Ungarn – der Weg zurück

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Familie Orbán bei Benedikt XVI./Screenshot youtube

(hpd) Europa und die Welt reden über die Finanzkrise, die sich - einem Krebsgeschwür gleichend - immer weiter ausbreite. Die Therapien gegen diese Wucherung sind so mannigfaltig wie wirkungslos. Nicht zuletzt liegt dies an fragwürdigen „Heilkünstlern“ vom Schlage eines Ronald Pofallas, der sich in plebejischer Manier mit seinem CDU-Parteikollegen Wolfgang Bosbach in die Haare gerät und nur noch auf diese Weise auf sich aufmerksam machen kann.

Die Kameras und Mikrofone der Medien sind in diesen Wochen auf Schuldenmacher wie Griechenland und Portugal gerichtet. Auch Italien steht am Pranger – etwas aufgelockert durch immer neue Enthüllungen über den umstrittenen Lebensstil seines Präsidenten. Meldungen über die Staaten Nordafrikas füllen die Lücken der Nachrichtensendungen auf, bis uns endlich die Wettervorhersage von den Problemen dieser Welt erlöst. Angesichts dieser Flut von Ereignissen wundert es kaum, dass sich fast unbemerkt, unkommentiert, und nur ab und zu eine Randnotiz wert, ein Land Europas im Eiltempo nach rückwärts bewegt.

Die Ungarische Republik galt bei den meisten politisch Interessierten als ein Staat, der trotz oder gerade wegen seiner wechselvollen Geschichte in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg eine häufig recht wagemutige Politik betrieb. In der Nachkriegsära, als das Land dem sozialistischen Staatensystem angehörte, machte man in Ungarn nicht alles mit, was der große Bruder in Moskau anordnete. Unter dem Begriff „Gulaschkommunismus“ gab es einige Erleichterungen für die ungarische Bevölkerung, die sich in anderen „Bruderstaaten“ schnell herumsprachen. Ein Beispiel dafür sind die Reisen ehemaliger DDR–Bürger an den Balaton, um sich dort ganz zwanglos mit ihren Verwandten aus dem Westen zu treffen.

Letztendlich schaffte das kleine Land Tatsachen, die den Exodus des sozialistischen Bündnisses einleiteten und Europa und die ganze Welt veränderten. Unter dem Vorzeichen der Perestroika in der Sowjetunion ließen ungarische Politiker die Grenze öffnen. Mit diesem mutigen Schritt verschaffte sich das Land sehr großes und positives Ansehen in der Welt. In den folgenden Jahren war das Land damit beschäftigt, der politischen Wende die wirtschaftliche folgen zu lassen. Bis zum Wahlsieg der FIDESZ unter Vorsitz von Viktor Orbán war es ruhig um das Land.

Erst als Ungarn nach Spanien und Belgien am 1. Januar 2011 turnusmäßig den Ratsvorsitz der EU übernahm, blickte die Welt wieder verstärkt auf dieses EU–Mitglied. Und sofort gab es einen für Brüsseler Verhältnisse heftigen Protest gegen Orbáns Innenpolitik, die unter anderem auch mit der radikalen Einschränkung der Pressefreiheit einhergeht.

Neue Dimensionen des Erzkonservativismus

Der Protest verebbte jedoch schnell und bei der Übergabe des Vorsitzes an Polen im Juli 2011 lobte der polnische Präsident Donald Tusk die Ungarn und gab zu verstehen, dass: „...Ungarn die Ratspräsidentschaft tadellos versehen hat, obwohl es das Amt zu einer Zeit innehatte, die für Europa besonders schwierig war. Die ungarische Ratspräsidentschaft hat alle Erwartungen übertroffen. Das ist auch die allgemeine Meinung in Brüssel...“. Das Lob in Brüssel klingt wie Hohn angesichts der Zustände in Ungarn. Ein Land mitten in Europa wird von einer Clique regiert, die sich anschickt, die Freiheit des Einzelnen und seine Meinung drastisch einzuschränken. Der NDR berichtete am 09. Oktober 2011 über die Repressalien, denen Journalisten in Ungarn ausgesetzt sind. Mittlerweile versuchen sich Journalisten und Redaktionen mit vielen Tricks über Wasser zu halten, die denen ähneln, welche im sozialistischen Ungarn an der Tagesordnung waren. Es wird alles versucht, trotz der scharfen Pressegesetze zu überleben. Bei der Einschränkung der Pressefreiheit bleibt es allerdings nicht, die Regierung macht klar Schiff im Land und dabei mag sie keine Kritik.

Victor Orbán und seine Partei stellen das Erzkonservative auf eine neue Stufe. Damit verbunden sind der Aufschwung des Rechtsradikalismus, die offene Hinwendung zur katholischen Kirche und das Anheizen des Hasses auf Minderheiten. So besuchte Orbán Papst Benedikt XVI. mit der ganzen Familie, er verspricht, die Abtreibung zu verbieten sowie Staat und katholische Kirche wieder eng aneinanderketten. Das geht am schnellsten mit Geld, das die verschwenderische Amtskirche immer nötig hat. Die Vorrangstellung der katholischen Kirche über alle anderen Religionen ist auch so ein Plan von Viktor Orbán. Durch die Festschreibung solcher „Werte“ sind für die Zukunft Benachteiligungen von Homosexuellen oder Alleinerziehenden nicht auszuschließen. Der Platz der Republik in Budapest trägt seit seiner Seligsprechung den Namen von Johannes Paul II., dem polnischen Papst. Die Erinnerung an den Aufstand 1956 scheint dem „König Viktor von Ungarn“ weniger bedeutsam als das Andenken an einen Kirchenfürsten.

In dem Maße, wie die öffentliche Kritik von der Politik unterdrückt wird, können sich Ewiggestrige immer mehr ins Licht der Gesellschaft wagen. Rechte paramilitärische Gruppen schießen wie Pilze aus dem Boden und finden gute Bedingungen vor. Hier ein paar Schießübungen, dort ein paar „Zigeuner“ erschrecken, all das ist möglich im Ungarn des Jahres 2011. Der Absolution der Staatslenker können sich diese Banden schon heute sicher sein. Den Rest besorgt die Kirche, die bekannt dafür ist, dass sie im Namen Gottes alles verzeiht, was ihrer Machtausübung nicht im Wege steht. Wenn wir einen Blick in unsere eigene Geschichte werfen, dann werden wir sehen, wohin marodierende Horden ein Land bringen können.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Ungarn sind erschreckend und bedrohend. Sie bilden eine explosive Mischung, die beim kleinsten Funken in die Luft gehen kann. Es gibt reichlich Beispiele in der Geschichte, die belegen, dass auch gewählte Regierungen irgendwann autoritär zu regieren beginnen und durch Unterdrückung, dem Schüren von Minderheitenhass sowie durch Duldung von paramilitärischen Gruppierungen den Weg ins politische Chaos eines Landes, eines Erdteiles oder der halben Welt ebnen können. Das sollten wir sehen! Darüber sollten wir nachdenken!

Wir müssen die Konstellation in Ungarn ins öffentliche Bewusstsein bringen, dort so lange halten, bis sich etwas ändert und wir sollten denen helfen, die in Ungarn unter den Sanktionen zu leiden haben.

Der Fall Ungarn zeigt, dass die Krise Europas nicht die Krise des Finanzsystems allein ist. Europa ist mit Furunkeln übersät, die wachsen und wachsen. Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Symptome. Das geeinte Europa ist eine große Chance, doch die sollte nicht vertan werden, indem man jeden nach seiner Fasson gewähren lässt, ohne darauf aufmerksam zu machen.

Thomas Häntsch