„Mehr eine Frage der Macht als der Argumente“

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Dr. Dr. Martin Balluch / Foto: privat

WIEN. (hpd) Martin Balluch ist einer der Preisträger des mit 50.000 Euro dotierten Myschkin-Preises, der Ende Januar zum ersten Mal verliehen wurde. Im Interview mit dem hpd sprach der Tierrechtsaktivist, Philosoph und frühere Universitätsassistent Stephen Hawkings über effektive Wege in eine Gesellschaft, die nichtmenschliche Lebewesen nicht mehr verächtlich behandelt.

Am 30. Januar 2012 wurde von der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe der neu geschaffene Myschkin-Preis zum ersten Mal vergeben. Zum Gründungskomitee des Myschkin-Preises, benannt nach einer Romanfigur Fjodor Dostojewskis, zählte unter anderem der Philosoph Peter Sloterdijk sowie der Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel. Mit der Ehrung sollen „kulturschöpferische und ethische Leistungen geehrt werden, deren Urheber sich durch vorbildhafte Beiträge zur Schaffung eines Klimas der Generosität  hervorgetan haben“.

Die diesjährigen Preisträger waren der französische Schriftsteller und Diplomat Stéphane Hessel, der italienische Psychiater Gaetano Benedetti und der Tierrechte-Aktivist Martin Balluch. Sie hatten sich im Rahmen des „advokatorischen Humanismus“ verdient gemacht. Es hieß, im Sinne des advokatorischen Humanismus „engagierten sich Einzelne gleichsam als Anwälte von Mitlebenden, denen aus diversen Gründen das Eintretenkönnen für ihre eigenen Interessen verwehrt ist.“

Martin Balluch, der in Physik und Philosophie promovierte und mehrere Jahre als Universitätsassistent neben Stephen Hawking an der Universität Cambridge arbeitete, ist unter anderem Obmann des Vereins gegen Tierfabriken in Österreich. Im Interview mit dem hpd sprach Martin Balluch, Protagonist im Prozess um den Schimpansen „Hiasl“, über die Bedeutung der Ehrung und seine Arbeit. Er meint dabei, die rationale Diskussion über Fortschritte im Tierschutzrecht sei eine Einbahnstraße. Statt weiterer Aufklärung wären  Gesetzesänderungen das effektivere Mittel. Und er hofft, die Preisvergabe könne ein Weckruf für das progressive Österreich sein.

hpd: Was bedeutet es Ihnen, einer der ersten Empfänger des Myschkin-Preises geworden zu sein?

Dr. Dr. Martin Balluch: Das bedeutet mir sehr viel. Die offiziellen PolitikerInnen in der Regierung geben sich gegenseitig laufend Preise. Das soll wahrscheinlich die eigene Wiederwahl fördern und möglicherweise auch mächtige Personen dazu bringen, in Zukunft mehr im Sinne der PreisverleiherInnen zu entscheiden. Beim Myschkin-Preis ist das ganz anders.

hpd: Inwieweit anders?

Balluch: Das Preiskomitee besteht aus unabhängigen Privatpersonen. Und der Preis wird gerade an Menschen verliehen, die keine „offizielle“ Macht haben, sondern sich „von unten“ für gute Projekte engagieren und – wie in meinem Fall – durch die offizielle Seite deshalb sogar einiges mitmachen müssen. Insofern ist der Preis eine schallende Ohrfeige für jene Kräfte, die den Tierschutzprozess gegen mich betrieben haben und weiterhin versuchen, mich und meine Arbeit zu kriminalisieren. Er ist aber auch ein Weckruf für das progressive Österreich, eine derartige politisch motivierte Repression nicht so relativ kritiklos hinzunehmen, wie das in unserem Fall geschehen ist.

hpd: Woran liegt das?

