Dröges dreiste Desinformation

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Geld / Fotografie © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) In der Debatte um Kirchenfinanzen fordert der Berliner Landesbischof Markus Dröge „Versachlichung“ und wirft Kirchenkritikern „wenig Ahnung“ vor. Tatsächlich scheint es allerdings so, als sei Bischof Markus Dröge derjenige, der Nachhilfe benötigt.

Ein Kommentar von Matthias Krause.

Welcher Teufel reitet eigentlich die Berliner Landesbischöfe? Wolfgang Huber brachte 2005 das Kunststück fertig, in einem Begleitbrief für eine Unterschriftensammlung gegen den gemeinsamen Ethikunterricht in Berlin sechs Unwahrheiten in 11 Sätzen unterzubringen. Heute ist er laut seiner eigenen Website als „Vordenker in ethischen Fragen“ unterwegs und lässt sich als Redner und Berater in „in ethischen, gesellschaftlichen und religiösen Fragen“ engagieren.

Sein Nachfolger, Markus Dröge, ist jetzt auch zum wiederholten Mal mit absurder Propaganda an die Öffentlichkeit getreten. Im Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten stellte er gleich zwei unhaltbare Tatsachenbehauptungen auf.

Erstens: Der Kulturstaatsminister hat zum Beispiel errechnet, dass in Deutschland die Kirchen in der Kulturarbeit finanziell so viel leisten wie alle Kommunen zusammen.
Und zweitens: [E]s gilt die Faustregel: Wenn wir Aufgaben übernehmen, zu denen der Staat verpflichtet ist, spart die öffentliche Hand 20 Prozent.

Dröges „kirchlicher Kulturbeitrag“

Bei seiner ersten Behauptung beruft sich Dröge auf das unsägliche „Kirchengutachten“ von 2005 für die Enquête-Kommission Kultur des Deutschen Bundestages. Erst vor einem Monat hatte er sich gegenüber evangelisch.de ähnlich geäußert:
[Dröge] verwies auf Berechnungen des Staatsministers für Kultur, Bernd Neumann (CDU), nach dem allein das kirchliche Engagement für Kultur einem Wert von jährlich 3,5 bis 4,8 Milliarden Euro entspreche. Dies sei derselbe Wert wie alle Bundesländer oder alle Kommunen zusammen und komme der Gesellschaft zugute, betonte Dröge. Dies mache die Staatsleistungen an die Kirchen wett.

Die Darstellung von Bernd Naumann ist von dem Experten für Kirchenfinanzen Carsten Frerk („Violettbuch Kirchenfinanzen“) bereits 2011 kritisiert worden („wissenschaftliches und politisches Armutszeugnis“ für die Enquête-Kommission), das Gutachten hatte Frerk nach ausführlicher Analyse bereits 2007 als „Peinlichkeit“ bezeichnet. Dröges diesbezügliche Erklärung im April hatte Frerk als „Märchenstunde des Berliner Bischofs“ bezeichnet.

Harte Worte, aber wahr: Selbst ohne das Gutachten oder die Kritik daran zu kennen, hätte Dröge nämlich auffallen können, dass die angegebene Größenordnung 45 bis 62 Prozent des Kirchensteueraufkommens (derzeit rd. 10 Milliarden Euro pro Jahr; 7,8 Milliarden Euro in 2005, dem Jahr des Gutachtens) entsprechen. Demzufolge müssten die Kirchen etwa die Hälfte der Kirchensteuer für kulturelle Zwecke einsetzen.

Das bedeutet, dass in diesen Zahlen entweder Beträge enthalten sind, die gar nicht von den Kirchen stammen (z.B. Zuschüsse der öffentlichen Hand für kirchliche Kulturarbeit), oder dass eine extrem „großzügige“ Definition von „Kultur“ zugrunde gelegt wurde. Oder beides.

Zwei Drittel des „Kulturbeitrags“ stammen gar nicht von den Kirchen

Zumindest Ersteres ist offensichtlich der Fall: In dem Gutachten heißt es nämlich selbst:

Die Kirchen setzen vermutlich etwa 20 Prozent ihrer Kirchensteuern und Vermögenserlöse für ihre kulturellen Aktivitäten ein.
Die Nettoleistung der in der EKD zusammengeschlossenen Landeskirchen für ihre kulturellen Aktivitäten […] beträgt 19,6% ihrer unmittelbaren Eigeneinnahmen ohne Zuschüsse Dritter, ohne Gebühren und Beiträge […]. Für die katholische Kirche wird analogon rationis auf einen vergleichbaren Prozentsatz geschlossen.

Bei einem Anteil von 20 Prozent an der Kirchensteuer (die „Vermögenserlöse“ können hier außen vor bleiben, weil die in der EKD-Statistik unter „ferner liefen“ mit anderen Einnahmen zusammengefasst werden) hätten die Kirchen also 2005 knapp 1,6 Milliarden Euro „Nettoleistung“ erbracht. Das ist allerdings nur etwa ein Drittel der von Bischof Dröge genannten Bandbreite bzw. des in dem Gutachten genannten „wahrscheinlichen Werts“ von 4,4 Milliarden.

