WIEN. (hpd) Das Verhältnis von Staat und Kirche steht plötzlich auf der Agenda der heimischen Politik und der Medien. Ausgerechnet in der Karwoche hat das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien die österreichischen Parteien gezwungen, die Gretchenfrage zu beantworten: Wie hältst du's mit der Religion? Mit kräftiger, wenn auch ungewollter, Unterstützung durch die katholische Kirche.
Fast könnte man es als wundersame Auferstehung zu Ostern beschreiben, die dem Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien widerfahren ist. Wenn auch etwas verfrüht. Nachdem ein tendenziöser Beitrag im Religionsmagazin „Religion heute“ des Senders Ö 1 versucht hatte, das Volksbegehren zu beerdigen, verkündeten am Karfreitag und am Karsamstag die maßgeblichen Medien in Österreich seine Botschaft.
Nur Koalitionsparteien geschlossen hinter Privilegien
Immerhin zwei Parteien im Nationalrat können den Forderungen teilweise etwas abgewinnen. Wenig überraschend sind das die Grünen, von denen einzelne Abgeordnete in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert hatten, das Konkordat abzuschaffen. Etwas überraschender die vorsichtige Unterstützung durch die FPÖ. Sie hatte in den vergangenen Jahren massiv ein so genanntes christliches Abendland heraufbeschworen – unter anderem mit Slogans wie „Pummerin statt Muezzin“ oder „Abendland in Christenhand“. Ihr Bundesobmann Heinz Strache tritt bei Bedarf auch kreuzschwingend auf politischen Veranstaltungen auf. In einer Kehrtwendung meint er jetzt gegenüber Medien, man könne das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl punkteweise abklopfen, ob jede Bestimmung auch heute noch Sinn mache. Nur die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP stehen hinter dem Konkordat, aus dem sich ein großer Teil religiöser Privilegien ableitet.
„Die Haltung der Regierungsparteien zeigt, wie unreflektiert das Verhältnis von Staat und Kirchen in Österreich ist“, sagt der Arzt und Volksbegehrens-Mitinitiator Christian Fiala . „Wir müssen uns als Bürgerbewegung gegen solche antidemokratischen Verflechtungen stark machen.“ Erfreut zeigt er sich über die Oppositionsparteien. „Der Widerstand gegen kirchliche Privilegien bricht offen aus. Eine reformistische Geisteshaltung, die von den Menschen ausgeht, erreicht sukzessive auch die politischen Parteien. Umso wichtiger ist es, Mitte April das Volksbegehren zu unterzeichnen und so auch den Druck auf die große Koalition zu erhöhen.“
Massive mediale Aufmerksamkeit
So deutlich haben sich die politischen Parteien lange nicht in religionspolitischen Fragen positioniert. Der Kronenzeitung war das einen Bericht auf Seite 2 in der Karsamstagsausgabe wert, auch online wurde berichtet. Die Zeitung berichtet sonst so gut wie nie über säkulare Initiativen. Der ORF widmete dem Volksbegehren eine Grid-Geschichte im Online-Angebot und mehrere Beiträge in Radio- und Fernsehnachrichten.
Ein Teil des Lebensodems kam von der Kirche
Ein Teil des Lebensodems wurde dem Volksbegehren ausgerechnet von der katholischen Kirche eingehaucht. Die ließ in ihren Osterfeierlichkeiten nicht nur den angeblichen Religionsgründer wiederauferstehen. Auf Beschluss der Bischofskonferenz wurden auch eine Million Folder unters Volk gebracht, in denen man versuchte, kirchliche Privilegien zu rechtfertigen und zu relativieren. Dass das Volksbegehren medial ins Spiel brachte, dürfte eher ein unbeabsichtigter Effekt gewesen sein.
Belebend dürfte auch ein katholisches Eigentor gewesen sein. Der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics zelebrierte im Zisterzienserstift Maria Roggendorf eine Gedenkmesse für Kardinal Hans Hermann Groer. Groer stand im Zentrum eines Missbrauchskandals Mitte der Neunziger. Damals machte ein ehemaliger Zögling öffentlich, dass sich Groer als Internatslehrer an ihm vergangen hatte. Er war nicht das einzige Opfer. Dass die Vorwürfe zutreffen, bestreitet heute nicht einmal mehr der Klerus, der Groer seinerzeit noch die Mauer gemacht hatte.
Dass Zsifkovics eine Gedenkmesse für ihn leitete, schlug hohe Wellen – auch international. Öffentlich gemacht hatte das die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, die das Volksbegehren maßgeblich mitträgt. Die katholischen Rechtfertigungsversuche fielen eher mager aus.
Auslöser war Fragenkatalog
Gleichzeitig war es eine Auferstehung aus eigener Kraft. Dass sich Österreichs Politik überhaupt die Gretchenfrage stellte, geht auf einen Fragenkatalog zurück, den die Aktivisten des Volksbegehrens den 183 Nationalratsabgeordneten schickten – gemeinsam mit einer E-Book-Ausgabe von „Gottes Werk und unser Beitrag“.
Die mediale Aufmerksamkeit kommt aus Sicht der Aktivisten zum richtigen Zeitpunkt. Die so genannte Eintragungswoche beginnt in knapp zwei Wochen. Ab dem 15. April können österreichische Staatsbürger ab 16 Jahren die Forderungen auf ihrem Gemeindeamt unterstützen. Schafft das Volksbegehren 100.000 Unterschriften, muss der Nationalrat die Anliegen behandeln.
Ganz säkular war Österreich nicht
Ganz säkular machte die Aufregung um das Volksbegehren Österreich freilich nicht. Der gleiche ORF, der den Anliegen am Karfreitag so viel Sendezeit widmete, brachte am gleichen Tag eine Schweigeminute um des mythologischen Kreuzestodes von Jesus zu bedenken. Am Ostermontag brachten die Regionalradios einen evangelischen Gottesdienst. Und der päpstliche Ostersegen „Urbi et orbi“, gleichlautend mit dem Weihnachts- und Neujahrssegen, hat Niederschlag in fast allen heimischen Medien gefunden. Die Revolution scheint also noch nicht ausgebrochen im Land.
Christoph Baumgarten