Abschied vom Laizismus

Die Türkei auf dem Weg zum Gottesstaat?

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BERLIN. (hpd) Der Präsident des türkischen Parlaments, Ismail Kahraman, will die Türkei zu einem islamischen Staat machen. Nach seinen Worten dürfe "Säkularismus in der neuen Verfassung keine Rolle mehr spielen." Das meldeten übereinstimmend mehrere Presseagenturen unter Verweis auf die türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

"Wir sind ein muslimisches Land. Als Konsequenz müssen wir eine religiöse Verfassung haben" forderte Kahraman danach. Er forderte nach Informationen der WELT die Streichung des Laizismus-Gebots aus der Verfassung. Auf einer Konferenz von Akademikern und Autoren aus islamischen Ländern in Istanbul sagte er: "In der neuen Verfassung darf es keinen Laizismus geben. Wir müssen eine religiöse Verfassung schaffen."

Kahraman kritisierte, dass das Wort "Allah" in der derzeitigen Verfassung kein einziges Mal auftauche. Für ihn sei klar, dass die Verfassung eines muslimischen Landes mit dem Namen Gottes beginnen müsse.

Mit dieser Äußerung des türkischen Parlamentspräsidenten wird die Abkehr der AKP-Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan von den Grundwerten des modernen türkischen Staates deutlich. Bisher fusste das Selbstverständnis der Türkei auf der Trennung zwischen Staat und Religion. Unter Mustafa Kemal Atatürk, Gründer und erster Präsident der Türkei wurde der Laizismus Staatsziel und -inhalt. Seit 1928 hat er Verfassungsrang und gilt als eines der vier Grundprinzipien der Republik. In der aktuellen Verfassung von 1982 ist der Laizismus verankert.

Sowohl Ismail Kahraman als auch Regierungschef Ahmet Davutoğlu gehören der AKP an, die diesen Grundpfeiler der Verfassung seit Jahren abzuschaffen drohen – und bislang scheiterten. Bereits 2008 prüfte der Generalstaatsanwalt einen Antrag auf Verbot der AKP mit der Begründung, dass die Partei ein "Zentrum von Aktivitäten gegen den säkularen Staat" sei. Der Partei wurde vorgeworfen, islamistische Pläne zu hegen.

Seitdem hat sich die Macht der AKP verstärkt. Im Jahr 2016 wird es kaum ein Staatsanwalt mehr wagen, Erdoğan oder einen anderen hohen AKP-Politiker aus diesem Grund vor Gericht zu zitieren.

Widerspruch gegen die Aussage des Parlamentspräsidenten kommt von der größten Oppositionspartei, der weltlichen Republikanischen Volkspartei (CHP). CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: "Säkularismus ist das Grundprinzip des sozialen Friedens". Doch auch aus Reihen der AKP kommt Widerspruch. Mustafa Sentop ist Chef des Parlamentsausschusses, der eine neue Verfassung für die Türkei ausarbeiten soll. Er wies darauf hin, dass "der Parlamentspräsident nicht im Namen der Partei gesprochen" habe.

Für eine Verfassungsänderung würde die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament benötigen. Dafür fehlt der Partei jedoch im Moment die notwendigen Stimmen.