Man könnte demzufolge also davon sprechen, dass die Kirchen im Kulturbereich 4,4 Milliarden „bewegen“, „ausgeben“ oder „verteilen“ – aber nicht, dass sie diesen Betrag „aufbringen“, „finanzieren“ oder eben „leisten“.

Wenn der „Brutto-Kulturbeitrag“ der Kirchen von 4,4 Milliarden Euro in erheblichem Maße Zuschüsse der öffentlichen Hand enthält – und davon ist angesichts von zwei Dritteln „Fremdfinanzierung“ bei der kirchlichen Kulturarbeit auszugehen – dann verbietet es sich zudem, dieses Volumen den Kulturausgaben der öffentlichen Hand gegenüberzustellen, wie es in dem Gutachten getan wird. Denn dabei muss der Staat gleichsam mit seinen eigenen Zuschüssen an die Kirchen „konkurrieren“. Vergleicht man den „Nettobeitrag“ der Kirchen mit den Kulturausgaben von Ländern und Kommunen, dann nehmen die Kirchen nicht mehr den ersten Platz ein, wie in dem „Kirchengutachten“, sondern landen mit großem Abstand auf dem dritten Platz hinter Ländern und Kommunen.

Anmerkung: Aus dem Kulturfinanzbericht ergibt sich, dass der Staat neben den direkten Kulturausgaben (z.B. für Denkmalsschutz) im „kulturnahen“ Bereich erhebliche Zahlungen an die Kirchen leistet (Größenordnung: mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr), z.B. für Kirchenbauten – die dann offenbar durch Einbeziehung in den „kirchlichen Kulturbeitrag“ gegen die direkten Ausgaben des Staates für Kultur aufgerechnet werden.

Bischof Dröge mag sich zwar auf das „Kirchengutachten“ berufen – bei einem „Kulturbeitrag“, der die Hälfte des Kirchensteueraufkommens ausmachen soll, hätte ihm aber auffallen müssen, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Die Kirchen entlasten den Staat finanziell nicht, sie belasten ihn

Man kann sich auch nicht aus den komplizierten Staat-Kirche-Beziehungen einfach zwei herausgreifen (die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, wie hier: kirchlicher „Kulturbeitrag“ und Staatsleistungen“) und diese willkürlich gegeneinander aufrechnen, wie Bischof Dröge es tut: „[D]as kirchliche Engagement für Kultur […] mache die Staatsleistungen an die Kirchen wett.“ Man muss dann schon sämtliche „Entlastungen“ der öffentlichen Hand durch die Kirchen den Zahlungen des Staates an die Kirchen gegenüberstellen.

Das klingt komplizierter, als es ist: Bereits die Belastung des Staates durch die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer macht 30 Prozent des Kirchensteueraufkommens aus. Selbst wenn wir dem „Kirchengutachten“ Glauben schenken und 20 Prozent des Kirchensteueraufkommens für kulturelle Zwecke ausgegeben werden, und wir großzügigerweise davon ausgehen, dass 10 weitere Prozent der Kirchensteuer für andere gemeinnützige Zwecke ausgegeben werden, dann gleichen die Kirchen vielleicht gerade mal die die Kosten für die Absetzbarkeit der Kirchensteuer aus.

Dies richtet sich nicht gegen die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer. Aber solange die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer den Staat Jahr für Jahr knapp 3 Milliarden Euro kostet, kann man halt nicht auf den „Kulturbeitrag“ oder das „caritative Engagement“ der Kirchen verweisen und so tun, als würden die Kirchen den Staat finanziell entlasten. Natürlich bräuchten die Kirchen sich in diesen Bereichen nicht zu engagieren. Dann würden sie aber den Staat eben allein schon aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit 3 Milliarden pro Jahr kosten. Durch ihr gemeinnütziges Engagement verringern sie diese Belastung zwar – von einer Entlastung wird man aber trotzdem nicht sprechen können.

Dröges „Faustregel“

Aber im Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten argumentierte Bischof Dröge ja nicht nur mit dem „Kulturbeitrag“. Er behauptete auch: [E]s gilt die Faustregel: Wenn wir Aufgaben übernehmen, zu denen der Staat verpflichtet ist, spart die öffentliche Hand 20 Prozent.

Leider hat Bischof Dröge bisher nicht auf Anfragen reagiert, zu erläutern, wie er auf seine Zahlen kommt. Was er meint, ist offenbar Folgendes:

Wenn die Kirchen öffentliche Aufgaben übernehmen wie bei Kindergärten, Krankenhäusern oder Altersheimen, dann spart der Staat in dem Maße, wie die Kirchen diese Einrichtungen aus ihren eigenen Mitteln – also der Kirchensteuer – finanzieren.

Nur: Bei Krankenhäusern und Altersheimen gibt es überhaupt keinen kirchlichen „Eigenanteil“, weil diese Einrichtungen komplett durch die öffentliche Hand, Nutzungsentgelte usw. finanziert werden.

