„Der kultivierte Affe“ als Person?

BERLIN. (hpd) Die Definitionen von Affen und Menschen hängen seit der Antike miteinander zusammen. Sie wurden über zweitausend Jahre lang in Ähnlichkeit und Differenz zueinander verstanden. Mal war der Affe der gute Wilde, wie bei Rousseau, später der Mensch ein um sein Dasein kämpfendes Tier, wie es Trivialversionen des Darwinismus suggerieren.

Hans Werner Ingensiep, Biologe, Philosoph und Wissenschaftstheoretiker, begibt sich in seinem neuen Werk „Der kultivierte Affe: Philosophie, Geschichte und Gegenwart“ auf eine spannende Spurensuche durch schriftliche und ikonografische Quellen und eröffnet eine Fülle von Denkmöglichkeiten und Anregungen.

Aristoteles erweist sich wieder einmal als genauer Beobachter. Die Affen – er kannte Paviane und Meerkatzen - verortete er zwischen den Menschen und den Vierfüßlern. Denn: “Etwas besonderes sind seine Füße, die wie große Hände anzusehen sind, auch die Zehen sind wie Finger an den Händen ... und selbst die Fußsohle gleicht der Handfläche, ist nur länger und am Ende gestreckt wie ein Handteller ... Deswegen, weil er Füße hat, die Händen ähneln, und gleichsam aus Hand und Fuß gemischt sind – verbringt er die meiste Zeit als Vierfüßler, mehr jedenfalls als in aufrechter Haltung.“

Viel später, um 1800, wird der Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach die Affen als Vierhänder klassifizieren. Ein halbes Jahrhundert davor rechnete Carl von Linné den Homo sapiens zu den Primaten - Blumenbach löst die Ordnung der Primaten wieder auf und unterscheidet den Menschen als einzigen Zweihänder von den vierhändigen Affen. Die Hände werden zum Kriterium der Differenz. So wird aus dem Menschen, seit Platon ein Zweibeiner, ein Zweihänder, der Affe vom Vierfüßler zum Vierhänder.

Das rationalistische 17. Jahrhundert stellt erstmals die Frage nach der Person. Damals gelangte eine Schimpansin aus Angola als Geschenk an den Prinzen von Oranien nach Holland. Eine Darstellung von ihr auf einem später in so manchem Folianten reproduzierten Kupferstich gleicht einer langhaarigen, schüchternen, mit gesenktem Kopf dasitzenden Frau, die ihre Scham mit den Händen bedeckt. Tatsächlich sehen wir einen „melancholischen Affen“, wie man ihn eher in de Zeit der Empfindsamkeit erwarten würde. Der durch Rembrandt berühmt gewordene Arzt Nicolaes Tulp fügte der Erstveröffentlichung des Bildes eines Schimpansen eine Beschreibung hinzu, in der er neben der körperlichen Ähnlichkeit ausdrücklich die sehr menschlichen Eigenschaften des „Satyrus Indicus“ – hier vermischen sich in der Bezeichnung Orang und Schimpanse – vermerkt: Die Fähigkeit zum aufrechten Gang, zum Tragen von schweren Dingen und die Gewohnheit, zum Schlafen eine Decke über sich zu ziehen. Die Charakterisierung des Affen aus der Feder Jakob de Bondts, eines Landsmannes und Zeitgenossen Tulps, bedient sich ebenfalls anthropomorpher Projektionen. Bei ihm ist explizit von der „Schamhaftigkeit des Weibes“ und dabei gleichzeitig von der angenommen Sprachfähigkeit des Orangs die Rede. Er wolle aber nicht sprechen, um nicht arbeiten zu müssen. So fand ein indigener Mythos Eingang in die frühe Naturwissenschaft der Neuzeit.

