die neuen Erfordernisse wahren sie ihr Revier.

Naipauls Erkundungen beginnen in Uganda, wo der heute fast Achtzigjährige vor mehr als dreißig Jahren schon einmal ein halbes Jahr verbracht hatte. Er besucht dort in Kasubi die Gräber der alten Herrscher, heute UNESCO-Weltkulturerbe, die einst auf den Gräbern eigens geopferter Menschen auch deshalb vor knapp hundert Jahren so aufwendig errichtet wurden, weil ihre Untertanen und um die Macht konkurrierende Familienmitglieder sicher gehen wollten, dass die Potentaten auch tot blieben. Naipaul erkundet die Heilkunde der Pygmäen in Gabun, die heute von Touristenunternehmen und Pharmafirmen ausgebeutet wird, und besucht die Zaubermärkte in Johannisburg - den Weg von Magie zum Voodoo.

Zentrum des afrikanischen Kults ist der Wald

Stand das Event, der Kunstgriff, etwa schon am Anfang der Religion? Trotzdem: Quelle und Zentrum des afrikanischen Kults ist der Wald. Das Stück heile Welt, nach dem auch Naipaul sich sehnt. Er findet es im Hain der Flussgöttin Oshun in Nigeria, ebenfalls heute Weltkulturerbe, und in den noch existenten Urwäldern Gabuns. Sie könnten bald ebenso der Vergangenheit angehören wie die Parks der Kolonialherren, das Gegenstück der Wildnis und kostbare koloniale Errungenschaft der Metropolen, im Untergang begriffen wie diese.

„Der Islam erlaubt vier Frauen, und die Katholiken erlauben keine Geburtenkontrolle, und Nigerianer sind sehr religiös“, sagt ein Nigerianer im Buch. „Afrika ertrinkt in der Fruchtbarkeit seiner Bevölkerung“, ergänzt später Naipaul, der sich einen Teufel um political correctness schert. In Uganda, wo in den sechziger Jahren sechs Millionen Menschen leben, sind es heute über 30 Millionen.

Schon bieten die afrikanischen Religionen auch sinnsuchenden Europäern an, was sie suchen: schnelle Bewusstseinserweiterung via Drogeneinnahme, Meditation, einen neuen spirituellen Weg. Pygmäen führen vor Fremden rituelle Tänze auf und spielen dazu mit einer Harfe auf, die traditionell mit Saiten aus der Haut eines Ahnen bespannt wurden. In einer anrührenden Szene schildert Naipaul einen solchen in seine Musik und über seinem Instrument versunkenen Musiker, für den der kommerzielle Trubel um ihn herum gar nicht existiert. Und man ahnt, woraus die Saiten seines Instruments bis heute gefertigt sind.

Naipaul schreibt einmal von der „düsteren Helligkeit“ einer Landschaft, in der durch Licht und Hitze alles überklar vor dem Betrachter liegt und Felder, Häuser und Menschen winzig werden. Es ist wohl auch die erhellende Düsternis in Naipauls Blick selbst.

Simone Guski

 

V.S. Naipaul: „Afrikanisches Maskenspiel. Einblicke in die Religionen Afrikas“. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, 350 S., 22,95 Euro