WIEN. (hpd) Der ORF wird ab sofort drei evangelische Gottesdienste pro Jahr auf seinen Regionalradios übertragen. Das hat das Unternehmen bekannt gegeben – und versucht, es als Beitrag zur „Vielfalt des religiösen Lebens“ zu verkaufen. Einer näheren Untersuchung hält die Behauptung nicht stand.
Fast scheint es, als sei der ORF krampfhaft bemüht, die knapp zwei Millionen Konfessionsfreien in Österreich vor den Kopf zu stoßen. Die exzessive Huldigung des neuen Papstes Jorge Bergoglio in allen Nachrichtensendungen und per live übertragenen Amtseinführungsgottesdienst ist kaum vorbei, da kündigt das Unternehmen an, dass es jährlich drei evangelische Gottesdienste in seinen Regionalradios übertragen will. Bisher waren sie nur auf Ö1 zu hören gewesen.
Im Wortlaut liest sich das so: „Ab Ostern werden drei der insgesamt fünf evangelischen ORF-Radio-Gottesdienste in den ORF-Regionalradios übertragen – der erste am Ostermontag, den 1. April 2013 von 10.00 bis 11.00 Uhr aus der evangelisch-reformierten Pfarrgemeinde Wien-Süd.
In den ORF-Regionalradios gibt es seit Jahrzehnten die Tradition der Übertragung der römisch-katholischen Gottesdienste. Als Signal in Richtung Öffnung und Vielfalt des religiösen Lebens in Österreich werden nun neben den katholischen sowohl evangelisch-lutherische (A.B.) als auch evangelisch-reformierte (H.B.) Gottesdienste übertragen. Der Karfreitagsgottesdienst und jener am Reformationstag werden weiterhin auf Ö1 gesendet.
Die Termine der drei evangelischen ORF-Radio-Gottesdienste (...) sind Ostermontag, Pfingstmontag und zweiter Weihnachtsfeiertag (26.12.), jeweils von 10.00 bis 11.00 Uhr. Die erste Übertragung kommt am Ostermontag, den 1. April 2013 aus der evangelisch-reformierten Pfarrgemeinde Wien-Süd, wo Oberkirchenrat Johannes Wittich Pfarrer ist. ORF Religion im Radio bietet so flächendeckend aus ganz Österreich in Kooperation mit den ORF-Landesstudios die Möglichkeit an, authentische Einblicke in das spirituelle Leben der verschiedenen Gemeinden zu bekommen.“
Evangelische freuen sich – im ersten Moment
Das liest sich beinahe wie der Versuch, den Dauerzwist mit mehreren säkularen Organisationen in Österreich auszuweiten. Der ORF war wiederholt wegen seiner großen Nähe zu Religionsgemeinschaften im Allgemeinen und zur katholischen Kirche im Besonderen vor Beschwerdegremien beklagt worden. Gegenüber dem hpd reagieren die involvierten Organisationen mit Kopfschütteln.
Die evangelische Kirche dürfte sich über die Aussendung gefreut haben. Drei Gottesdienste im Jahr mehr im Radio – das ist doch was. Wenngleich nur auf den ersten Blick.
Auszug aus einer eMail-Anfrage des hpd an die ORF-Presseabteilung.
hpd:„Verstehe ich die Aussendung richtig, dass auf den Regionalradios somit drei Gottesdienste zusätzlich übertragen werden? Oder fallen katholische Gottesdienste weg?“
ORF: „ Katholische Gottesdienste fallen nicht weg, evangelische kommen aber auch nicht dazu, sind nur vom ORF Radiosender Ö1 zu den ORF-Regionalradios gewandert.“
Verlegenheitslösung, keine Ausweitung
Statt das protestantische Programm auszuweiten, wie die Presseaussendung suggeriert, verlagert es der ORF von seinem journalistischen Radio-Flagschiff Ö1 in die Regionalsender. Die protestantischen Messen wurden Opfer der Ö1-Programmreform. Weglassen konnte man sie schlecht. Das hätte die Protestanten vermutlich ernsthaft verärgert. Und die haben immerhin von Gesetz wegen einen Sitz im ORF-Publikumsrat. Als Verschubstelle fand man nur die Landesstudios. Die genießen nicht die hohe internationale Akzeptanz des bundesweiten Senders, haben aber in Summe deutlich mehr Hörer. Eine ausgesprochene Verlegenheitslösung, von der die protestantische Kirche sogar profitiert. Wenn auch weit weniger als man beim Lesen der Aussendung vermutet hätte.
