„Neukölln ist überall“

(hpd) Heinz Buschkowsky, der sozialdemokratische Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, schildert in seinem Buch in mitunter drastischer Sprache die sozialen Konflikte in einem als „abgehängt“ geltenden Stadtteil einer deutschen Großstadt. Einerseits enthält das Buch einseitige und vereinfachende, andererseits aber auch beachtenswerte und problemorientierte Beiträge zur Integrationsdebatte.

Von „Rassist“ bis „Realist“ reichen die Einschätzungen, die Heinz Buschkowsky regelmäßig nach Fernsehauftritten in Talk-Shows auf sich zieht. Der bereits zum vierten Mal als Bezirksbürgermeister von Neukölln in Berlin gewählte Sozialdemokrat ist für drastische und überspitzte Formulierungen bekannt, geht es um Kommentare zu „Integration“ und „Unterschichten“. Als Kommunalpolitiker, der alltäglich mit einschlägigen Problemen konfrontiert ist, äußert sich Buschkowsky auch nicht abgehoben von der gesellschaftlichen Realität. Doch worin bestehen seine eigentlichen Einstellungen und Positionen? Wie realistisch sind die von ihm auch über Boulevard-Zeitungen populär gemachten Auffassungen? Und: Steckt hinter seiner dramatisierenden Problembeschreibung eine fremdenfeindlich und rassistische Grundauffassung? Auskunft zu diesen Fragen erhält man nach einer kritischen Lektüre seines Buchs „Neukölln ist überall“, das binnen kurzer Zeit hohe Auflagen erreichte und obere Plätze auf den Bestsellerlisten einnahm.

Bereits im Vorwort macht der Autor deutlich: Erstens, es handele sich um „ein politisches Buch, keine wissenschaftliche Expertise“. Zweitens, die von ihm beschriebenen Sachverhalte bezöge sich nie auf „alle Einwanderer, alle Muslime“ (S. 9). Und drittens, er beschäftige sich nicht mit Beispielen für „gelungene Integrationen“, sondern „mit der anderen Seite der Medaille“ (S. 10). So möchte Buschkowsky Fehlwahrnehmungen und Missverständnissen vorbeugen. Sie erlauben ihm aus seiner Sicht dann aber auch durchaus problematische Einseitigkeiten und Verallgemeinerungen, die sich durch die Kapitel des Buches ziehen. Darin geht es zunächst um das Fallbeispiel Neukölln als Teil einer Großstadt historisch wie gegenwärtig. Dem folgend beschreibt der Autor die unterschiedlichen sozialen Probleme, geht auf angebliche „Islamophobie“ und reale „Überfremdungsängste“ ein, berichtet von einem Gespräch mit Thilo Sarrazin und Erfahrungen in anderen europäischen Großstädten und behandelt intensiv Themen wie Kindertagesstätten und Schulen als Orte sozialer Konflikte.

Unter vielen Migranten macht Buschkwosky einen „Paradigmenwechsel“ aus: „weg von der Eigenerantwortung hin zu der Erwartung, der Staat trage die Verantwortung für das Wohl jedes Einzelnen und habe für seine Bedürfnisbefriedigung zu sorgen“ (S. 34). Die Gesellschaft müsse klare Forderungen bezüglich der Einhaltung von Regeln stellen und auch Konsequenzen bei einem Verstoß gegen sie umsetzen. So heißt es zum Schuleschwänzen von Migrantenkindern etwa: „’Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Kindergeld nicht auf das Konto’ wäre einfacher zu handhaben und für jeden verständlich. Es würde sich auch sehr schnell die Erkenntnis durchsetzen, dass das Fernblieben der Kinder von der Schule teuer wird“ (S. 359). Und dann heißt es auch: „Die Ordnungsprinzipien des täglichen Lebens gelten auch für Einwanderer. Wer mit den Gesetzen diese Landes nicht leben kann oder leben will ... dem sei viel Erfolg bei der Suche nach einem Ort irgendwo auf der Welt gewünscht, der seinen Idealen besser entspricht“ (S. 380).

Das sind eindeutige und harte Worte, die aber auch an eine Bringschuld der Migranten erinnern. Buschkowsky geht demgegenüber nicht mit gleicher Intensität auf die Defizite im Entgegenkommen der Mehrheitsgesellschaft ein. Gleichwohl betont er, dass es der etablierten Politik an Engagement und Problembewusstsein fehle: Man brauche „einen intervenierenden Staat und eine empathische Gesellschaft ... und keinen beobachtenden Staat mit ignoranter Arroganz“ (S. 10). Manches klingt bei Buschkowsky nach „Sarrazin-light“. Doch ist dem so? In einem Kapitel berichtet er von einem Gespräch mit Sarrazin, worin er „einen Großteil seiner Ableitungen“ als „falsch und daneben“ (S. 118) bezeichnet. Buschkowsky sieht die geschilderten Probleme nicht auf der Basis von ethnischer Herkunft. Es ginge hauptsächlich um die Fähigkeit und den Willen, „sich an die herrschenden Lebensregeln anzupassen“ (S. 198). Der Autor ist somit ein einseitiger und vereinfachender, aber ein durchaus beachtenswerter und problemorientierter Akteur in der Debatte um „Integration“.

Armin Pfahl-Traughber

Heinz Buschkowsky, Neukölln ist überall, Berlin 2012 (Ullstein-Verlag), 397 S., 19,99 €.