Kasperl, Kummerl, Jud – Otto Tausig ist tot

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Otto Tausig (2009) / Foto: Manfred Werner / Creative Commens Lizenz / wikipedia

WIEN. (hpd) Der österreichische Schauspieler und Aktivist Otto Tausig ist tot. Er starb in der Nacht auf Montag mit 89 Jahren. Im Zentrum seines wechselvollen Lebens stand immer der Gedanke, die Welt für und durch die Menschen zu einem besseren Ort zu machen. Mit Humor und Engagement. Ein Nachruf.

Ich habe Otto Tausig einmal getroffen, vor zwei Jahren. Er las Texte des österreichischen Dramatikers Jura Soyfer bei den FreiheitskämpferInnen Hernals (einer Wiener Bezirksorganisation des Bundes sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen). Wie immer bei solchen Gelegenheiten sammelt er Spenden für seinen Entwicklungshilfeclub. Viel Geld kann nicht zusammengekommen sein. Es war eine kleine Veranstaltung. Ihm war das egal. Hauptsache ein bisschen, mit dem man helfen konnte, Kinderarbeit zu verhindern. Das hat er gut 20 Jahre lang sozusagen hauptberuflich gemacht. Wann immer er für einen Bühnen- oder Filmauftritt Geld bekam, wanderte es in den Club. Das ganze Geld, ohne Abstriche. „Ich hab eine gute Pension vom Burgtheater“, mehr brauche er nicht, hat er in Interviews immer gesagt. Eine Million Euro sind im Laufe der Jahre zusammengekommen, an Gagen und Spenden.

Auch in Österreich engagierte er sich und gründete das Laura-Gatner-Haus für minderjährige Flüchtlinge, das er nach seiner Großmutter benannte. Sie war in Treblinka ermordet worden. Auf verschlungenen Wegen zwang er in den Neunziger Jahren die österreichische Creditanstalt, ihm das Geld auszuhändigen, das 1938 auf dem Sparbuch seiner Großmutter gewesen war und das von den Nazis enteignet wurde, wie er in einem Interview schilderte. Mit dem Geld gründete er das Flüchtlingsheim. Für Otto Tausig war dieses Engagement selbstverständlich. Angesichts seiner Burgtheaterpension sei das nicht einmal großartig, sagte er immer wieder in Interviews. Ganz uneitel, ohne dieses Kokettieren mit der falschen Bescheidenheit, wie es manche Schauspieler tun.

Wo er könne, wolle er die Welt verbessern, sagte er. Und, es sei „ein ganz gutes Gefühl, mitzuhelfen, ein paar Tragödien zu verhindern“, wie ihn Die Presse in ihrem Nachruf zitiert. Und, zumindest nach eigenen Angaben war das Spendensammeln das einzige, was ihn auf der Bühne oder vor Kameras hielt: „Ich kann diesen Beruf in meinem Alter nicht mehr so ganz ernst nehmen - ich würde es wertvoller finden, mich mit wissenschaftlichen Büchern zu beschäftigen. Aber mit diesem Ziel vor Augen gibt mir das so viel Sinn“, gibt ORF.at eines seiner Interviews wieder. Was dann auch wieder Kokettieren gewesen sein mag. Niemand ist frei von Widersprüchen.

Dieses große gesellschaftspolitische Engagement Tausigs ist in seiner wechselvollen Lebensgeschichte verwurzelt. „Kasperl, Kummerl, Jud“ nannte er seine Autobiographie. Für die „Kasperl“-Rollen wurde er bewundert, als „Kummerl“ (Kommunisten, Anm.) und „Jud“ wurde er verfolgt.

1938 konnte er als 16-Jähriger mit einem Kindertransport aus einer Heimatstadt Wien nach Großbritannien flüchten. Dort wurde er überzeugter Kommunist und blieb es wohl bis irgendwann in den 50ern. Unmittelbar nach dem Krieg sorgte das für Probleme in Österreich, denn nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen bekam er einen Boykott zu spüren, der einem Berufsverbot gleichkam. Dass Tausig in die DDR ging, um dort zu schauspielern, kann man wohl als zweite Flucht deuten. Zurück kehrte er als demokratischer Sozialist, den Kommunismus hatten ihm Stalin und die ostdeutschen Genossen ausgetrieben. Dennoch war es schwierig, in der Heimat wieder Fuß zu fassen. Erst nach Jahren wurde er zum Bühnen- und Publikumsliebling. Es erforderte den Umweg Zürich, wo er jahrelang auftrat. 1970 wurde er Ensemblemitglied des österreichischen Burgtheaters.

Tausig schlüpfte in unzählige Rollen. Am liebsten war ihm das komische Fach. Das ging bei ihm nie ohne hintergründige Tragik ab. Ein bisschen verschmitzt, vielleicht grundoptimistisch und doch auch ein wenig grundtraurig. Vielleicht erklärt das seine Vorliebe für Stücke von Johann Nestroy und Jura Soyfer. Beide schätzte er auch für ihre Gesellschaftskritik. Auch für Brecht, den er persönlich kannte, hatte er einiges übrig. Was sie trennte, war die Frage, inwieweit Theater ein politisches Instrument für eine bessere Welt sein kann, wie weit es als Massenaufklärung tauglich ist. Tausig war sich bewusst, dass diese Möglichkeiten begrenzt waren: „Ich habe früher gedacht, wenn man humanistische Stücke richtig spielt, werden die Leute unten humaner. Aber das stimmt nur für die, die ohnehin schon am Weg sind, humaner zu werden. Einen Nazi wird man nicht umpolen, indem man ihm ein gutes Stück vorspielt.“

Als Mensch war er der Überzeugung, dass nur Menschen die Gesellschaft verändern könnten. Vielleicht gründete das in seiner bis zuletzt marxistischen (aber nicht kommunistischen) Grundsicht der Welt, vielleicht in seinem skeptischen Deismus, den er als Agnostizismus beschrieb. Wir Menschen, meinte er, könnten nicht erkennen, ob es Gott gibt oder nicht. „Wenn es ihn gibt, kümmert er sich nicht darum, ob man in der Synagoge einen Hut trägt oder barhäuptig in eine Kirche geht.“ Was bleibt da, außer selbst etwas zu tun?

In den letzten Jahren sind die politisch motivierten Vorbehalte gegen Tausig verschwunden. Das hatte sicher mit seiner Bekanntheit als Schauspieler zu tun. Und mit einem Umstand, den die konservative Tageszeitung Die Presse in ihrem Nachruf auf den Punkt bring: „Ihn selbst zeichnete das aus, was er auch seinen Bühnenfiguren mitgab: Charakter, Engagement und Rückgrat.“ Das gab ihm eine Glaubwürdigkeit, wie sie wenige besaßen.

Am 10. Oktober starb Otto Tausig nach langer schwerer Krankheit.

Christoph Baumgarten