Balluch: Wahrscheinlich liegt das daran, dass Tierschutz in diesen Kreisen noch immer nicht als wichtiges gesellschaftspolitisches Thema anerkannt wird. Dass ich als Tierschützer diesen Preis jetzt erhalten habe, der ja den gesamten advokatorischen Humanismus für alle Anliegen umfasst, Menschenrechte wie Tierrechte, wertet Tierschutz auf und macht mich besonders stolz, diesen Preis erhalten zu haben.

hpd: Sie sprachen gerade von einem Weckruf für das progressive Österreich: Glauben Sie, dass die Menschen in Österreich im Vergleich zu Menschen in anderen europäischen Ländern beim Thema Tierschutz und Tierrechte noch einen großen Nachholbedarf haben?

Balluch: Nein, nicht im Vergleich mit anderen Ländern. In Österreich gibt es nicht viele insbesondere gesellschaftspolitische Fragen, in denen wir weltweit als Vorbild gelten können. Aber durch die Arbeit der Tierschutzorganisationen ist das im Tierschutz schon so, wir hatten weltweit das erste Wildtierverbot im Zirkus, Pelzfarmverbot, komplette Tierversuchsverbot für alle Menschenaffen, Käfighaltungsverbot für Fleischkaninchen usw. Die progressiv-intellektuelle Szene in Österreich hat aber starke Hemmungen, den Tierschutz als ernsthaftes gesellschaftspolitisches Thema anzuerkennen. Tierschutz gilt da oft als unpolitisch, als konservativ und als kleinkariert. Ich hoffe, dass der Myschkin-Preis dazu beiträgt, diese Vorurteile abzubauen.

hpd:  Von staatlicher Seite wurde gegen Sie und andere Tierrechts-Aktivistinnen und -Aktivisten in Österreich in den vergangenen Jahren wie gegen Terroristen und Staatsfeinde vorgegangen. Welche Schlüsse haben Sie gezogen?

Balluch: Österreich ist offensichtlich wesentlich korrupter und anfälliger für politischen Missbrauch seiner Institutionen, als bisher angenommen. Hierzulande sitzt leider seit vielen Jahrzehnten mit der ÖVP eine Partei am Ruder, die nicht nur in der Tierindustrie und der Jägerschaft sehr verwurzelt ist, sondern die auch mittels katholischer Burschenschaften ein politisches Netzwerk betreibt und über den Raiffeisenverband auf ein umfassendes Machtmittel zugreifen kann. Die ÖVP hat wiederholt den Tierschutz und insbesondere den VGT öffentlich zu diffamieren versucht. Es waren Mitglieder dieses Burschenschafternetzwerks bzw. von dieser Partei, die das Tierschutzverfahren ausgelöst und als Staatsanwalt vorangetrieben haben.

hpd: Und spüren Sie nun etwas Genugtuung, nach dem Sie geehrt wurden?

Balluch: Der Preis war tatsächlich eine große Genugtuung und Freude. Allerdings hat uns nur das offizielle Österreich verfolgt und diffamiert. Aus der Bevölkerung haben wir durchgehend immer viel Sympathie und Solidarität erfahren. Ich habe mich auch sehr gefreut, als ich aus der Untersuchungshaft kam und mir unbekannte Personen mir wie selbstverständlich einen Laptop, ein Fahrrad und Armbanduhren schenkten oder mir sogar eine Wohnung anboten!

hpd: Ihre Arbeit war nicht nur von einem großen Engagement geprägt, sondern auch von großem Mitgefühl motiviert. Dahinter steckt vermutlich eine vielleicht außergewöhnliche Empathie. Warum haben viele andere Menschen große Probleme mit diesen Fähigkeiten? Ist das ein lösbares Problem oder Teil menschlicher Natur?

Balluch: Ich denke schon, dass Empathie in der menschlichen Natur, ja vielleicht sogar in der Natur aller sozial lebenden Tiere verankert ist. Als soziale Lebewesen bezieht sich unsere Empathie aber in allererster Linie auf unsere Gruppe, unsere Familie. Es ist ein oft mühsamer intellektueller Akt, unsere Empathie auszuweiten, zeitlich wie räumlich und kausal. Im Tierschutz wird das meiste Geld für die unmittelbare Hilfe von konkret in Not geratenen Tieren gespendet.

hpd: Was ist aus Ihrer Sicht die Ursache für dieses Phänomen?

