Nazi-Morde: Der Staat und die Opfer

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Foto: Frank Navissi

BERLIN. (hpd) Zwischen September 2000 und April 2007 töten Mitglieder einer rechtsextremistischen Terrorzelle insgesamt zehn Menschen. Bei den Opfern handelt es sich um acht Männer türkischer Herkunft, einen Griechen und eine Polizistin. Staat und Behörden verorten die Taten im privaten Umfeld der Opfer. Die Aufklärung der Mordserie ist von Ermittlungsfehlern und der bislang ungeklärten Rolle des Verfassungsschutzes gekennzeichnet.

Die Bundesregierung verweigert den Angehörigen der Opfer ihre öffentliche Anteilnahme und Entschuldigung. Bundespräsident Wulff will stattdessen hinter verschlossenen Türen ein vertrauliches Gespräch mit den Betroffenen führen.

Am Abend des 13. Novembers versammelten sich Mitglieder der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) vor dem Brandenburger Tor zu einer Mahnwache, um der Opfer zu gedenken. An der Veranstaltung beteiligten sich der Zentralrat der Juden und vereinzelte Politiker. Offizielle Vertreter der Bundesregierung blieben der Mahnwache fern.

Am 14. November äußerte sich Außenminister Westerwelle zu den extremistischen Mordanschlägen. "Das ist nicht nur furchtbar für die Opfer, das ist nicht nur schlimm für unser Land, es ist vor allen Dingen auch sehr, sehr schlimm für das Ansehen unseres Landes in der Welt“ sagte er am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel.

Während des CDU-Parteitags in Leipzig setzte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert gegenüber Angela Merkel für eine angemessene Trauerbekundung ein. Zu einer Gedenkstunde im Parlament oder einer öffentlichen Trauerfeier konnte man sich jedoch nicht durchringen.

Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, forderte eine Entschuldigung der Verantwortlichen, die im Hinblick auf die Mordanschläge sofort jeglichen Bezug zur Fremdenfeindlichkeit ausgeschlossen haben. Er wunderte sich darüber, dass Angela Merkel noch keine „Worte der Anteilnahme“ gefunden hat und drängte darauf, den Angehörigen der Opfer zu einem angemessenen Rahmen für ihre Trauer zu verhelfen.

Sorge um den guten Ruf

Für Guido Westerwelle wiegt die Außenwirkung der Taten schwer: „Furchtbar“ seien die Mordanschläge für die Opfer aber „vor allen Dingen“ seien sie „sehr, sehr schlimm“ für das Ansehen Deutschlands. Die Angehörigen der Ermordeten erwähnte der Außenminister in diesem Zusammenhang nicht.

Tatsächlich zeigte man sich im Ausland konsterniert über die Nazimorde und den offiziellen Umgang mit den Opfern, den Angehörigen und den Tätern. So fragte die spanische Tageszeitung El Pais, wie es sein könne, dass eine Gruppe von Neonazis die deutsche Justiz 13 Jahre lang an Nase habe herumführen können – in einem Land, „wo es selbst für das Radfahren ohne Licht Strafen gibt“. Das türkische Außenministerium erwartet die lückenlose Aufklärung der Morde und forderte von Deutschland, alles zu tun, um „radikale Strömungen“ einzudämmen.

Die Regierung befürchtet, eine parlamentarische Gedenkstunde könne den Eindruck der Geschlossenheit des Bundestages in Frage stellen. Weil die Fraktionen ihre unterschiedlichen Vorstellungen im Parlament zu deutlich betonen könnten, soll nun Bundespräsident Wulff die Angehörigen der Opfer stattdessen zu einer vertraulichen Gesprächsrunde im Schloss Bellevue empfangen. Vorbereitende Gespräche hierzu werden bereits geführt.

Bedenklicher Sprachgebrauch

Seit 2000 sind die Angehörigen einem unangemessenen und respektlosen Umgang mit den Taten ausgesetzt. Die Bezeichnung „Döner-Morde“, der Name der polizeilichen Sonderkommission „Bosporus“, der Verweis auf die sogenannte „Halbmond-Mafia“: Behörden, Medien und Politik haben durch einen bedenklichen Sprachgebrauch von Beginn an suggeriert, es handle sich um Taten, bei denen sich „Ausländer“ gegenseitig umbrächten.

