BERLIN. (hpd) Auch in Deutschland ist die russische Band Pussy Riot jetzt zum Thema geworden. Kurze Zeit nach der Verurteilung zu mehrjährigen Haftstrafen im Arbeitslager werden die jungen Bürgerrechtlerinnen nun hierzulande der Gotteslästerung bezichtigt. Die Frauen sind vom Wittenberger Stadtrat für den Luther-Preis 2012 nominiert worden.
Ein Kommentar von Walter Otte
Der Preis wird für „Das unerschrockene Wort“ verliehen, für die gewagte Meinungsfreiheit und kritische Äußerungen gegen den Mainstream. Obwohl der Namensgeber des Preises oft mit deftigen Bemerkungen Widersachern gerne mal die Meinung gesagt hat, mag manch einer (heutzutage) ein solches Verhalten bei den vorgesehenen Preisträgerinnen nicht billigen. Es wird versucht, die Aktion in Moskau zu einer „Gotteslästerung“ aufzublasen.
An vorderster Stelle bei der Denunziation dabei sind etliche Kirchenvertreter, darunter der bekannte Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer. Früher war er Bürgerrechtler in der DDR und kämpfte für freie Meinungsäußerung, heute diffamiert er junge Frauen, die er als „anstößig“ bewertet, weil sie mutig gegen das reaktionäre Bündnis von Staat (worunter in Russland immer stärker ausschließlich das System Putin zu verstehen ist) und orthodoxer Kirche protestiert haben. Für Schorlemmer unfassbar ist, dass bei dem Auftritt der Gruppe in der Moskauer Kathedrale etwa von „Gottes Dreck“ gesungen worden sei, was er für beleidigend hält: „Man stelle sich aber nur mal vor, der Auftritt wäre so im Magdeburger oder im Kölner Dom geschehen. Eine Lutherstadt sollte keine Gotteslästerung ehren.“ Nach einem „solchen Auftritt“ im Magdeburger oder Kölner Dom wären jedoch keine mehrjährigen Gefängnisstrafen verhängt worden.
Pussy Riot ist vor allem deshalb beim heutigen „Zaren“ und seinen religiösen Verbündeten in Ungnade gefallen, weil die Gruppe im Februar dieses Jahres in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mit einem „Punkgebet“ öffentlich aufgetreten ist. Es ging um eine Kritik an Putin, an seinem selbstherrlichen antidemokratischen Gebaren und vor allem an seiner Verbrüderung mit dem orthodoxen Klerus. Der Patriarch der Orthodoxen, Kyrill I., hatte kurze Zeit vor dem „Punkgebet“ dazu aufgerufen, Putin erneut in das Amt des russischen Staatsoberhaupts zu wählen. Pussy Riot hat diese Wahlunterstützung kritisiert und es gewagt, das in der Kathedrale die orthodoxen Würdenträger als „Scheiße Gottes“ zu bezeichnen; und die „Mutter Gottes“ war zudem in einem Stoßgebet aufgefordert worden, einen Wahlsieg Wladimir Putins zu verhindern und der russischen Opposition zu helfen, ihn zu vertreiben. Wer, wie Kyrill I., sich in das politische Geschäft einmischt, muss auch damit rechnen, dass ihm widersprochen wird – Widerspruch aber scheint dieser Herr ebenso wenig zu mögen wie Putin selbst.
So etwas reicht in Russland aus, um mehrjährige Gefängnisstrafen gegen Mütter kleiner Kinder zu verhängen. Schnell waren genug Claqeure vorhanden, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten und dies lauthals kundtaten, harte Strafen für die jungen Frauen von Pussy Riot forderten und nicht bemerkten, dass sie allenfalls „Bauern“ der politischen Schachzüge eines nun zum obersten Herrscher aufgestiegenen und seine Macht verteidigenden früheren Geheimdienstmitarbeiters sind.
Nun möchten die CDU und die Wittenberger „Allianz der Bürger“ den Beschluss für die Preisverleihung an „Pussy Riot“ wieder rückgängig machen; dabei spielt zum einen eine plötzlich entdeckte Empfindlichkeit für „religiöse Gefühle“ eine Rolle - wobei die christlich-demokratischen Wortführer nicht begreifen können oder begreifen wollen, dass sie letztlich Putin in die Hände arbeiten, wenn sie die Ehrung des mutigen Protestes gegen ihn sabotieren. Zum anderen spielt eine Rolle ein fundamentalistischer Hass auf junge Frauen, die Zeichen für mehr Demokratie in Russland gesetzt haben; anders denn als eine Hasstirade kann man die Äußerungen des Herrn Heiner Friedrich List von der „Allianz der Bürger“ in Wittenberg nicht bezeichnen. Geäußert hat er, dass er nicht verstehen könne, dass eine Stadt mit so christlichen Wurzeln wie Wittenberg den Preis "chaotischen Weibern, die vermummt in eine Kirche eindringen, sich diskriminierend und beleidigend äußern“ verleihen wolle. „Chaotische Weiber“, und die schafft man am besten gleich weg – weit weg, ins Straflager?
