Zwischen Apologie und Kritik

(hpd) Der Politikwissenschaftler Uli Schöler erörtert in dem Buch „Wolfgang Abendroth und der ‚reale Sozialismus’. Ein Balanceakt“ das Verhältnis eines „Gründungsvaters“ der deutschen Politikwissenschaftler zur DDR-Diktatur zwischen Apologie und Kritik. Direkt an den Quellen orientiert gelingt dem Autor ein anschauliches Bild der politischen Entwicklung eines bedeutenden Intellektuellen zwischen Demokratie und Sozialismus, Ideologie und Wissenschaft.

Wolfgang Abendroth (1906-1985) gehörte zu den „Gründungsvätern“ der deutschen Politikwissenschaft und gilt als erster marxistischer Hochschullehrer in der Bundesrepublik Deutschland. Als früherer Abweichler von der Linie der KPD und späterer Verfolgter des SED-Regimes nahm er zunächst eine kritische Haltung gegenüber der DDR und der Sowjetunion ein. Nach 1968 wandelte sich diese Position immer mehr in eine Apologie, die mit einer großen Nähe zur DKP einherging, aber nicht mit einer Mitgliedschaft endete. Wie erklärt sich nun diese Entwicklung von Abendroth, der immerhin in den 1950er und 1960er Jahren bedeutende Beiträge zu einem juristischen und politischen Konzept von sozialer Demokratie entwickelt hatte? Dieser Frage geht die von Uli Schöler vorgelegte Studie „Wolfgang Abendroth und der ‚reale Sozialismus’. Ein Balanceakt“ nach. Der Autor gehört zu den Mitherausgebern der „Gesammelten Schriften“ von Abendroth, woraus sich die starke Orientierung an dessen verstreuten Publikationen erklärt.

Schöler zeichnet Abendroths erwähnten Entwicklungsprozess historisch-chronologisch nach, wobei sich ein mehr von Brüchen denn von Kontinuitäten geprägtes Bild ergibt. Demnach führten die Moskauer Schauprozesse und der Hitler-Stalin-Pakt zum Bruch mit dem „realen Sozialismus“, der noch durch die Erfahrungen in der Sowjetischen Besatzungszone gestärkt wurde. In den 1950er Jahren sprach Abendroth denn auch von einem totalitären Charakter der DDR, der von der sozialistischen Linken schonungslos aufzudecken sei (vgl. S. 35, 37). Im Laufe der 1960er Jahre habe sich demgegenüber eine Preisgabe dieser kritischen Positionen abgezeichnet. Sie mündeten in einen Notwendigkeits- und Unvermeidbarkeitsparadigma (vgl. S. 99, 179). Demnach erklärten sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Zustände im „realen Sozialismus“ primär nicht aus politischen Entscheidungen, sondern aus einschlägigen Rahmenbedingungen. Damit wurde Abendroth ein Apologet der DDR, die angeblich auf dem Weg fortschreitender Demokratisierung gewesen sei (vgl. S. 112, 121).

Wie deutet Schöler nun diese Entwicklung? Er sieht ihre Ursache in den innenpolitischen Umbrüchen der Bundesrepublik Deutschland: Angesichts der Entwicklung der SPD, die nicht mehr sozialistische, sondern allenfalls sozialreformerische Politik betrieben habe, hätte Abendroth nur noch in der 1968 gegründeten DKP einen Ausdruck organisierten Klassenbewusstseins gesehen (vgl. S. 95). In der Folge dieser Einsicht neigte Abendroth nach Schöler immer mehr zu eine apologetischen Auffassung gegenüber dem SED-Staat: „Deshalb beinhaltete seine inhaltliche Annäherung an die Legitimationsgrundlagen von Partei und Staat der DDR wohl vor allem eine strategisch-taktische Entscheidung dahingehend, dadurch mitzuhelfen, für die Bündnisfähigkeit des neuen politischen Brückenkopfs des realen Sozialismus in der Bundesrepublik, der DKP, mit dem vorhandenen linkssozialistischen Spektrum zu sorgen“ (S. 129). Seine seinerzeitigen Publikationen ließen den politischen Akteur, aber nicht mehr den Wissenschaftler Abendroth erkennen.

Schölers starke Ausrichtung an einer Analyse von Texten lässt ihn als ausgezeichneten Kenner der Materie erscheinen. Er macht auch überzeugend deutlich, dass die von Anhängern wie Gegnern Abendroths postulierte Auffassung von einer Kontinuität seines Denkens falsch ist. Der Autor verweist sogar auf totalitarismustheoretische Analysemuster in seinen frühen Schriften. Schöler geht es auch um eine „Ehrenrettung“ des Abendroth der 1950er Jahre, der das „Konzept einer sozialen Demokratie für die Bundesrepublik entwirft und es argumentativ scharf vom Realprogramm der totalitären Machtpolitik Ulbrichts absetzt“ (S. 190). Indessen zeigt seine eigene Deutung, dass sich Abendroth wohl mehr als Ideologe denn als Wissenschaftler sah. Auch war ihm die Demokratie wohl weniger wichtig als der Sozialismus. Diesen Punkt hätte der Autor noch ausführlicher herausarbeiten können. Er ignoriert leider auch neuere Publikationen (Hennig, Kraushaar), die von einer viel tieferen Kooperation Abendroths mit DDR-Offiziellen ausgehen.

Armin Pfahl-Traughber

Uli Schöler, Wolfgang Abendroth und der „reale Sozialismus“. Ein Balanceakt, Berlin 2012 (Verlag für Berlin-Brandenburg), 216 S., 19,95 €