Die Hauptersparnis für den Staat dürfte sich bei den Kindertagesstätten ergeben. Dort liegt der kirchliche Eigenanteil allerdings nur bei durchschnittlich 12 Prozent. (Und davon stammen nur 11 Prozent aus Kirchensteuern, der Rest aus Spenden usw.) Wenn aber schon bei den „Vorzeigeeinrichtungen“ der Kirchen, den Kitas, der durchschnittliche Eigenanteil der Kirchen nur bei 12 Prozent liegt – wie will Dröge dann jemals auf seine 20 Prozent kommen?

Vermutlich stützt sich Bischof Dröge auch hier auf eine Quelle, deren Zahlen so absurd sind, dass er das eigentlich auf den ersten Blick erkennen könnte. Möglicherweise handelt es sich um einen Artikel auf evangelisch.de aus dem Jahr 2010 vom Finanzleiter der EKD, Oberkirchenrat Thomas Begrich, in dem dieser sich kritisch zu Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“ äußert. Es gehöre zu einer Demokratie, schrieb Begrich, andere Meinungen anzuhören, „auch wenn sie mit der Wahrheit recht kreativ umgehen.“ Hören wir uns also an, was er zu sagen hat:

Für kirchliche Kindergärten errechnet Frerk einen Beitrag von 3,8 Milliarden Euro an Staatsgeldern. Die evangelische Kirche geht für ihren Bereich übrigens nur von einem knappen Drittel aus, aber wichtiger ist das Prinzip: Die Kirchen erhalten diese Mittel doch nicht, weil sie Kirchen sind, sondern weil sie für die Gesellschaft eine Dienstleistung erbringen, zu der sie obendrein von ihren eigenen Mitteln noch knapp 20 Prozent beisteuern. Das ist recht und billig, sie wollen es ja auch. Täten sie es nicht, müsste es der Staat selbst tun und dann wäre es für ihn viel teurer, weil ja die kirchlichen Eigenanteile wegfielen.

Begrichs Halbsatz, dass die Kirchen „für die Gesellschaft eine Dienstleistung erbringen, zu der sie obendrein von ihren eigenen Mitteln noch knapp 20 Prozent beisteuern“, ließe sich, wenn man überhaupt keine Ahnung hat, unter Umständen im Sinne von Dröges „Faustformel“ verstehen.

Dem ist allerdings zweierlei entgegenzuhalten: Erstens bezieht sich Begrich hier nur auf Kindergärten und nicht allgemein auf Bereiche, wo die Kirchen staatliche Aufgaben übernehmen. Zweitens ist die Aussage in Begrichs Artikel schlichtweg falsch. Darauf angesprochen, dass er mir selbst einmal mitgeteilt hatte, dass der kirchliche Eigenanteil an den Kindertagesstätten durchschnittlich 12 Prozent betrage und nicht 20, schrieb er mir freundlicherweise zurück:

Sehr geehrter Herr Krause, danke für den Hinweis. Die richtige Bezeichnung dieses Satzteiles muß lauten: je nach Bundesland noch knapp 20%, durchschnittlich 12%.

(Es ist allerdings nicht so, dass dies zwischenzeitlich in seinem Artikel korrigiert worden wäre.)

Das heißt also: Selbst für die Kindergärten gilt allenfalls die „Faustregel“, dass die öffentliche Hand dadurch 12% spart – aber nicht 20! Und wenn man alle anderen Bereiche dazu nimmt, in denen die Kirchen öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sinkt dieser Anteil noch dramatisch.

2 Prozent „Ersparnis“, nicht 20

Carsten Frerk hat in seiner Studie „Caritas und Diakonie in Deutschland“ ausgerechnet, dass der kirchliche Eigenanteil in diesen Bereichen (Kindertageseinrichtungen, Krankenhäuser, Altenheime, Rettungsdienst, Beratung usw.) kümmerliche 1,8 Prozent beträgt. Bischof Dröge müsste also korrekterweise wohl eher sagen: [E]s gilt die Faustregel: Wenn wir Aufgaben übernehmen, zu denen der Staat verpflichtet ist, spart die öffentliche Hand 2 Prozent.

Oder anders ausgedrückt: Von den Kindergärten abgesehen, ist die „Ersparnis“ des Staates durch die Kirchen – verschwindend gering!

Noch einmal: Es geht hier nicht darum, das kirchliche Engagement z.B. bei den Kindergärten zu bewerten, sondern nur darum, zu zeigen, dass Bischof Dröges „Faustregel“ völlig absurd ist – so absurd, dass jeder Sachkundige dies sofort hätte merken müssen.

Reue? Buße? Fehlanzeige!

Respekt vor Oberkirchenrat Begrich, der den Fehler in seinem Artikel nicht nur einräumte, sondern sich auch noch für den Hinweis bedankte!

Bischof Markus Dröge hat auf vier Anfragen zu diesem Thema bisher nicht reagiert. Wenn aber der EKD-Finanzleiter einen Fehler einräumen kann, dann stünde das einem Landesbischof eigentlich auch gut an.