Die (geistige) Nähe zu Herrn List scheint Herrn Schorlemmer nicht ganz zu gefallen, ein wenig ist er zurück gerudert. Eine so harte Strafe, wie in Russland verhängt, mag er dann doch nicht billigen: Man müsse sich für die jungen Frauen einsetzen, sagte er vor kurzem gegenüber der Tageszeitung (TAZ), allerdings mit einer Einschränkung: „Aber nicht für den Scheißdreck, den sie da gesungen haben.“ Den könnten sie „auf dem Roten Platz anbringen, in einer Badeanstalt oder sonst wo, aber nicht in einer Kirche.“ Kyrill I. hat aber nicht auf dem Roten Platz oder in einer Badeanstalt zur Wiederwahl Wladimir Putins aufgerufen. Wenn der Patriarch sein religiöses Amt missbraucht, warum dann keine Reaktion darauf im religiösen Haus?
Nun hat Schorlemmer sich wieder etwas Neues einfallen lassen. Im Interview mit der TAZ vom 24. Oktober, moniert er: „Mein Hauptvorwurf an diese Pussys ist, dass sie nicht beten, sondern provozieren.“ Von Gotteslästerung will er überhaupt nicht gesprochen haben. In dem Mann denkt es, fraglich ist nur, was: Gebet statt Provokation – soll das in Russland der Demokratie weiterhelfen? Schorlemmer scheint einfach weiterreden zu müssen, ohne die Zusammenhänge zu begreifen. Das Sprichwort, dass Schweigen Gold, Reden aber nur Silber sei, ist wohl in Wittenberg noch nicht bekannt geworden.
Deutschland ist jedoch nicht Russland. Hier wird deutlich und öffentlich den religiösen Propagandisten widersprochen. Und nicht nur von Leuten, die keinen Gott anbeten.
Heiner Geißler, Katholik, der frühere Jesuiten-Zögling und profunde Kenner der christlichen Religion, hat es auf den Punkt gebracht: „Was soll das für ein Gott sein, für den das, was die drei getan haben, Gotteslästerung ist?“ Es komme, so Geißler in einem Spiegel-Gespräch, doch nicht darauf an, ob die Gefühle von Gläubigen verletzt worden seien, Schorlemmer und ähnlich Argumentierenden gehe es um „ihre eigenen höchst persönlichen Gefühle, von denen sie offensichtlich wollen, dass auch andere sie empfinden.“ Wer so – wie Schorlemmer – gegen die Protestaktion von Pussy Riot agiere – der müsse „eine ganz perverse Sicht von Gott haben“.
Nun, vielleicht hat Herr Schorlemmer eine Sicht von Gott, die weniger einen liebenden Gott in den Vordergrund stellt und mehr von einem Gott als einem mit der russischen staatlichen Macht verbündeten spießgesellenartigen Wesen ausgeht.
Letztlich kommt es auf die Vorstellungen von Herrn Schorlemmer und anderen Religionsvertretern aber auch nicht an. Pussy Riot hat sich um die Demokratie in Russland verdient gemacht. Ohne spektakuläre Aktion wäre die Kritik an Staat und Kirche (vor allem bei dem gesteuerten Mediensystem in Russland) unbeachtet geblieben. Und selbst wenn man die Wortwahl von Pussy Riot als nicht sehr feinsinnig bezeichnen möchte, so war sie doch klar und eindeutig. Und sie war eine Reaktion auf die groben Beschimpfungen der Opposition durch die Putin-Freunde, auf die Diskriminierungen und Verhaftungen.
Wer mit dem groben Klotz auftritt, muss damit rechnen, dass andere einen groben Keil draufsetzen. So ist das eben.
Apropos Gotteslästerung:
Emel Zeynelabidin, die Tochter des Gründers der deutschen Sektion von Milli Görüs,erhielt den Luther-Preis im Jahr 2007 wegen ihres Verhaltens im sogenannten Kopftuchstreit: 2005 legte sie nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Koran und islamischen Glaubensregeln ihr Kopftuch ab. Auch sie eine Gotteslästerin?
Es wird bestimmt genug muslimische Schorlemmerer geben, die dies für Gotteslästerung halten. Also: Preis zurück? Nein, selbstverständlich nicht.