Dass Ö1 in seinem neuen Programmschema keinen Platz mehr für den Großteil der protestantischen Gottesdienste hat, hat für die evangelische Kirche auch einen indirekten Vorteil. Das ORF-Gesetz gibt den Landesstudios einen besonderen Kernauftrag: „Die Information über die Bedeutung, Funktion und Aufgaben des Bundesstaates sowie die Förderung der regionalen Identitäten der Bundesländer“.
Beitrag zur „Förderung der regionalen Identität“?
Wenn die protestantischen Messen in die Regionalsender wandern, kann man das auch als Beitrag zur Förderung dieser „regionalen Identität“ sehen. Als Tiroler darf man ab 1. April auch evangelisch sein, ohne aus dem Identitätsrahmen zu fallen, den das ORF-Landesstudio fördert und damit auch vorgibt. Zumindest ein bisschen. Dreimal im Jahr, genau genommen. Für die Funktionäre der evangelischen Kirche muss das Balsam auf die Wunden sein, die die Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren geschlagen haben. Seit geraumer Zeit ist man nur mehr drittgrößte Religionsgemeinschaft im Land.
Die mehr oder weniger propagierte Teilhabe an der „regionalen Identität“ war bisher nur den Katholiken vorbehalten. Deren Sonntagsgottesdienste übertragen die regionalen Sender Woche für Woche. Zusätzlich zum Geläute von im Regelfall katholischen Kirchenglocken jeden Wochentag um 12 Uhr. Im Vergleich nehmen sich drei evangelische Messen etwas mickrig aus. Aber, wie die ORF-Presseabteilung dem hpd schreibt: „Es geht nicht nur um Mitgliederzahlen, sondern auch um das historische Gewachsen-Sein.“
Andere Religionsgemeinschaften gehen leer aus
Aus der Mailanfrage:
hpd: „Ist auch geplant, Gottesdienste anderer Religionsgemeinschaften zu übertragen? Die Orthodoxen sind mittlerweile ja beinahe so groß wie die Evangelischen, die Muslime haben, nach den spärlichen offiziellen Zahlen, die vorliegen, die evangelische Kirche mitgliedermäßig schon vor geraumer Zeit überholt.“
ORF: „Vom ORF her sind keine zusätzlichen Gottesdienst-Übertragungen angedacht. Selbstverständlich wird ausführlich über die von Ihnen in diesem und im nächsten Absatz genannten Communities berichtet.“ (Im nächsten Absatz wurde nach Mormonen, Zeugen Jehovas und Altkatholiken gefragt, die ebenfalls den Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft haben.)
Dass das vielleicht nicht die gleiche Wertigkeit haben könnte wie ein übertragener Gottesdienst ist aus Sicht des ORF kein Problem: „Insofern nicht die gleiche Wertigkeit, als man bei gut gestalteten ausführlichen Beiträgen konzentrierter zuhört als bei Gottesdienstübertragungen. In Summe ergänzen sich unsere Radio-Angebote und werden als Gesamtheit gesehen.“
Das relativiert die Aussage von einem „Signal in Richtung Öffnung und Vielfalt des religiösen Lebens in Österreich“. Und wirft die Frage auf, warum man überhaupt die Gottesdienste überträgt, wenn „gut gestaltete ausführliche Beiträge“ konzentrierter wahrgenommen werden als die Messen.
Sitz im Publikumsrat ausschlaggebend?
Dass Gottesdienste im Radio einen ausgesprochen affirmativen Charakter aus religiöser Sicht haben, ändert das nicht. Ob die Ungleichbehandlung daran liegt, dass nur die katholische und die evangelische Kirche von Gesetz wegen einen Vertreter in den ORF-Publikumsrat entsenden dürfen und nur die katholische einen in den Stiftungsrat des Unternehmens?
Die Programmreform liefert auch keinen Hinweis, dass der ORF seine Politik überdenkt, Gottesdienste zu übertragen. Bisher wurde das immer mit dem Verweis auf das ORF-Gesetz gerechtfertigt. Das trägt dem ORF nur „die angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften“ auf. Von Gottesdiensten steht dort kein Wort.
Karfreitagsgottesdienst bleibt auf Ö1
Auch davon, dass es alljährlich eine explizit religiös begründete Schweigeminute in den ORF-Radios und im ORF-Fernsehen geben muss, steht im ORF-Gesetz nichts. Die Schweigeminute wird es auch diesen Freitag geben. Aus Sicht säkularer Organisationen eine alljährliche Zwangsbeglückung. Wenigstens werden sie heuer nicht auch den Karfreitagsgottesdienst der Protestanten auf den Regionalsendern mitanhören müssen. Der bleibt Ö1 erhalten.
Christoph Baumgarten