BERLIN. (hpd) Das Kölner „Beschneidungsurteil“ löste ein großes mediales Echo aus. Fast alle größeren überregionalen Zeitungen Deutschlands, aber auch Österreichs und der Schweiz, berichteten. Der hpd unterhielt sich mit einer Soziologin, die sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik befasst.
Es scheint, als wäre das Urteil des Landgerichts Köln wie „aus heiterem Himmel“ gefällt worden. Nichts ist jedoch falscher. Denn in juristischen Kreisen sowie auch und vor allem unter Medizinern wird die männliche Beschneidung seit einigen Jahren diskutiert. Dabei sind, spätestens seit im Jahre 2008 im Ärzteblatt ein Artikel von Holm Putzke u.a. erschien, die Mehrheit der Mediziner in der Diskussion über das Thema. Seit dieser Zeit könnte den Ärzten im Eigentlichen auch die Konsequenz ihres Handelns bewusst sein. Denn bereits 2008 fasst der oben verlinkte Artikel zusammen: „Die bei einer Zirkumzision vorzunehmende teilweise oder vollständige Entfernung der Vorhaut stellt einen nicht nur unerheblichen Substanzverlust dar, sie ist mithin eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit.“ Dabei verweist der Aufsatz im Ärzteblatt bereits auf den Straftatbestand der Körperverletzung nach § 223 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB).
Das erklärt auch, dass sich einige Ärzte – auch bei religiös motivierten Beschneidungen – dazu hinreißen ließen, eine Phimose (Vorhautverengung) zu bescheinigen, um eine medizinisch notwendige Operation vorzutäuschen. Allerdings ist bei Vorliegen einer Phimose heute in vielen Fällen auch eine Behandlung mit Salben möglich und wird erfolgreich angewandt.
Die Soziologin gab einen Überblick, welchen Umfang und welche Auswirkungen die männliche Beschneidung hat. Es gibt nur Schätzungen, nach denen zwischen 10 bis 20 Prozent der männlichen Bevölkerung Deutschlands beschnitten seien. Dabei kann man nicht davon ausgehen, dass es jeden Moslem und jeden Juden betrifft. So seien etwa 50 Prozent der in Berlin lebenden männlichen Juden nicht beschnitten. Andere Schätzungen gehen sogar nur von ca. 20 Prozent aus.
In vielen Ländern - vorrangig in den USA – wurde die männliche Beschneidung auch als Hygienemaßnahme angesehen. Selbst gegen die Übertragung des HIV-Virus oder die Papillomviren sollte eine Beschneidung helfen.
Alice Miller berichtet in ihrem Buch „Evas Erwachen“ über die Initiative der US-amerikanischen Krankenschwester Marilyn Fayre Milos, die sich dafür eingesetzt hat, dass die Beschneidung männlicher Säuglinge nicht sofort nach der Geburt automatisch durchgeführt wird. Sie erreichte, dass inzwischen wenigstens die Eltern dieser Operation zustimmen müssen. „Dank … Marilyn Fayre Milos ist jetzt vielen Menschen bewusst, dass ein kleines Kind unter solchen Interventionen körperlich und seelisch leidet. Noch vor wenigen Jahren ‚wußte‘ man das nicht, bekanntlich operierte man die Kinder ohne Narkose.“ (Seite 124)
Miller geht im Weiteren darauf ein, dass die Weitergabe dieses „Rituals“ über die Generationen nur damit erklärbar sei, dass die Väter ebenfalls diese traumatische Erfahrung machten und sie - unwidersprochen – weiter gaben. „Deshalb waren es nicht die männlichen Ärzte, die dem destruktiven Brauch der Beschneidung ein Ende gesetzt haben, sondern Frauen, Krankenschwestern, die nicht Opfer dieses Brauches waren.“ (Seite 125)
Selten angesprochen wird auch die Tatsache, dass die männliche Beschneidung auch der Einschränkung der lebendigen Sexualität dienen sollte. Beschnittene Männer sollen sich weniger selbst befriedigen; sollen weniger Spaß daran haben. Dies nachzuweisen dürfte allerdings schwierig sein.
Es gibt jedoch Berichte, dass es in Südkorea mit der Annäherung an die USA und deren Lebensweise dazu kam, dass auch dort die normalisierte, unhinterfragte männliche Beschneidung eingeführt wurde. In diesem Falle jedoch betraf es nicht nur männliche Säuglinge, sondern auch erwachsene Männer. Diese konnten dann vergleichen und gaben in Untersuchungen bekannt, dass die Beschneidung die Sexualität beeinflusst hat. Die Idee dahinter, dass dies der Hygiene dient, wurde mit einem hohen Preis bezahlt.
Hier stellt sich die Frage nach der biologischen Funktion der Vorhaut. Besetzt mit Millionen Nervenzellen ist sie eine eigenständige erogene Zone. Sie dient zudem dem mechanischen Schutz des Penis und schützt vor Austrockung. Eine Zirkumzision (Beschneidung) lässt diese beiden Faktoren außer Acht. Auch dass der Peniskopf durch die Beschneidung relativ ungeschützt ist und daher im Laufe der Zeit empfindungsloser wird, ist bekannt. Und möglicherweise von religiösen und lustfeindlichen Machtinhabern gewollt.
Die Beschneidung des Penis hat zudem tiefgreifende psychische Auswirkungen auf den betroffenen Mann. Viele Männer, die beschnitten wurden, haben ein Trauma erlitten. Dabei unterscheiden sich die Traumata möglicherweise hinsichtlich der Art des Erlebens. Es macht einen Unterschied, ob ein Junge im Alter von acht Tagen oder im Alter von 14 Jahren beschnitten wird. Die eine Verletzung brennt sich in das Unterbewusste ein, die andere lässt sich erinnern.
Das Urteil erhitzt die Gemüter. Necla Kelek fordert die Abschaffung der Beschneidung und nennt sie eine „archaische Sitte“ und „ein Unterdrückungsinstrument“, der oben zitierte Dr. Holm Putzke wird bedroht und der wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht sich veranlasst, ein Gutachten zu veröffentlichen. Die Diskussion beginnt erst.
F.N.
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