HANNOVER. (hpd) Vor zwei Wochen hat das niedersächsische Landesparlament eine Änderung des Konkordats mit der Katholischen Kirche ratifiziert. Konkordatsschulen im Land können nun nicht nur in Oberschulen umgewandelt werden, künftig soll es auch noch mehr Geld geben. Der Vorgang verschärft das Durcheinander und die Ungleichbehandlung im niedersächsischen Schulsystem. Ein kritisches Bewusstsein gibt es auch bei der Opposition nur in Detailfragen.
„Es gibt keine politische Kraft, die das Konkordat abschaffen will“, stellte ein Beobachter, der nicht genannt werden will, nach der Abstimmung des Parlaments am 17. Juli fest, mit der eine Ausweitung der Privilegierung der niedersächsischen Konkordatsschulen beschlossen wurde.
Von den 151 Mitgliedern des Landtages hatten die 81 Abgeordneten der regierenden CDU und FDP für eine Änderung von Verträgen zwischen dem „Heiligen Stuhl“ und dem Land Niedersachsen sowie zur Änderung des niedersächsischen Schulgesetzes gestimmt. Gegenstimmen zur seit dem 1. August geltenden Vertragsänderung aus den Reihen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei rührten aus Detailfragen her, wie aus einem dem hpd vorliegenden Bericht aus der Plenarsitzung hervorgeht.
Mit dem beschlossenen Änderungsgesetz können die 15 Konkordatsschulen ab dem kommenden Schuljahr Oberschulen werden, die bisher Haupt- und Realschulen waren. Möglich wäre zudem die Einrichtung eines gymnasialen Zweigs. Ferner sollen künftig insgesamt 56 Millionen Euro pro Jahr aus dem Landeshaushalt für den Schulbetrieb bereitgestellt werden. Damit hat sich der Betrag in den vergangenen zehn Jahren beinahe verdoppelt. Im Jahr 2003 belief er sich auf nur 29 Millionen Euro.
Außerdem wurde vereinbart, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne ein katholisches Bekenntnis an den Schulen zukünftig weit über die bisher als Obergrenze festgeschriebenen 30 Prozent betragen kann. Ursprüngliche hatte das Limit bei 10 Prozent gelegen. Der Grund für die stetige Ausweitung ist, dass es im Land nicht genügend katholische Schüler gibt. Die Zahl aller katholischen Kirchenmitglieder in Niedersachsen belief sich 2010 auf rund 17,4 Prozent der Bevölkerung. Bereits heute beträgt der Anteil von nicht-katholischen Schülerinnen und Schülern an einigen Konkordatsschulen bis zu 43 Prozent.
Ina Korter (Bündnis 90/Die Grünen) fragte daher in der Debatte unter Zustimmung aus den Reihen der Grünen, der SPD und der Linken, „ob die Geschäftsgrundlage für Konkordatsschulen immer noch gegeben sei“. Der Landesrechnungshof in Niedersachsen sieht das ebenfalls kritisch und hält bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage die privilegierte Finanzierung für einen möglichen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes.
Doch dass so ein Wegfall der Geschäftsgrundlage demnächst festgestellt wird, ist unwahrscheinlich. Bei den Abgeordneten der christlich-liberalen Regierungsfraktion stieß die Kritik an der ausgeweiteten Privilegierung auf vehementen Widerstand, obwohl vor allem die öffentlichen Schulen zu den Verlierern der neuerlichen Änderungen gehören werden. Das Geschäft mit den Konkordatsschulen hingegen läuft bis heute blendend, aus katholischer Sicht.
So haben die nach dem Jahr 1965 eingeführten Konkordatsschulen mittlerweile eine erstaunliche Karriere hingelegt. Ihre Entstehung rührt aus politischen Zugeständnissen bei der Abschaffung der früheren Volksschulen und sollte der „Preis“ für die Beschränkung des künftigen Schulbetriebs auf den Primarbereich sein.
