WIEN. (hpd) Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) fordert, dass Imame in Österreich ausgebildet werden. Wenn möglich an theologischen Fakultäten an öffentlichen Universitäten. Eine Forderung, die geeignet ist, eine Debatte in Österreich loszutreten. Ob über den Islam oder das österreichische System der Staatsreligionen, ist offen.
Der gelernte Österreicher hört schon die Aufregung der Rechtsparteien: „Den Islam staatlich fördern? Nie und nimmer. Die müssen sich zuerst integrieren.“ Oder so ähnlich. Spätestens seit Mittwoch wird man Fuat Sanac, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) nicht mehr vorwerfen können, er sei nicht integriert. Im Ö1-Mittagsjournal forderte er, dass Imame in Österreich ausgebildet werden sollen. Auf Staatskosten. Das mag er so direkt nicht gesagt haben – aber er sprach deutlich genug davon, dass er sich für die Ausbildung islamisch-theologische Fakultäten an den österreichischen Universitäten wünsche. Oder zumindest einen Lehrstuhl, man will ja bescheiden bleiben.
Wer das System der österreichischen Staatsreligionen kennt, weiß, dass solche Fakultäten staatlich finanziert sein müssen. Die Personalhoheit und die inhaltlichen Vorgaben liegen weiter bei der Religionsgemeinschaft – die Trennung von Staat und Religion muss ja gewahrt bleiben. In der heimischen Version (die auch in Deutschland gilt) heißt das: Der Staat zahlt, die Religion bestimmt. Wer eine solche Forderung aufstellt, hat das österreichische System verinnerlicht. Viel integrierter kann man nicht sein.
Aus der Logik des heimischen Systems heraus ist die Forderung Sanacs verständlich. Die Katholiken haben vier theologische Fakultäten an öffentlichen Unis, die Protestanten eine. Es gibt – zumindest auf dem Papier – mehr Muslime als Protestanten in Österreich. Rechtlich gesehen sind die drei Religionen gleichgestellt. Daraus lässt sich sehr einfach ein Rechtsanspruch auf eine staatlich finanzierte Ausbildungsstätte ableiten. Hinterfragt man diese Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich, spricht nichts gegen Sanacs Forderung, zumindest eine theologische Fakultät an einer öffentlichen Uni einzurichten. Die Aussage gehorcht der Systemlogik. Wer sich mit der österreichischen (und deutschen) Version der Trennung von Staat und Kirche zufriedengibt, kann Sanac nur aus vollem Herzen unterstützen. Gleiches Recht für alle, so funktioniert Demokratie. Wer A sagt, muss auch B sagen. Außerdem gibt es auf der Uni Wien schon eine islamisch-pädagogische Fakultät. Die vorhersehbare Aufregung über eine mögliche islamisch-theologische Fakultät erscheint absurd.
Wer nicht will, dass die Republik Österreich Imame auf ihre Kosten ausbildet, kann nur eine säkulare Lösung dagegenhalten: Was haben theologische Fakultäten überhaupt auf Unis verloren? Selbst wenn sie der Oberhoheit ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft entzogen würden, erscheint fraglich, ob das Fach Theologie den Anforderungen genügt, die man gemeinhin an Wissenschaft stellt. Aber lassen wir das.
Innerhalb des säkularen Gedankengebäudes erscheint Sanacs Forderung absurd. Es hat ihn niemand davon abgehalten, Imame selbst auszubilden. Die katholische Kirche tut das seit jeher auf ihren eigenen Priesterseminaren. Sie betreibt auch theologische Fakultäten abseits öffentlicher Unis wie die Päpstliche Hochschule in Heiligenkreuz. Die finanziert sie auch selbst. Warum soll das den mehreren hundert islamischen Gemeinden in Österreich nicht möglich sein? Im Zweifelsfall müssen sich einige zusammenschließen, um das nötige Geld aufzutreiben. Das verbietet ihnen niemand. Niemand zwingt sie, Imame aus der Türkei oder aus Saudi Arabien zu beschäftigen. Die sind nicht selten abhängig von den jeweiligen Regierungen. Einige, wenn auch nicht alle, stehen im Ruf, ihre Hauptaufgabe darin zu sehen, die Migranten ideologisch wieder auf Kurs zu bringen. Sprich: Ihnen ausgesprochen konservatives Gedankengut zu predigen. Das kommt weder bei der informierten Öffentlichkeit gut an noch offenbar bei vielen Muslimen. Sanac selbst argumentiert seine Forderung damit, die ausländischen Imame würden die hiesigen Verhältnisse nicht gut genug verstehen. (Dass ihn das stört, macht Sanac nicht notwendigerweise zu einem Vertreter eines säkularen Islam. Aber die persönliche Verortung ist sein Problem.)