Nüchtern fasst Linné im 18. Jahrhundert  Affen und Menschen als menschengestaltig in einer Gattung zusammen – womit bei ihm nun indirekt die Menschen zu Vierfüßlern werden. In der „Histoire Naturelle“ des Rivalen Linnés, Georges-Louis Leclerc Buffon, ist dagegen ein Schimpanse, „le jocko“ genannt, aufrecht mit einem knorrigen Ast als Wanderstab in der Hand zu finden, und Buffon schreibt (noch immer vermischen sich dabei das Wissen um Orang und Schimpansen): Wenn man von der Körperlichen Ähnlichkeit ausgehe, könne man den Orang „ebensogut wie den ersten unter den Affen als wie den letzten unter den Menschen ansehen“.

Keine Schwierigkeiten, den Affen in ein ohnehin materialistisches Konzept von der einstigen Krone der Schöpfung als nun ebenfalls menschliche Maschine zu integrieren, hat ein Zeitgenosse, der Arzt Julien Offray de La Mettrie. Tulp habe die vollkommene Ähnlichkeit zwischen den Körpern des Satyrs und des Menschen richtig erkannt, deshalb müsse auch sein Gehirn dazu beschaffen sein, zu denken und zu fühlen wie das unsere. Nun stellt er eine Überlegung an, der erst Psychologen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nachgehen sollten: „Warum sollte also die Erziehung des Affen unmöglich sein? Warum sollte er nicht schließlich, dank großer Bemühungen, nach dem Vorbild der Tauben die Bewegungen nachahmen können, die notwendig sind, um zu sprechen?“ Jean-Jacques Rousseau war sich ebenfalls sicher, dass die Satyre, Faune und Silvane, die mittlerweile zu Pongos, Madrills und Orangs geworden waren, „weder Tiere noch Götter, sondern Menschen sind“.

Etwa zeitgleich sinniert der französische Universalgelehrte und Mediziner Claude-Nicolas Le Cat: „Die Koralle, die Madreporen, auch die Lythophyten sind Grenzlebewesen zwischen Stein und Pflanze: die Mimose, die Polypen, die Seeanemonen, die Zoophyten, sind in einem Wort Mittelglieder zwischen Pflanze und Tier: Der Affe Orang-Utan, der Waldmensch – ist er nicht auch eine Art Mittelglied zwischen Tier und Mensch?“ Damals zieht ein langarmiger Affe nackt und kerzengerade mit einem runzligen wachen Kindergreisengesichtchen durch die illustrierten Naturkundebücher. Die Vorlage dafür lieferte bereits hundert Jahre zuvor Gérard Jean Baptiste Scotin.

Der 1782 geborene und 1848 gestorbene Bonner Zoologieprofessor Georg August Goldfuß überrascht kurz vor Darwins Veröffentlichung mit Geistesblitzen, mit denen er seiner Zeit sehr weit voraus und dem heutigen Verständnis sehr nahe kam: „In gerader Linie gehen Eichhörnchen in die Affen über.“ Und: „Der Mensch ist das Gehirntier der Säugetiere...“ Der Gedanke der Evolution war allerdings nicht mehr einzigartig, nur hatte man keine Vorstellung davon, wodurch sie ausgelöst wurde und nach welchen Gesetzen sie funktionierte.

Ausgerechnet ein deutscher Idealist, Arthur Schopenhauer, erwies sich nun als besonders empfindsam für so manche Ähnlichkeit zwischen dem einen oder anderen Tier und dem von seinem Willen wie von einem Trieb geplagtem Menschen: „Nur den allerklügsten Tieren, wie den Hunden und Affen, macht sich schon das Bedürfnis der Beschäftigung, und somit der Langeweile fühlbar; daher sie gerne spielen, auch wohl mit Gaffen nach den Vorübergehenden unterhalten.“

