„Die Austreibung des armenischen Volkes“

(hpd) Der Lyriker Armin T. Wegner war auch Zeuge der Vertreibung der Armenier zwischen 1915 und 1917, wobei bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben kamen. Der Germanist Andreas Meier hat mit der Edition einer seiner späteren Aufklärungsreden den Bericht eines Zeitzeugen eines der ersten Völkermorde des 20. Jahrhunderts dem Vergessen entrissen.


Als Lyriker gilt er als weitgehend vergessen, als Zeitzeuge ist er es nicht: Armin T. Wegner (1886-1978) nahm als Sanitätsunteroffizier am Ersten Weltkrieg teil und konnte die Armeniervertreibungen aus nächster Nähe zur Kenntnis nehmen. Heute gelten die damit angesprochenen Ereignisse als Genozid, dem zwischen 1915 und 1917 bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Nach 1918 bemühte sich Wegner, auf diese Ereignisse anhand seiner eigenen und anderer Erfahrungen öffentlich aufmerksam zu machen. Hierzu gehörten zwischen 1919 und 1924 regelmäßige Vorträge, welche auch anhand von Fotomaterialien den Ablauf und die Folgen dieser Taten dokumentierten. Der Wuppertaler Germanist Andreas Meier gab jetzt den Text einer solchen Rede als Buch heraus, ergänzt um Erläuterungen zu Entstehung und Textgestaltung. Der Journalist Wolfgang Gust, selbst Herausgeber einer Quellenedition zum Thema mit dem Titel „Der Völkermord an den Armeniern 1915/1916“, steuerte noch ein erläuterndes Nachwort zur Einordnung in den Forschungsstand bei.

Wegner bemerkte bereits zu Beginn seines Vortrags: „Die armenischen Deportationen während des Kriegs in die Wüste in den Jahren 1915-1917 zeigen in einer selten abgeschlossenen Weise bis zu welchem Grade der Machtwahn der Staatsideen und der Blutrausch der bewaffneten Gewalt ein Land führen können“ (S. 12).

Genau dies sollten seine Ausführungen aufzeigen, wobei es ihm nicht darum ging, als „Ankläger gegen das türkische Volk“ (S. 13) aufzutreten. Nach kurzen Ausführungen zur Geschichte des armenischen Volkes ging Wegner auf die Herausbildung des Pantürkismus mit der Auffassung „Die Türkei den Türken, die ganze Welt des Orients sollte türkisch werden“ (S. 25) ein und sprach vom „furchtbare Plane“ (S. 26) der massenhaften Vertreibung der Armenier aus dem Land. Den Verlauf dieser folgenden Ereignisse erläuterte und veranschaulichte er dann anhand von Berichten und Fotos, welche in aller Eindringlichkeit die Konsequenzen dieser Politik für alte und junge, arme und reiche Armenier hatten.

Bereits bei einem der ersten Vorträge kam es zu Protesten der anwesenden Türken, unterstellt man Wegner doch einen manipulativen Umgang mit Fotos. Tatsächlich hatte er nicht nur eigene Aufnahmen, sondern auch Fotos von anderen Personen genutzt. Und eines dieser Bilder zeigte bei der Ausübung einer Prügelstrafe einen Perser und nicht einen Türken. Gleichwohl gehörten derartige Bestrafungsformen zu den gängigen Praktiken bei der Unterdrückung der Armenier durch die Türken. Darauf macht Gust in seinem kenntnisreichen Nachwort aufmerksam. Spätere Berichte und Forschungen bestätigten diese und andere Vorgehensweisen. Gleichwohl nutzten interessierte Kreise derartige formale Mängel, um die Aussagen über die brutalen Massenvertreibungen in Gänze in Abrede zu stellen. Wegner lieferte solchem Ansinnen aber auch Munition, indem er die seinerzeitigen Ereignisse anhand eines „fiktiven Deportationszugs“ (S. 172) erläuterte und eigene Beobachtungen zu einem „literarischen Stoff“ (S. 179) weiterentwickelte.

Dies räumt auch Herausgeber Meier in aller Deutlichkeit ein, was aus Wegner bezogen auf Details zu einem unzuverlässigen Zeugen macht. Gleichwohl bestätigte die spätere Forschung anhand der unterschiedlichsten Quellen seine Aussagen zu Ablauf und Dimension der Vertreibungen. Wegner kann daher auch heute noch als bedeutender Zeitzeuge eines der schrecklichsten Massenverbrechen des in dieser Hinsicht nicht armen 20. Jahrhunderts gelten.

Meier kommt das Verdienst zu, den ursprünglichen Vortragstext wieder breiter zugänglich gemacht zu haben. Dies geschieht keineswegs auf unkritische Art und Weise. Mitunter ist man bei der Lektüre seiner kritischen Anmerkungen versucht, an die Leugner und Relativierer der Massenmorde an den Juden im Zweiten Weltkrieg zu denken. Auch sie heben kleinere Fehler und persönliche Literarisierungen in Darstellungen und Zeugenaussagen hervor, um das ganze Ereignis in Ablauf und Dimension in Zweifel zu ziehen. Dass dem in beiden Fällen nicht so ist, hat die Genozidforschung seit langer Zeit gut dokumentiert.

Armin Pfahl-Traughber

 

Armin T. Wegner, Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste. Ein Lichtbildvortrag. Herausgegeben von Andreas Meier. Mit einem Essay von Wolfgang Gust (Wallstein-Verlag), 216 S., 24 €.