Als Motive wurden hierbei immer wieder angebliche Verstrickungen der Opfer in das Glücksspiel-, Waffen- oder Wettmilieu ins Spiel gebracht. Die Ermittler konzentrierten sich vor allem auf persönliche Bezüge zwischen den Ermordeten und forderten wiederholt die in Deutschland lebenden Türken zur Mithilfe bei der Aufklärung auf. Rechtsextreme Motive wurden dabei bereits frühzeitig ausgeschlossen. Die Sonderkommission „Bosporus“ wurde nach knapp dreijähriger Tätigkeit im Februar 2008 aufgelöst. Abschließend teilte ihr Leiter Wolfgang Geier mit, dass entweder ein einzelner Mörder mit privaten Motiven oder eine kriminelle Vereinigung hinter den Taten stecke.

Die Opfer kannten sich untereinander nicht. Es gab von Beginn an keine Hinweise auf signifikante Parallelen oder Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Biografien oder Lebensgewohnheiten. Und es wurde bei allen Morden dieselbe Tatwaffe verwendet. Alleine aus diesen Erkenntnissen und der Tatsache, dass es sich bei den Ermordeten, mit Ausnahme der getöteten Polizistin, um Deutsche mit ausländischen Wurzeln handelt, hätte sich der Verdacht ableiten müssen, dass man es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer rechtsextremistisch motivierten Mordserie zu tun hat.

Im Mai 2006 wurde auf der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern darüber verhandelt, die Aufklärung der Mordserie an das Bundeskriminalamt zu übertragen und damit höher zu priorisieren. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) setzte sich dafür ein, den „Fall“ bei der bayerischen Polizei zu belassen und konnte sich mit dieser Auffassung letztlich durchsetzen.

Mindestens 147 Todesopfer rechter Gewalt

Die Zuständigkeit für die Mordserie fällt auf Bundesebene unter verschiedenen Gesichtspunkten in das Ressort von Innenminister Hans-Peter Friedrich. Das Innenministerium zeichnet unter anderem für die Bereiche Kriminalitätsbekämpfung, innere Sicherheit, Verfassungsschutz, Extremismus, nationale Minderheiten und Integration verantwortlich.

Bislang hat Friedrich gegenüber den Angehörigen der Opfer keine Worte der Anteilnahme oder der Entschuldigung gefunden. Stattdessen setzte er sich für strengere Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen ein. Noch am 13. November sprach der Minister gegenüber der Tagesschau selber öffentlich von den „Döner-Morden“. Gleichzeitig betonte er, der Staat habe die rechte Szene fest im Griff.

Der Innenminister drängt jetzt auf die Einrichtung einer zentralen Verbunddatei, in der Polizei und Verfassungsschutz aus Bund und Ländern Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten sammeln sollen. Was in diesem Zusammenhang verschwiegen wird: Das BKA führt bereits seit Januar 2001 zwei dieser Datenbanken. Eine Verbunddatei unter der Bezeichnung „Gewalttäter rechts“ enthielt zum 1. Oktober 2011 insgesamt 1.013 entsprechende Datensätze. Die Zentraldatei „PMK-rechts-Z“ (Politisch motivierte Kriminalität rechts – Zentralstelle) umfasste zum selben Datum 610 Datensätze.

Es ist nicht erkennbar, ob Hans-Peter Friedrich die Existenz der beiden Datenbanken vor der Öffentlichkeit verheimlicht oder ob er selber nicht weiß, dass diese Daten bereits seit mehr als zehn Jahren erhoben und gesammelt werden. Die vergleichsweise geringe Anzahl von Datensätzen (1.623) wirft dabei weitere Fragen auf. Der Verfassungsschutz beziffert in seinem aktuellen Bericht 25.000 Rechtsextremisten in Deutschland, von denen rund 9.500 als gewaltbereit eingestuft werden. Lediglich 17 Prozent der potenziellen Täter wurden bislang in den Datenbanken des BKA erfasst.