Als in Europa noch Elefanten weideten

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Eurasischer Altelefant (Detail) / Foto: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Vor 200.000 Jahren stampften altsteinzeitliche Riesenelefanten neben Wollnashörnern und Riesenhirschen durch das Tal der Geisel, eines Nebenflusses der Saale. Sie wurden gejagt von Höhlenlöwen, die selbst, hatten sie Pech, auch Opfer von Höhlenhyänen werden konnten. Und sie wurden gejagt vom Menschen, dem Vor-Neanderthaler.

„Elefantenreich. Eine Fossilwelt in Europa“, eine Ausstellung im Naturkundemuseum Berlin, präsentiert die Ergebnisse der seit 1983 laufenden Grabungen in Neumark.

Über 70 Skelette des Eurasischen Altelefanten, davon zehn vollständige, kamen in der Braunkohleabbaugebiet Neumark in Sachsen-Anhalt um einen altsteinzeitlichen See zum Vorschein, für Jahrtausende vom Erdreich überlagert. Dort fanden sich die Dickhäuter einst, nicht anders als heute, an den Wasserstellen der Serengeti zum Trinken, Plantschen und zum Abkühlen ein. Mit über vier Metern Rückenhöhe war der Eurasische Altsteinzeitelefant jedoch größer als alle ausgestorbenen und erst recht als alle heute noch lebenden Elefantenarten, größer auch als das Mammut. Die Spannweite der bei den männlichen Exemplaren weit gebogenen Stoßzähne betrug bei den männlichen Tieren bis zu drei Meter.

In den Achtzigern bargen engagierte Forscher unter der Leitung von Dietrich Mania im Wettlauf gegen die Zeit auch die Zeugnisse eines ganzen Ökosystems, das am einstigen Seeufer versank. Sie mussten sich beeilen, denn in der damaligen DDR wollte man so schnell wie möglich die dortigen reichen Braunkohlelager ausbeuten. Inzwischen haben sie die Funde präpariert und ausgewertet. Mittlerweile handelt es sich, nach Messel bei Darmstadt und Solenhofen in Bayern, bei Neumark in Sachsen-Anhalt um die drittwichtigste paläontologische Fundstelle in Deutschland. Organisiert wurde nun vom Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, wo die Objekte ihre Heimat gefunden haben, eine eindrucksvolle Schau, „Elefantenreich“, die sich den Ergebnissen widmet, zu sehen diesen Sommer in Berlin.

Lebenszusammenhänge der Altsteinzeit

Die Forschungen von drei Jahrzehnten brachten mehrere Sensationen zutage. Kein anderer Ort Europas außer Neumark an der Geisel, einem Nebenfluss der Saale, gibt uns heute besser Auskunft über die Lebenszusammenhänge der Altsteinzeit. In einer Vegetation, die im Tal mit lockeren Ahorn- und Eichenwäldern und Hasel- und Schlehengebüsch am See am ehesten der Südeuropas oder des heutigen Kaukasus glich, lebten Tiere, wie wir sie heute nur noch in Afrika finden: drei verschiedene Nashornarten, Löwe und Hyäne, nur alles eine Nummer größer. 199 Pflanzenarten ließen sich nachweisen. Im Sommer war die Durchschnittstemperatur mit 20 Grad höher als heute, aber die Winter waren kalt. Die Elefanten überstanden sie auch ohne Fell.

Starben die Altelefanten aus, weil das Klima sich änderte, oder tat auch der Mensch das Seine hinzu? Vielleicht beides. Kalt- und Warmzeiten hatten sich in Eurasien im pleistozänen Eiszeitalter seit 2,6 Millionen Jahren abgelöst. Während der kälteren Perioden zogen Nashorn und Elefant sich nach Italien und auf die Iberische Halbinsel zurück. Während der wärmeren wichen Ren, Dam- und Rothirsche nach Norden aus. Doch vor 10.000 bis 20.000 Jähren änderte sich etwas. Die Eurasischen Altelefanten und die Wald- und Steppennashörner verschwanden in Europa, etwa gleichzeitig mit dem Wachsen der menschlichen Bevölkerung, die trotzdem immer noch nicht größer war als einige zehntausend Menschen in ganz Europa.