Nach Darwin schlug die Humanisierung des Affen im 19. Jahrhundert, so Ingensiep, erst einmal um in eine Bestialisierung des Menschenaffen. Nun wurde der Gorilla zum Protagonisten, über den in der Blütezeit des Kolonialismus zahlreiche schauerliche Berichte nach Europa drangen. Erst die Verhaltensforschung Wolfgang Köhlers mit Schimpansen auf Teneriffa leitete Anfang des 20. Jahrhunderts eine Wende ein. Intelligenz, Kreativität, Kommunikation und Persönlichkeit rückten ins Blickfeld. Köhler kam zu dem Ergebnis, dass seine Probanden über eine Einsicht durch die Erfassung einer Situation verfügten, „Sinn für Gestalt“, wie man es damals nannte. Er beobachtete an ihnen die Gabe zu Erfindungen und einen starke Nachahmungstrieb bis hin zu Moden.

Darauf reagierten die Philosophen, am kundigsten vielleicht der Philosoph und Biologe Helmuth Plessner, ein Schüler des Phänomenologen Max Scheler, aber erst einmal kritisch. Tiere haben, so meint er, eine Außen- und eine Innenwelt - er nennt es „Positionalität“- sie haben einen gefühlten Leib, sind „Subjekt des Seins und Habens“. Doch „dem intelligentesten Lebewesen in der Tierreihe, dem menschenähnlichsten, fehlt der Sinn fürs Negative“, auch für den leeren Raum. Er habe kein Verständnis von der „Rückseite der Dinge“, bleibe sich daher auch als Subjekt verborgen, sei reines „Mich, nicht Ich“ und komme nicht zum „Bewusstsein des Sachverhalts“.  Deshalb, so Plessner, konnten Köhlers Schimpansen zwar Bambusstäbe ineinanderschieben, um an eine weit oben hängende Banane zu gelangen, wenn sie hintereinander angeordnet waren, nicht aber wenn die Stäbe nebeneinander lagen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wenden sich die theoretischen Überlegungen der Sprache zu. Inzwischen hatten die Schimpansin Washoe, die Gorilla-Dame Koko und ihre Artgenossen in den USA die Taubstummensprache erlernt, aber wieder sind die Philosophen skeptisch. Der Grand Seigneur der analytischen Sprachphilosophie, Donald Davidson, unbeeindruckt davon, dass Washoe an die hundert Symbole selbst erfunden hatte und zwei bis drei auch zur Bezeichnung von Situationen miteinander kombinieren konnte, wendet ein, er vermisse eine echte Grammatik und Semantik. Die Primatologen hoben darauf die Fähigkeit ihrer Schützlinge hervor, Hinweise auf abwesende Gegenstände zu geben, spontane Kommentare abzugeben, Handlungsabsichten anzukündigen, sich auch untereinander mit Symbolen zu verständigen, sich eigene zu erfinden und untereinander weiterzugeben.

Washoe und der malende Schimpanse Congo, dessen Prädisposition zum ästhetischen Ausdruck Desmond Morris in den Fünfzigern untersucht hatte, waren durch die Medien zu berühmten Tierpersönlichkeiten geworden. Waren sie damit Personen? Ingensiep weist darauf hin, inwieweit über die Jahrhunderte bei dem Versuch, den Affen zu verstehen, Antropomorphismen im Schwange waren - und es jetzt noch sind. Nur eben auf je andere Weise. Und er argumentiert, dass man über die Ähnlichkeit mit dem Menschen nicht diskutieren könne, wenn man sich nicht einen Begriff vom Menschen gemacht habe. So hängen Speziesismus und Speziesismuskritik zusammen und sind ohne einander noch immer nicht zu denken. Dass muss nicht schlimm sein, aber es ist sinnvoll, sich darüber im Klaren zu sein.

Simone Guski

Abbildung: Orang-Utan - von Tethart Philipp Christian Haag - 1776 -  (Hier greift ein Affe nach den Früchten vom Baum der Erkenntnis)

 

Hans Werner Ingensiep: „Der kutivierte Affe: Philosophie, Geschichte und Gegenwart“, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2012, 317 Seiten, 24,90 Euro.