Balluch: Wenn die Not ein Gesicht hat, das man kennenlernen kann, dann setzt die an unserer Gruppe evolutionär entwickelte Empathie ein. Geld für eine Kampagne zu sammeln, die ein Gesetz ändern will, das dann wesentlich mehr Tierleid in Zukunft verhindern kann, ist schon viel schwieriger. Am wenigsten Spenden kommen für unser Schulprojekt herein, wenn wir Kindern und Jugendlichen den Tierschutzgedanken näherbringen wollen, damit diese in Zukunft für Gesetze eintreten, die wiederum in weiterer Zukunft Tierleid verhindern können.

hpd: Welche Alternativen gäbe es denn noch, um Menschen zu erreichen? Was ist, wenn die konventionellen Wege der Öffentlichkeitsarbeit nicht ausreichen, um untragbare Zustände zu verbessern?

Balluch: Deshalb ist es viel besser, eine indirekte Tierquälerei, wie den Konsum von Produkten aus der Massentierhaltung, nicht der individuellen Entscheidungsfreiheit zu überlassen, sondern gesamtgesellschaftlich zu verhindern. Politische Entscheidungen dieser Art sind aber schon seit geraumer Zeit mehrheitsfähig und ich bin sicher, dass wir durch Regeländerungen einen  tiergerechteren Umgang mit Tieren zustande brächten, wenn wir nur einen direkt demokratischen Einfluss auf solche Entscheidungen hätten.

hpd: Sie vertreten in Ihrer Arbeit ein eher politisches statt aufklärerischeres Reformkonzept. Gesetzesänderungen seien effektiver als Informationen, heißt es. Wie, glauben Sie, kann sich der Gedanke von Tierrechten dabei gegenüber den Allianzen aus Kreisen libertärer und konservativer Haltungen wirklich durchsetzen?

Balluch: Ich meine die rationale Diskussion über Fortschritte im Tierschutzrecht ist eine Einbahnstraße. Was mit Tieren momentan geschieht ist so offensichtlich falsch und nicht mehrheitsfähig, dass, wenn überhaupt eine ernsthafte Diskussion zugelassen wird,  der gesetzliche Fortschritt kommt. Es ist also mehr eine Frage der Macht als der Argumente. Die Mehrheit der Menschen ist zumindest in Sachen Massentierhaltung bereits aufgeklärt, was wir jetzt erreichen müssen, ist, dass diese Mehrheit auch die Gesetze bestimmt.

hpd: In welchem Verhältnis stehen Ihrer Meinung nach eigentlich die größeren Religionen und die Idee der Tierrechte?

Balluch: Es scheint mir in jeder Religion einerseits Denkansätze und andererseits auch aktive Subgruppen zu geben, die Tierrechten positiv gegenüberstehen. Katholizismus ist ja nicht für seine Tierliebe bekannt, dennoch gibt es katholisch-theologische Dissertationen zu Tierrechten, vegetarische Priester und katholisch-theologische Universitätsprofessoren, sowie katholische Tierschutzgruppen. Leider gibt es aber auch schwarze Schafe wie den Pfarrer des Stefansdoms in Wien, Toni Faber, der sogar auf die Jagd geht und in Zeitschriften für den freien Zugang zu Waffen publiziert.

hpd: Die „FAZ“ veröffentlichte vor kurzem einen Verriss der jüngsten Vegetarier-Messe in Wiesbaden. Was steckt aus Ihrer Sicht hinter solchen Veröffentlichungen? Ist das nur einfach Dummheit, konservativer Opportunismus oder gar eine redliche Kritik. Wie sollten kritische Beobachter damit umgehen?

Balluch: Ich halte derartige Stellungnahmen für eine totale Überheblichkeit. Mangels guter Argumente macht man sich über die Tierschutzposition lustig, man versucht sie als sektiererisch, unpolitisch oder eben kleinkariert moralinsauer zu diffamieren. Das beste Gegenmittel ist hier, die rationale Diskussion über Tierschutz, Tierrechte und das Mensch-Tier-Verhältnis anzuheizen.

hpd: Tiere und ihr mögliches subjektives Erleben werden auch immer wieder in populären Kino-Filmen thematisiert. Was halten Sie von solchen Produktionen?

