„Aufklärung: Das europäische Projekt“

(hpd) Der Literaturwissenschaftler Manfred Geier legt eine Lebens- und Werkgeschichte mehrerer Repräsentanten der geistigen Strömung der Aufklärung vor - von Locke und Diderot über Mendelssohn und Kant bis zu Gouges und Humboldt. Es handelt sich um ein gut geschriebenes und leicht verständliches Werk, das aber ein wenig zur pathetischen Idealisierung dieser geistigen Strömung neigt.

Die Ideen der Aufklärung werden in der gegenwärtigen Debatte um das geistige Selbstverständnis der modernen Welt vielfach beschworen. Gleichzeitig findet man zunehmend mit unterschiedlicher Ausrichtung ideologische Gegenströmungen unter kulturellen, politischen und religiösen Vorzeichen. Doch was macht eigentlich die Aufklärung aus, worin bestehen ihre Grundpositionen und wer waren ihre bedeutendsten Repräsentanten?

Diesen Fragen geht das Buch „Aufklärung. Das europäische Projekt“ von Manfred Geier nach. Der Autor lehrte Literaturwissenschaften - und nicht Philosophie - an verschiedenen Universitäten. Heute arbeitet er als freier Publizist und veröffentlicht Bücher zu philosophischen Fragen. Mit Biographien über Kant oder Popper wurde Geier auch einem Publikum weit über die wissenschaftlichen Fachgrenzen der Philosophie hinaus bekannt. In seiner neuesten Veröffentlichung geht es ihm „nicht um ein Lehrbuch, sondern um dramatische Geschichten von Menschen und Büchern, die uns zum Nachdenken ... einladen“ (S. 13).

So legt Geier keine abstrakte Abhandlung über die Grundprinzipien der Aufklärung vor. Vielmehr lässt er sie aus dem Leben von wichtigen Protagonisten entstehen. Die sieben Kapitel des Buches widmen sich denn auch bestimmten Personen: Es geht um John Locke als Begründer der Menschenrechte und der Toleranz, um Ashley Shaftesbury als moralischen Erzieher und religionskritischen Spötter, um Moses Mendelssohn als „deutschen Sokrates“ und Protagonisten religiöser Toleranz, um Immanuel Kant als frühen Repräsentanten eines vernunftbegründeten Weltbürgertums, um Olympe de Gouges als Vorkämpferin der Frauengleichstellung und um Wilhelm von Humboldt Ideen einer Bildungsreform im Namen aufgeklärten Selbstdenkens. Lediglich das dritte Kapitel ist einer Gruppe von Philosophen gewidmet: Hier findet man Darstellungen zu Leben und Werk französischer Aufklärer von Denis Diderot über Jean-Jacques Rousseau bis zu Voltaire. Das Kant-Kapitel enthält darüber hinaus noch Ausführungen über Hannah Arendt und Karl R. Popper.

Mit dem Titel bzw. Untertitel bezeichnet Geier die „Aufklärung“ als ein „europäisches Projekt“.

Bereits im Vorwort erläutert er das damit Gemeinte: Aufklärung bekämpfe alle autoritären Mächte, die dem selbstständigen Verstandesgebrauch im Wege stünden. Daher sei ihr ein „emanzipatorisches Erkenntnisinteresse“ (S. 9) eigen. Zwar habe dieses Denken in Deutschland, England und Frankreich seinen Anfang genommen, es sei aber immer Teil eines „kosmopolitischen Europa“ (S. 10) mit universellem Anspruch gewesen. Dabei betont Geier unter Berufung auf Kant, es handle sich bei der Aufklärung um einen Prozess und nicht um einen Zustand. Für deren Erfolg gebe es keine Garantie, der „Ausgang der Geschichte“ sei „offen“ (S. 10). Anhand des letztgenannten Philosophen macht der Autor die Aktualität der Aufklärung deutlich, was am Beispiel der amerikanischen und europäischen Sicht des Irak-Krieges aufgezeigt wird. Die heutigen Repräsentanten der Gegenaufklärung erblickt Geier in autoritären Staatsgebilden und dem islamischen Fundamentalismus.

Mit den gut geschriebenen und leicht verständlichen sieben Lebens- und Werkgeschichten entsteht ein anschauliches Bild von den Grundprinzipien der Aufklärung. So liegt hier eine durchaus spannend lesbare Einführung vor, welche die jeweiligen Denker und Positionen auch in den historisch-politischen Kontext einordnen. Selbst Kenner der Materie erhalten durch die Auswahl von häufig ignorierten Repräsentanten der Aufklärung wie Moses Mendelssohn oder Olympe de Gouges neue Erkenntnisse. Insgesamt neigt Geier allerdings zu einer allzu pathetischen und unkritischen Sicht. Sätze wie „Das Kerzenlicht der Aufklärung schien noch nicht hell genug ...“ (S. 42) stehen dafür. Zwar benennt er am Rande auch Defizite und Widersprüche im Denken der Aufklärer wie etwa bei Lockes Ausschluss der Ungläubigen von der Toleranz. Andere Gesichtspunkte finden darüber hinaus kaum Aufmerksamkeit. Dies gilt für das Ausblenden einer Aufmerksamkeit für die soziale Frage ebenso wie für die Unbestimmtheit einer bloßen Forderung nach Selbstdenken.

Armin Pfahl-Traughber

Manfred Geier, Aufklärung. Das europäische Projekt, Reinbek 2012 (Rowohlt-Verlag), 415 S., 24,95 €

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.