Zwar hatte schon der Abschluss des Konkordates im Jahr 1965 für erhebliche politische Konflikte gesorgt. Der bekannte Kabarettist Dieter Hildebrandt tourte einst mit einer Trittleiter durch Hannover, um gegen den Abschluss zu protestieren. „Rom ist in der kleinsten Hütte“, formulierte er damals auf einem Plakat seine Kritik.
Nun werden die vom Konkordatsvertrag zugesicherten zusammengefassten Haupt- und Realschulen mit rund 10.000 Schülerinnen und Schülern künftig Oberschulen werden, die dann auch den Rechtsanspruch auf die Einrichtung eines gymnasialen Zweigs besitzen.
„Es gab in den vergangenen Jahrzehnten eine ständige Ausweitung des Status“, stellte dazu der frühere Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Niedersachsen, Dieter Galas, auf Anfrage mit und verwies auf die bereits seit langen Jahren vorhandenen Bemühungen der katholischen Kirche, sich mit den Konkordatsschulen auch auf gymnasialer Ebene zu etablieren.
Jedenfalls sind die Konkordatsschulen nur die Spitze eines Eisberges aus staatlicher und kirchlicher Verstrickung im niedersächsischen Schulsystem. Denn neben den 15 Konkordatsschulen ist die katholische Kirche auch Träger von rund 100 weiteren sogenannten öffentlichen Bekenntnisschulen, die es im wenig katholischen Niedersachsen gibt. Darüber hinaus gibt es weitere Schulen in freier Trägerschaft, wie die Evangelische Integrierte Gesamtschule in Wunstorf.
Somit existieren heute vier Schultypen im Land: Staatliche öffentliche Schulen, Schulen in freier Trägerschaft, öffentliche Bekenntnisschulen und Konkordatsschulen – eine fragwürdige Vielfalt aus Sicht von wenigstens dem Drittel der Bevölkerung in Niedersachsen, das keiner christlichen Konfessionsgemeinschaft angehört.
In vielen angrenzenden Bundesländern kommt man mit der Hälfte aus: Staatlichen Schulen und den vom Grundgesetz garantierten Schulen in freier Trägerschaft, die eine Gleichschaltung des Bildungssystems verhindern sollen. Freilich beteiligen sich auch hier kirchliche Gemeinschaften lebhaft als Träger.
Die vor der Abstimmung am 17. Juni mit teils scharfen Worten geführte Parlamentsdebatte zeigte aber, dass es für diese spezielle Situation im Land kaum noch gute Argumente gibt, und gäbe es keine parlamentarische Mehrheit aus CDU und FDP: diese Konkordatsänderung auf Kosten des staatlichen Schulsystems wäre so wohl nicht beschlossen worden.
Deutlich wurde aber auch, dass ein grundlegenderes Problembewusstsein selbst bei den Parteien abseits der CDU fehlt, wie in den Reaktionen auf den Vorwurf des CDU-Parlamentariers Karl-Heinz Klare deutlich wurde, der beklagte, in der Kritik an den nun beschlossenen Änderungen werde „eine ignorante Haltung gegenüber dem Heiligen Stuhl offengelegt“ und die kontroverse Debatte im Parlament verstoße gegen die „Ehre dieses Hauses“. Spricht so ein lupenreiner Demokrat?
Dass die staatliche Natur der katholischen Enklave in Rom, offiziell die letzte absolute Monarchie in Europa und Resultat der Beziehungspflege des faschistischen Diktators Benito Mussolini, durchaus zweifelhaft und unter staatstheoretischen Erwägungen kaum nachvollziehbar ist, räumten zwar schon selbst höchste Vertreter der Kirche ein, wie der Vortrag des vatikanischen Gesandten Leo Cushley an einer katholischen US-Hochschule 2007 zeigt.
