LONDON. (hpd) In einer Umfrage aus dem Jahr 2010 hat sich gezeigt, dass die Bevölkerung Großbritanniens sich mehrheitlich nicht mehr als religiös-christlich versteht. Da die Jüngeren noch konfessionsfreier sind als die Älteren dürfte sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken.
Das Nationale Zentrum für Sozialforschung sieht, so die Sozialforscherin Lucy Lee, seine Aufgabe unter anderem darin, die Religiosität in Großbritannien genau zu ermitteln, weil es eine vertrauenswürdige Grundlage dafür brauche, zu wissen, wie die Einstellungen der Briten zur Religion sind. Anderenfalls müsste man die Darstellungen akzeptieren, die religiöse oder säkulare Meinungsführer dazu äußern.
Wie die kürzlichen Debatten in Großbritannien zur Volkszählung gezeigt hätten, bestimme das Ausmaß von Religiosität die Zuwendung und die Finanzierung von religiösen Gruppen (und folglich auch ihrer säkularen Gegenüber). Damit stehe auch die staatliche Finanzierung von Konfessionsschulen in Zusammenhang ebenso wie die Diskussion, ob die anglikanischen Bischöfe ihre Sitze im Oberhaus des Parlaments behalten sollen. Frühere Untersuchungen hätten zudem ergeben, dass religiöse Orientierungen einhergingen mit sozialen Einstellungen und Bewertungen, sei es zum Schwangerschaftsabbruch, den traditionellen Geschlechterrollen oder zum vorehelichen Sex. So ist anzunehmen, dass Veränderungen in der Religiosität auch Veränderungen in sozialen Einstellungen nach sich ziehen würden.
Jedoch ist die Messung von Religiosität keine eindimensionale Übung. In den Vorbereitungen zum Zensus 2011 hatten einige Journalisten und Blogger auf die unterschiedlichen Befunde zwischen der Volkszählung 2001 hingewiesen, in der 72 Prozent der Bevölkerung als christlich eingestuft worden waren, während sich bei einer Befragung des gleichen Jahres nur 43 Prozent der Befragten als christlich bezeichnet hatten. Das beruht unter anderem auf der Art der Fragestellung, den Antwortmöglichkeiten und dem unterschiedlichen Kontext. Das Nationale Zentrum für Sozialforschung stellt seine Befunde neben dem zeitlichen Vergleich auch in den Kontext von Religiosität und der religiösen Erziehung, der Nähe und der Ausübung.
In Großbritannien wird man Kirchenmitglied mit seinem Selbstverständnis, Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu sein und seiner sozialen Aktivität im Rahmen der Kirche.
In der Umfrage 2010 des Zentrums gibt es entsprechend ein Kapitel über Religion in Großbritannien.
Auf die Frage: „Betrachten Sie sich selber als Zugehöriger zu einer bestimmten Religion?“ Und falls JA: „Welche“ antworten 50 Prozent der Befragten, dass sie sich keiner Religion zugehörig fühlen. 20 Prozent geben an, sich der Kirche von England (Anglikaner) zugehörig zu fühlen, 15 Prozent betrachten sich als anders christlich, 9 Prozent als römisch-katholisch und 6 Prozent als nicht-christlich.
Absprungraten
In einer weiteren Frage wurde ermittelt, im Rahmen welcher Religion man aufgewachsen sei bzw. welche Religionszugehörigkeit die Familie hatte. Das wurde dann in den Zusammenhang der aktuellen Religionszugehörigkeit gesetzt und es zeigte sich, dass die Nicht-Religiösen am stabilsten in ihrer Orientierung sind: 94 Prozent von ihnen sind auch in einem nicht-religiösen Umfeld groß geworden. Von den im Zusammenhang mit der Anglikanischen Kirche Aufgewachsenen, sind mittlerweile 43 Prozent ohne Religionszugehörigkeit, von den katholisch Sozialisierten sind mittlerweile 32 Prozent ohne Religionszugehörigkeit. Vergleichbar stabil wie die Konfessionsfreien sind auch die Nicht-Christlichen, von denen 87 Prozent sich auch heute noch so verstehen.
In einer dritten Frage wurde ermittelt, wie häufig die Befragten - abgesehen von speziellen Gelegenheiten wie Hochzeiten, Beerdigungen oder Taufen - aktuell an Dienstleistungen oder Treffen teilnehmen, die mit ihrer Religion verbunden sind. 56 Prozent sind in dieser Hinsicht nicht aktiv und nur 14 Prozent der Befragten nehmen zumindest einmal in der Woche an religiösen Veranstaltungen teil.
Von diesen regelmäßigen Teilnehmern an religiösen Veranstaltungen (wie beispielsweise Gottesdiensten) sind es nur 8 Prozent der Anglikaner, 28 Prozent der Katholiken, aber 39 Prozent der Nicht-Christen und, was zu erwarten war, nur ein Prozent der Konfessionsfreien.
Je jünger, desto konfessionsfreier
In weiteren demographischen Facetten zeigt sich dann, dass diese Entwicklung weiter gehen wird, denn nach Altersgruppen betrachtet, steigt der Anteil der aktiven Religiösen in den Altersgruppen. Sind es noch 24 Prozent der 18-24-Jährigen, die zu dieser Gruppe gehören, so sind es 39 Prozent der 65-97-Jährigen. Bei den Konfessionsfreien ist entsprechend umgekehrt. Betrachten sich 28 Prozent der ältesten Befragtengruppe als religionsfrei, so sind es in der Altersgruppe der 18-24-Jährigen zwei Drittel (65 %), die sich als „Ohne Religionszugehörigkeit“ verstehen.
In einer abschließenden Zeitreihe von 1983 bis 2010 zeigt sich, dass die Anglikaner am stärksten verloren haben (von 40 % auf 20 %), die anderen Religionszugehörigkeiten recht stabil mit unter 5 Prozent Veränderung geblieben sind, während die Religionsfreien um 19 Prozentpunkte zugelegt haben (von 31 % auf 5o %).
Insofern bestätigen die Ergebnisse in Großbritannien die Trends zur Säkularisierung, wie sie auch in Deutschland feststellbar sind. Bei der Religiosität nach Religionszugehörigkeiten war 2002 bereits eine ähnliche Größenordnung von beinahe Halbe / Halbe (46 : 54) festzustellen, was sich mittlerweile vermutlich angeglichen hat, da die Religiosität nach Altersgruppen eine ähnliche Altersverteilung wie in Großbritannien aufweist.
Im diesem Jahr 2012 wird es wieder eine ALLBUS-Umfrage (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) geben, die sich im Zehnjahresrhythmus (bisher 1982-1992-2002) schwerpunktmäßig mit religiösen Einstellungen befasst. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein.
C.F.