Luther-Preis für „Gotteslästerung“?

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Marktplatz in Wittenberg, Foto: Cethegus (Wikipedia)

BERLIN. (hpd) Auch in Deutschland ist die russische Band Pussy Riot jetzt zum Thema geworden. Kurze Zeit nach der Verurteilung zu mehrjährigen Haftstrafen im Arbeits­lager werden die jungen Bürger­recht­lerinnen nun hierzulande der Gottes­lästerung bezichtigt. Die Frauen sind vom Witten­berger Stadt­rat für den Luther-Preis 2012 nominiert worden.

Ein Kommentar von Walter Otte

Der Preis wird für „Das unerschrockene Wort“ verliehen, für die gewagte Meinungs­freiheit und kritische Äußerungen gegen den Main­stream. Obwohl der Namens­geber des Preises oft mit deftigen Bemerkungen Wider­sachern gerne mal die Meinung gesagt hat, mag manch einer (heutzutage) ein solches Verhalten bei den vorgesehenen Preis­trägerinnen nicht billigen. Es wird versucht, die Aktion in Moskau zu einer „Gotteslästerung“ aufzublasen.

An vorderster Stelle bei der Denunziation dabei sind etliche Kirchen­vertreter, darunter der bekannte Witten­berger Theologe Friedrich Schorlemmer. Früher war er Bürger­rechtler in der DDR und kämpfte für freie Meinungs­äußerung, heute diffamiert er junge Frauen, die er als „anstößig“ bewertet, weil sie mutig gegen das reaktionäre Bündnis von Staat (worunter in Russland immer stärker aus­schließlich das System Putin zu verstehen ist) und orthodoxer Kirche protestiert haben. Für Schorlemmer unfassbar ist, dass bei dem Auftritt der Gruppe in der Moskauer Kathedrale etwa von „Gottes Dreck“ gesungen worden sei, was er für beleidigend hält: „Man stelle sich aber nur mal vor, der Auf­tritt wäre so im Magdeburger oder im Kölner Dom geschehen. Eine Luther­stadt sollte keine Gottes­lästerung ehren.“ Nach einem „solchen Auftritt“ im Magdeburger oder Kölner Dom wären jedoch keine mehr­jährigen Gefängnis­strafen verhängt worden.

Pussy Riot ist vor allem deshalb beim heutigen „Zaren“ und seinen religiösen Verbündeten in Ungnade gefallen, weil die Gruppe im Februar dieses Jahres in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mit einem „Punkgebet“ öffentlich auf­getreten ist. Es ging um eine Kritik an Putin, an seinem selbst­herrlichen anti­demokratischen Gebaren und vor allem an seiner Ver­brüderung mit dem orthodoxen Klerus. Der Patriarch der Orthodoxen, Kyrill I., hatte kurze Zeit vor dem „Punkgebet“ dazu aufgerufen, Putin erneut in das Amt des russischen Staats­oberhaupts zu wählen. Pussy Riot hat diese Wahl­unterstützung kritisiert und es gewagt, das in der Kathedrale die orthodoxen Würden­träger als „Scheiße Gottes“ zu bezeichnen; und die „Mutter Gottes“ war zudem in einem Stoß­gebet auf­gefordert worden, einen Wahl­sieg Wladimir Putins zu verhindern und der russischen Opposition zu helfen, ihn zu ver­treiben. Wer, wie Kyrill I., sich in das politische Geschäft einmischt, muss auch damit rechnen, dass ihm wider­sprochen wird – Wider­spruch aber scheint dieser Herr ebenso wenig zu mögen wie Putin selbst.

So etwas reicht in Russland aus, um mehr­jährige Gefängnis­strafen gegen Mütter kleiner Kinder zu verhängen. Schnell waren genug Claqeure vorhanden, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten und dies laut­hals kund­taten, harte Strafen für die jungen Frauen von Pussy Riot forderten und nicht bemerkten, dass sie allenfalls „Bauern“ der politischen Schachzüge eines nun zum obersten Herrscher aufge­stiegenen und seine Macht ver­teidigenden früheren Geheim­dienst­mitarbeiters sind.

Nun möchten die CDU und die Witten­berger „Allianz der Bürger“ den Beschluss für die Preis­verleihung an „Pussy Riot“ wieder rück­gängig machen; dabei spielt zum einen eine plötzlich entdeckte Empfind­lichkeit für „religiöse Gefühle“ eine Rolle - wobei die christlich-demokratischen Wort­führer nicht begreifen können oder begreifen wollen, dass sie letztlich Putin in die Hände arbeiten, wenn sie die Ehrung des mutigen Protestes gegen ihn sabotieren. Zum anderen spielt eine Rolle ein fundamen­talistischer Hass auf junge Frauen, die Zeichen für mehr Demokratie in Russ­land gesetzt haben; anders denn als eine Hass­tirade kann man die Äußerungen des Herrn Heiner Friedrich List von der „Allianz der Bürger“ in Witten­berg nicht bezeichnen. Geäußert hat er, dass er nicht verstehen könne, dass eine Stadt mit so christ­lichen Wurzeln wie Witten­berg den Preis "chao­tischen Weibern, die vermummt in eine Kirche eindringen, sich diskriminierend und beleidigend äußern“ verleihen wolle. „Chaotische Weiber“, und die schafft man am besten gleich weg – weit weg, ins Straf­lager?