Dabei mag, so fanden die Wissenschaftler heraus, eine Klimaveränderung die Hauptursache ihres Untergangs gewesen sein. Mit der zunehmenden Abkühlung entstanden anstelle der Steppen, die Elefanten und Nashörner zur Nahrungssuche brauchten, dichte Wälder. Aber dies wird nicht der einzige Faktor gewesen sein. Vor 320.000 Jahren jagte hier der Mensch bereits mit hölzernen Wurfspeeren, von denen eines sogar in Neumark-Nord geborgen werden konnte und in der Ausstellung zu sehen ist. Das tat er sicherlich lange immer noch eher gelegentlich, vielleicht nur als Tapferkeitsübung im Rahmen eines Initiationsritus. Doch Elefanten kümmern sich bis zu fünf Jahre um ihr Junges und kalben deshalb nur selten. Schon eine Verlustrate von vier Prozent reicht aus, errechneten die Forscher, um auf lange Sicht eine Elefantenpopulation zum Aussterben zu bringen, was bei Rentieren zum Beispiel erst bei 21 Prozent der Fall ist. Heute vermuten die Wissenschaftler, dass beide Faktoren, Mensch und Klimaveränderung, zum Aussterben der Kolosse beigetragen haben.

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Zusammengesetztes Skelett eines Eurasischen Altelefanten / Foto: Simone Guski

Die Schau zeigt neben Schabern des Vor-Neanderthalers aus Feuerstein auch solche, die er aus Elefantenknochen herstellte. Die Menschen müssen in temporären Lagern am See gesiedelt haben. Ihre dauerhafteren und größeren Siedlungsstätten fanden sich mit einigem Abstand vom Seeufer. Wohl weil es dort trockener war und sie dort von den wilden Tieren nicht so schnell wahrgenommen wurden. Die Ausgräber entdeckten viele aufgebrochene Knochen, die beweisen, dass die frühen Menschen eine kulinarische Vorliebe für das Knochenmark hatten.  

Mit einem hartnäckigen Irrtum konnten die Wissenschaftler aufräumen. Glaubte man früher, dass es in Europa zwei altsteinzeitliche Elefantenarten gegeben hatte, eine mit größeren weit geschwungenen Stoßzähnen und eine mit kürzeren und geraderen, so wissen wir dank ihrer Funde heute, dass es sich um die männlichen und die weiblichen Exemplare einer einzigen Art handelte. Dazu konnten die Paläontologen nur in Neumark mehrere vollständig erhaltene Zungenbeine bergen, vergleichsweise kleine Knochen unterhalb der Zunge, die im Schaukasten nun dem überdimensionalen Brustbein eines Huhnes gleichen und dem Schlucken, dem Atmen und der Artikulation dienten.

Der altsteinzeitliche Elefant stammt aus Afrika, ebenso wie der Mensch. Bereits vor 35 Millionen Jahren entwickelten sich dort aus ersten kleinwüchsigen Rüsseltieren die Vorformen der heutigen Dickhäuter. Vor 20 Millionen Jahren wanderten diese noch mit vier Stoßzähnen ausgestatteten Exemplare aus der Familie der Gomphotheriidae über eine Landbrücke nach Asien und später in Europa ein. Andere Nachkommen zogen von Nordasien aus nach Amerika weiter, die letzten lebten in Südamerika noch bis vor 20.000 Jahren. Die Stammlinien der afrikanischen und der asiatischen Elefanten trennten sich dagegen erst vor sieben bis sechs Millionen Jahren. Vor drei Millionen Jahren gelangten dann die Vorläufer der asiatischen Elefanten von Asien nach Europa und wurden zum Eurasischen Altelefanten.

Auch das Mammut entstand übrigens in Afrika. 3,5 Millionen Jahre sind die ältesten Mammutfunde in Ost- und Südafrika alt, überlebt haben die letzten ihrer Art bis vor 4.500 Jahren auf der Wrangel-Insel im sibirischen Eismeer.

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Größenverhältnisse zwischen Modell des Eurasischen Altelefanten und BesucherInnen / Foto: Evelin Frerk

Die Ausstellung bietet beeindruckende Zeugnisse dieser Genealogie aus den Naturkundemuseen Deutschland und Wiens; hauptsächlich Schädel- und Kieferknochen, schön wie Skulpturen von Henry Moore – oder sollte man es umgekehrt sagen: Henry Moores Skulpturen sind fast so schön wie diese Schädelknochen der gigantischen Dickhäuter!

Simone Guski

„Elefantenreich. Eine Fossilwelt in Europa“, Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, 10115 Berlin, bis 31. August Di bis Fr: 9.30 - 18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen 10 - 18 Uhr, Begleitheft 8,50 Euro

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Detail eines Skeletts eines Eurasischen Altelefanten / Foto: Simine Guski

 

 

 

 

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Fußknochen von Eurasischen Altelefanten / Foto: Evelin Frerk

 

 

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Größenvergleich zwischen Elefantenfuß und Menschenfuß / Foto: Evelin Frerk

 

 

 

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Skelett eines Höhlenlöwen / Foto: Simone Guski