Balluch: Grundsätzlich gewinnt der Tierschutzgedanke, wenn man die Welt aus den Augen betroffener Tiere zu sehen beginnt – solange das in ernstzunehmend seriöser und nicht anthropomorpher Weise geschieht. Filme, in denen die „menschlichen“ Aspekte von Tieren überhöht werden, sind nur Wasser auf den Mühlen der überheblichen TierschutzkritikerInnen, die eine Kluft zwischen Mensch und Tier betonen wollen. Das zentrale Argument für Tierschutz und Tierrechte ist, dass es eine subjektive Sicht auf die Welt aus den Augen der Tiere gibt. Rational gibt es keinen Grund, diese Sicht minderzubewerten. Sie zu respektieren bedeutet Tierschutz ernst zu nehmen.

hpd: Glauben Sie eigentlich, das Great Ape Project ist noch zu unseren Lebzeiten zu verwirklichen?

Balluch: Vermutlich nicht. Aber ich habe vor 20 Jahren geglaubt, dass es zu meinen Lebzeiten kein Legebatterieverbot geben wird und jetzt haben wir eines. Als wir unseren Prozess für Personenrechte für den Schimpansen Mathias „Hiasl“ Pan publik machten, gab es in den USA eine repräsentative Umfrage: 30 Prozent waren für Grundrechte für Menschenaffen. Wir müssen also nur mehr 20 Prozent der Menschen überzeugen!

hpd: Wie denn?

Balluch: Ich denke da stehen sich althergebrachte Denkmuster, die eine große Diskontinuität zwischen Mensch und Tier sehen, und die Wissenschaft mit ihren immer wieder verblüffenden Erkenntnissen über die Ähnlichkeiten von insbesondere Menschenaffen zu Menschen gegenüber. Grundrechte für Menschenaffen werden sich durchsetzen, wenn sich rationale Erkenntnisse dieser Art gegen unsere Sozialisierung von Menschen als Krone der Schöpfung durchsetzen werden. Je mehr rationale gesellschaftliche Diskussionen über diese Themen stattfinden, desto eher wird es Grundrechte für Menschenaffen geben.

hpd: Wenn Sie schließlich jemandem einen Preis verleihen könnten, wer wäre das und warum?

Balluch: Mumia Abu-Jamal, er sitzt seit, glaube ich, 30 Jahren in einer Todeszelle in den USA und wartet auf seine Hinrichtung. Abu-Jamal ist ein Aktivist für Bürgerrechte in den USA, ein mutiger Journalist und Kämpfer für die Gleichberechtigung der Afro-AmerikanerInnen. Ihm ist großes Unrecht widerfahren und dennoch schreibt er weiterhin gefasst und vernünftig für seine Anliegen. Er ist für mich das beste Beispiel eines advokatorischen Humanismus von unten: tiefer als die Todeszelle kann man nicht mehr sinken!

hpd: Hätten Sie zum Schluss noch einen Film- und Buchtipp für unsere Leserinnen und Leser?

Balluch: Zum Tierschutzprozess ist ein Buch eines der Angeklagten in diesem März neu erschienen: Die Kunst Widerstand zu leisten von Chris Moser im Kyrene-Verlag. Der Film zum Tierschutzprozess heißt Der Prozess und wurde von Igor Hautzenberger gestaltet.

Die Fragen stellte Arik Platzek

 

Martin Balluch hat eine Trilogie von Büchern über das Engagement für Tierrechte veröffentlicht, die Argumente und Vorgehensweisen für den Einsatz für Tierrechte erklären.
1. Zur Begründung der Tierethik: Kontinuität des Bewusstseins, Guthmann-Peterson Verlag
2. Zu den Regeln des politischen Aktivismus: Widerstand in der Demokratie, Promedia
3. Was einem im politischen Aktivismus passieren kann: Tierschützer. Staatsfeind, Promedia