Experten, wie der ehemalige UN-Richter und britische Kronanwalt, Geoffrey Robertson, äußerten sich klarer, als der in Diensten der Kirche stehende Cushley. Wie man es auch dreht und wendet: Die Kirche aus Rom erfülle in keiner einzigen Hinsicht die Voraussetzungen, um als Staat gelten zu können. Dass dies dennoch so gesehen werde, sei ein Tribut an die Geschicklichkeit vatikanischer Diplomaten und des Begehrens von politischen Führern nach dem Segen des spirituellen Führers von vielen ihrer Staatsbürger, stellte Robertson in seinem 2010 veröffentlichten Buch „The Case of the Pope“ fest.
Zweifel an der grundsätzlichen Legitimität der Existenz dieses völkerrechtlichen Vertrages, den die Regierung mit der katholischen Religionsgemeinschaft bekräftigt hat, gab es in der Landtagsdebatte allerdings keine. Ob die Umwandlung überall wie geplant stattfindet, ist noch nicht sicher. Es heißt, dass nur die Träger von neun Schulen die Umwandlung zur Oberschule tatsächlich wollen.
Björn Fösterling (FDP) warf trotzdem den Kritikern der nun beschlossenen Konkordatsänderung vor, die Opposition wolle in den „Schulkampf“ ziehen, weil, so Försterling, „die katholische Kirche das Erfolgsmodell Oberschule jetzt auch in Niedersachsen übernehmen möchte“.
Försterling sagte schließlich tatsächlich zur Kritik an der Ausweitung der privilegierten Finanzierung und der konfessionellen Quoten-Klauseln, das Bestreben nach einer Schulpolitik „sogar gegen den Heiligen Stuhl“ sei „Wahnsinn“ und schloss seine Rede mit den Worten: „Dafür werden Sie sich verantworten müssen am 20. Januar 2013 vor den Wählerinnen und Wählern in Niedersachsen und am Ende Ihres Lebens noch an ganz anderer Stelle.“
Eine Ursache für das herrschende Bewusstsein dürfte sein, dass seit Abschluss des Loccumer Vertrages 1955 zwischen den evangelischen Landeskirchen und dem Land Niedersachsen bis heute eine Fülle von Staatskirchenverträgen entstanden ist, von deren Regelungen nicht nur die katholische Kirche profitiert.
Reformbestrebungen stoßen dementsprechend stets auf einen breiten Widerstand, so dass, trotz der ganz besonderen Natur, die Verteidiger der katholischen Konkordate wohl künftig alle denkbaren Vorteile nutzen werden können. Auch der SPD-Abgeordnete Claus Peter Poppe, dessen Fraktion zum ersten Mal gegen eine Änderung stimmte, bemühte sich jedenfalls klarzustellen: „Wir stehen zum Konkordat“.
So blieb auch die Debatte am 17. Juni auf die Kritik an der ausgeweiteten Ungleichbehandlung beschränkt, wie die Grünen-Politikerin Ina Korter in ihrer Rede zur unterschiedlichen Ausstattung der verschiedenen Schularten deutlich machte: „Finanziell am besten ausgestattet werden die Konkordatsschulen. Sie bekommen die volle Personalkostenrefinanzierung und 132 Euro Sachmittelzuschuss pro Schülerin und Schüler“ – gewöhnliche Schulen in freier bzw. kirchlicher Trägerschaft erhalten hingegen erheblich weniger Mittel.
Wären die Schulen im Land finanziell weitgehend gleichberechtigt, stellte Ina Korter in ihrem Plädoyer gegen die Ratifizierung fest, würde das den Bildungsetat „vollständig sprengen“. Und nicht nur in Niedersachsen, auch in anderen Bundesländern sieht es so aus.
Der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) meinte in seiner Rede vor der von der CDU-Fraktion beantragten namentlichen Abstimmung schließlich, der Warnung des FDP-Abgeordneten Försterling „einiges abgewinnen zu können“ und erinnerte das Plenum: „Das Wunderbare und Unendliche ist ja letztendlich die Tatsache, dass wir uns irgendwann einmal für das verantworten müssen, was wir getan oder aber auch nicht getan haben.“
Arik Platzek