Das Projekt Weltethos

Divergenzen zwischen Religion und Ethik

Mit Divergenzen zwischen Religion und Ethik sah sich der Biologe und Philosoph Prof. Dr. Franz Wuketits befasst. Mit der Aussage, wir haben nicht zu wenig, sondern zuviel Moral, provozierte er Aufmerksamkeit und warnte davor, sich durch Werte und Normen selbst zu überfordern. Moral ist für ihn die Summe aller Regeln, welche der Aufrechterhaltung einer Ordnung dienen, gleich welcher. Damit kommt er zu den Frage: Moral woher, wozu und wie viel Moral verträgt der Mensch? Moral kommt von unten, nicht von oben und Moral muss sich auszahlen. Weil dem Egoismus soziale Grenzen gesetzt sind, zahlt sich Kooperation aus. Der Mensch ist moralisch aus gesundem Egoismus, der gesellschaftlichen Anerkennung wegen und weil er selbst moralisch behandelt werden will. Die Natur kennt keine Moral. Die Kuh ist nicht gut, weil sie Milch gibt und der Löwe nicht böse, weil er die Gazelle reißt, sie können nur nicht anders. Moral ist auch nicht absolut, sondern wandelbar. Die Religionen sind mit Idealvorstellungen überfrachtet mit teilweise grausamen Folgen, wie die der christlichen Sexualmoral.

Ethos und Weltkulturen

Den Schlussstrich zog der Versammlungsleiter, der Religionsphilosoph Prof. Dr. Anton Grabner-Haider, indem er nochmals dezidiert auf das Gebiet Ethos und Weltkulturen einging und einen pluralistischen Ansatz erkennen ließ. Klärend sein Hinweis, dass die kulturelle Evolution nicht von den Theologen, sondern von Philosophen ausgelöst wurde, die gleichzeitig die Vordenker der Aufklärung waren. Mit der Feststellung, dass alle Lebenswerte relativ sind, wurde die Grundlage für den Übergang von einer normativen zu einer deskriptiven Ethik geschaffen. Religionen, allerdings nicht in jeder Art ihrer Verkündigung, sind dazu geeignet, Lebenswerte zu stabilisieren, die in einer globalen Demokratie auch transferiert werden. In der Legende des Dekalogs wird die regula aurea bis hin zur Legende der Bergpredigt stabilisiert.

Persönliches Resümee

Es ist immer noch das deprimierende Ergebnis philosophischen Nachdenkens, dass sich keine ethische Grundpositionen aufstellen lassen, die so begründet werden können, dass sie sich ohne Gewalt und Fiktion in der Lebenswirklichkeit durchsetzen lassen – und/oder in das „Münchhausen-Trilemma“ führen. Das trifft auch auf die unrealistische und zu idealistische Wunschvorstellung eines normativen „Weltethos“ zu. Es ist letztendlich eine Mystifikation, und das weiß Hans Küng auch.

Nach diesem Seminar hat sich das Bild vom sympathischen zum pragmatischen Utopisten gewandelt – um wenigsten sein Bemühen positiv zu bewerten. Ziel des „Weltethos“ ist ein rein theologisches, also eine theistische Immunisierungsstrategie. Die Moralvorstellungen der abrahamistischen Religionen sollen vereinigt werden. Das ist zweifellos sehr viel, aber auch nicht mehr. Darüber muss man sich im Klaren sein. Im Grunde wendet sich diese Aktion an die große Zahl der Christen und Muslime, die 0,6 % Juden können vernachlässigt werden und die 30% Atheisten und Agnostiker bilden eine Alibifunktion, weil sie nicht, - wenn überhaupt, - gleichberechtigt beteiligt sind. Sie gefährden aber das Ziel nicht, weil die Moralvorstellung der dem ethischen Humanismus zuzurechenden Organisationen sowieso über die in dem so genannten Weltethos angestrebten Positionen hinausgehen. Die Gefahr ist jedoch groß, dass alles in eine Sackgasse mündet und im Sinne der Adorno´schen Theorie der Halbbildung für eine Weiterentwicklung resistent bleibt.

Positiv an der „Initiative Weltethos“ ist der Einsatz für einen übergreifenden Ethik-Unterricht, aber darüber hinaus alles Andere mittelfristig nur Erfolg versprechend, wenn es gelingt, den Dialog zwischen den theistisch geprägten Christen, Muslimen und Juden gleichberechtigt auf die atheistisch geprägten Agnostiker zu erweitern und dabei mit einer rational begründbaren Moral zu einer deskriptiven Ethik zu kommen. Der Weg dazu ist allerdings sehr steinig, intellektuell besonders anspruchsvoll und keineswegs so populistisch und leicht verkäuflich wie die schön klingende Leerformel „Weltethos“, - dafür aber nachhaltiger.

Aus theologischer Sicht sieht dies allerdings ganz anders aus. Für die Theologie ist nicht das Sein, wie in der Philosophie, Mittelpunkt der Religion, auch nicht Gott, sondern der Glaube. Sie geht sogar über die Position der agnostischen Atheisten hinaus, für die zumindest theoretisch noch die Möglichkeit der Existenz einer für den menschlichen Verstand nicht erkennbare Intelligenz besteht. In der Theologie ist das kein Thema, sondern einzig und allein der Glaube an den Glauben – und das ist die göttliche Essenz. Damit wird auch die Aussage von Dietrich Bonhoeffer einleuchtend: „Den Gott den es gibt, gibt es nicht“. Hier hat die Philosophie nichts entgegenzusetzen und der Ethiker bekommt Gänsehaut, weil er gezwungen sein könnte, eine Lebenslüge moralisch zu legitimieren. Davor wird er sich aber hüten müssen, weil die Frage bleibt, was passiert, wenn sich Glaube nicht nur in Form eines ethischen Humanismus oder Ähnlichem emanzipiert? Bleibt es dann dabei, dass weiterhin die „Ungläubigen“ mit der Bibel oder dem Koran auf dem Schreibtisch, auf Kosten der „Gläubigen“ leben?

Erich Satter