Inhaltlich quer - Zum Tod von Hannelore Mabry

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Hannelore Mabry als 80jährige im Rollstuhl / Foto: Cosima Kretz

MÜNCHEN. (hpd) Erinnerung und Verneigung vor einer Kinderrechtlerin, Frauenrechtlerin, Atheistin, als „Nachruf auf die einzige gottlose Feministin, die ich lebend kennen gelernt habe“, wie es Assunta Tammelleo im Rückblick auf ihr Leben und das ihrer „politischen Mutter“ beschreibt.

Ein schöner Samstag Vormittag im Frühsommer war es, der Himmel über der Frauenkirche weiß-blau, die Luft milde und unzählige Menschen in der Fußgängerzone mitten in München zwischen den Geschäften hin- und her rennend.

Für eine Studienanfängerin am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität eine gute Gelegenheit, die Stadt, in die sie vor gerade mal zwei Monaten gezogen war, einmal mehr gründlich und zu Fuß zu erkunden.

Die Menschen schrieben das Jahr 1982, es war im Juni. In der Fußgängerzone der bayerischen Landeshauptstadt waren an diesem Tag nicht nur Touristen, Kauflustige und Obstverkäufer unterwegs; nein, mit städtischer Genehmigung gab es dort den halben Samstag über auch alle Arten von Info-Ständen. Der Stand, den die junge Studentin besonders anziehend fand, war einer, der scheinbar von lauter Frauen besetzt schien. DER FEMINIST stand schwarz und grün auf Laken gepinselt über und am Tapeziertisch; scheinbar ein Name, der durchaus geeignet war, reichlich Fußvolk zum Stehen-Bleiben zu bewegen. Eine Traube Menschen vergrößerte die genehmigte Standfläche sichtbar, der Geräuschpegel war nicht zu überhören, und wo schon Leute sichtbar stehen, kommen immer mehr dazu.

Beispielbild
Infostand München  / Foto © Solveig Senft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit einer jungen, gut aussehenden Frau hinter dem Tisch kam die Studentin ins Reden. Fasziniert von dem, was da an politischen Gedanken formuliert wurde wechselte schon nach kurzer Zeit Kleingeld gegen zwei Ausgaben der Zeitschrift DER FEMINIST die Seiten. Der jungen Studentin entging nicht, dass eine schon etwas ältere, eher zierliche Frau mit mittellangen, karottenrot gefärbten Haaren, durchdringendem Blick durch eine Brille und klarer, deutlich vernehmbarer Stimme wohl so was wie die „Chefin“ dieses ganzen Haufens zu sein schien. Nachdem auf der gekauften Zeitschrift Ort und Zeitpunkt der nächsten Feministen-Treffen notiert waren, beschloss die Studentin, sich die Feministen und deren Chefin bei Gelegenheit einmal näher anzusehen. Nach der Lektüre der beiden Zeitschriften war es eh‘ offensichtlich; Diplom-Soziologin Hannelore Mabry, die frühere Schauspielerin Lorley Katz, war der Kopf, der hinter DER FEMINIST steckte. Mit karottenroten Haaren, scharfem Blick und deutlich vernehmbarer Stimme. Unübersehbar, unüberhörbar, unvergeßbar…

„Unkraut ins Parlament“ und „Lohn für Hausarbeit“

Der erste Besuch beim Treffen der Münchner Feministen von DER FEMINIST im Stadtteil Haidhausen war für die junge Studentin der Beginn einer … ja nicht gerade nur wunderbaren Freundschaft, aber jahrelangen Verbundenheit und Zusammenarbeit.

Hannelore Mabry war spät berufen; als Mutter einer Tochter und als gelernte Schauspielerin begann sie im Alter von 36 Jahren Soziologie zu studieren. Im Jahr 1971 schloss sie dieses Studium mit einer Diplomarbeit ab. Ihr Betrachtungsgegenstand war die „Relevanz weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau“. Herausgegeben wurde diese Arbeit unter dem Titel „Unkraut ins Parlament“ in Anlehnung an einen Ausspruch Michael Horlachers, CSU-Mitbegründers und früheren bayerischen Landtagspräsidenten, der da gesagt hatte „Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut“ (undatiert, vermutlich zwischen 1946 und 1950), zit. nach Wikipedia.

Frauenforum e.V.

Hannelore Mabry gründete in den frühen Siebzigern in München das „Frauenforum e. V.“, die lange Zeit größte politische Frauenorganisation der Bundesrepublik Deutschland. Das Frauenforum unter der Organisation von Mabry brachte alleine 16.000 Menschen in München in Sachen § 218 auf die Beine…Es war ein Verein, der zum Ziel hatte, „(…) Frauen zu helfen, ohne Bevormundung durch männliche Ideologien, Dogmen, Institutionen und Organisationen ihre eigene Identität in freier demokratischer Selbstbestimmung zu finden.(…)“ Und dessen Ziel es letztlich auch war, die Frauen höchstmöglichst zu organisieren, am besten vielleicht gar in einer Frauenpartei, damit möglichst viele Stimmen gesammelt werden konnten. Denn eines war (und ist) klar. „(…) Nicht, dass wir Frauen die Kinder kriegen, ist die Tragödie, sondern dass diese Gesetzmäßigkeit der Natur archaisch vom körperlich Überlegenen – dem Mann – ausgebeutet wird. (…)“ (zit. nach DIE ZEIT; Nr.13; 1.3.1975).

Hannelore Mabry hatte ganz klare und nachvollziehbare Vorstellungen vom Leben der Frauen und der Männer; die Hausarbeit ist für beide, die Berufstätigkeit ist für beide, die Kinder sind auch für beide. Im Prinzip sehr logisch und sehr einfach. Und es gibt eigentlich keine Frauenfrage, es gibt die Kinderfrage …, schließt sie bald darauf logischerweise. „Heil Kind!“ demzufolge, ein Gruß, den sie schließlich selbst auswählte und allen ihr zugetanen Menschen sogleich verordnete. Ein ungewöhnlicher Gruß, ein Gruß in Richtung Kinderfrage, ein Gruß auch an die Menschen in Deutschland nach Hitler, ein Gruß zum Erschüttern, Aufrütteln, nachdenklich machen und immer… zu provozieren. Einmal mehr Gelegenheit, sich einen Kopf zu machen und sich an ihr zu reiben. Was viele reichlich taten.

Die Unheilige Schrift – Schütz‘ Kinder vor den Allmächtigen!

Mabrys Frauenforum wurde Geschichte; schon damals konnten sich die Feministinnen nicht einig werden, ob sie nun eine „Philosophie aus den Schamlippen“ eher postulieren sollten oder sich um „Lohn für Hausarbeit“ bemühen. Hannelore Mabry gründete dann schließlich den „Förderkreis Der Feminist“, und die Männer, die überall in der Frauenbewegung qua Geschlecht ausgeschlossen worden waren, sollten doch bitte möglichst tatkräftig mithelfen, die „(…) Scheiße des Patriarchats wegräumen (…)“ zu helfen (zit. nach DER SPIEGEL).

Beispielbild
Feminist  / Foto © Solveig Senft