Dass das jahrzehntelang anders gelaufen ist als man jetzt für ideal hält, haben sich die muslimischen Gemeinden und die IGGiÖ als ihre rechtliche Vertretung selbst zuzuschreiben. Sie haben es nicht auf die Reihe gebracht. Warum auch immer. Die Politik hat es ihnen bei allen Privilegien, die sie Religionsgemeinschaften wie dem Islam zugesteht, nicht gerade einfach gemacht. Zu einem guten Teil liegt Versagen auch am eher absurden Konstrukt der IGGiÖ als Dachverband über alle muslimischen Strömungen mit Ausnahme der Aleviten. Die sind seit dem Vorjahr eine eigenständige Bekenntnisgemeinschaft. Ähnliche Probleme hätte etwa ein christlicher Dachverband in den palästinensischen Autonomiegebieten. Von Orthodox über katholisch bis evangelisch und evangelikal wäre da alles drin. Die können sich bekanntermaßen nicht einmal über die Benützung der Geburtskirche in Betlehem einigen. Was erwartet man da von einer IGGiÖ? Dass sie eine Priesterausbildung zustande bringt, die sowohl Sunniten wie Schiiten zufriedenstellt, dazu vielleicht noch die Sufis? Von den Sub-Strömungen ganz zu schweigen. Das geht nicht.
Sunniten und Schiiten
Das merkt man auch an Sanacs Forderung. Die kommt ausschließlich Sunniten und vielleicht einigen kleineren Gruppierungen zugute. Schiiten verstehen unter dem Begriff Imam etwas ganz anderes. Die Vorstellung, so etwas könne man einer staatlichen Universität ausbilden, wird sie vermutlich köstlich amüsieren. Was die Frage aufwirft, warum die Republik Österreich eine Fakultät finanzieren soll, die nur einer islamischen Konfession zugutekommt und den anderen nicht.
Das macht deutlich, wie untauglich ein Konstrukt wie die IGGiÖ ist – und wie widersinnig die österreichische Gesetzeslage. Sobald Religionsgemeinschaften einen privilegierten rechtlichen Status haben, brauchen sie eine rechtliche Vertretung. Bei Religionen, die sehr dezentral organisiert sind, ist das eine Unmöglichkeit. Zumal, wenn auch widerstrebende bis verfeindete Strömungen in ein gemeinsames Vertretungskonzept gepresst werden. Wer meint, Religionen besonders privilegieren zu müssen, beschwört solche Fehlkonstruktionen herauf. Sie sind unvermeidbar.
Implizit bevorzugt jedes System, das Religionsgemeinschaften scheinbar untereinander gleichberechtigt gegenüber anderen Formen der Weltanschauung privilegiert, zentral organisierte Religionsgemeinschaften: Sie haben die passende Struktur, um am Kuchen mitzunaschen. Was die zusätzliche Frage aufwirft, wie ein solches System grundsätzlich vereinbar ist mit dem Recht auf Religionsfreiheit. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass alle Religionen (und die Freiheit von Religion) gleichwertig und gleich zu behandeln sind. Fängt man an, Religionen zu privilegieren wie es in Österreich und Deutschland der Fall ist, ist die Gleichbehandlung perdu. Ein weiteres Argument, warum solche Systeme in einer modernen Demokratie nichts verloren haben.
Christoph Baumgarten