Die (geistige) Nähe zu Herrn List scheint Herrn Schorlemmer nicht ganz zu gefallen, ein wenig ist er zurück gerudert. Eine so harte Strafe, wie in Russ­land verhängt, mag er dann doch nicht billigen: Man müsse sich für die jungen Frauen ein­setzen, sagte er vor kurzem gegenüber der Tages­zeitung (TAZ), allerdings mit einer Einschränkung: „Aber nicht für den Scheiß­dreck, den sie da gesungen haben.“ Den könnten sie „auf dem Roten Platz anbringen, in einer Bade­anstalt oder sonst wo, aber nicht in einer Kirche.“ Kyrill I. hat aber nicht auf dem Roten Platz oder in einer Bade­anstalt zur Wieder­wahl Wladimir Putins aufgerufen. Wenn der Patriarch sein religiöses Amt miss­braucht, warum dann keine Reaktion darauf im religiösen Haus?
Nun hat Schorlemmer sich wieder etwas Neues einfallen lassen. Im Interview mit der TAZ vom 24. Oktober, moniert er: „Mein Hauptvorwurf an diese Pussys ist, dass sie nicht beten, sondern provozieren.“ Von Gottes­lästerung will er überhaupt nicht gesprochen haben. In dem Mann denkt es, fraglich ist nur, was: Gebet statt Provokation – soll das in Russland der Demokratie weiter­helfen? Schorlemmer scheint einfach weiter­reden zu müssen, ohne die Zusammen­hänge zu begreifen. Das Sprich­wort, dass Schweigen Gold, Reden aber nur Silber sei, ist wohl in Witten­berg noch nicht bekannt geworden.

Deutschland ist jedoch nicht Russ­land. Hier wird deutlich und öffent­lich den religiösen Propa­gandisten wider­sprochen. Und nicht nur von Leuten, die keinen Gott anbeten.

Heiner Geißler, Katholik, der frühere Jesuiten-Zögling und profunde Kenner der christ­lichen Religion, hat es auf den Punkt gebracht: „Was soll das für ein Gott sein, für den das, was die drei getan haben, Gottes­lästerung ist?“ Es komme, so Geißler in einem Spiegel-Gespräch, doch nicht darauf an, ob die Gefühle von Gläubigen verletzt worden seien, Schorlemmer und ähnlich Argumentierenden gehe es um „ihre eigenen höchst persönlichen Gefühle, von denen sie offen­sichtlich wollen, dass auch andere sie empfinden.“ Wer so – wie Schorlemmer – gegen die Protest­aktion von Pussy Riot agiere – der müsse „eine ganz perverse Sicht von Gott haben“.

Nun, vielleicht hat Herr Schorlemmer eine Sicht von Gott, die weniger einen liebenden Gott in den Vorder­grund stellt und mehr von einem Gott als einem mit der russischen staat­lichen Macht ver­bündeten spieß­gesellen­artigen Wesen ausgeht.
Letztlich kommt es auf die Vor­stellungen von Herrn Schorlemmer und anderen Religions­vertretern aber auch nicht an. Pussy Riot hat sich um die Demokratie in Russ­land verdient gemacht. Ohne spektakuläre Aktion wäre die Kritik an Staat und Kirche (vor allem bei dem gesteuerten Medien­system in Russland) unbe­achtet geblieben. Und selbst wenn man die Wort­wahl von Pussy Riot als nicht sehr fein­sinnig bezeichnen möchte, so war sie doch klar und eindeutig. Und sie war eine Reaktion auf die groben Beschimpfungen der Opposition durch die Putin-Freunde, auf die Diskriminierungen und Ver­haftungen.

Wer mit dem groben Klotz auftritt, muss damit rechnen, dass andere einen groben Keil draufsetzen. So ist das eben.

Apropos Gotteslästerung:
Emel Zeynelabidin, die Tochter des Gründers der deutschen Sektion von Milli Görüs,erhielt den Luther-Preis im Jahr 2007 wegen ihres Ver­haltens im sogenannten Kopf­tuch­streit: 2005 legte sie nach jahre­langer Aus­einander­setzung mit dem Koran und islamischen Glaubens­regeln ihr Kopftuch ab. Auch sie eine Gottes­lästerin?

Es wird bestimmt genug muslimische Schorlemmerer geben, die dies für Gottes­lästerung halten. Also: Preis zurück? Nein, selbst­verständlich nicht.