Zu Besuch bei Verwandten

Als nächstes dürfen wir bei der Fütterung der Orang Utans zusehen. Wir erfahren, dass es sich um eine stark bedrohte Art handelt und man auf die Herkunft des Palmenöls in Nahrungsmitteln und Biodiesel achten sollte, weil für deren Gewinnung der Lebensraum der Tiere stark gefährdet ist. Wir beobachten, wir ein Orang dem Tierpfleger den Löffel klaut und bereitwillig gegen eine Weintraube wieder eintauscht. Eine eindrucksvolle Geste.

Der Tierpfleger erwähnt auch, dass die Tiere äußerst geschickt und zum Leidwesen der Pfleger mit Werkzeugen problemlos umgehen können. Nur mit dem Nachwuchs will es anscheinend nicht so recht klappen. Nach der Fütterung frage ich den Tierpfleger, was mit dem Orang-Utan Kevin passieren wird, von dem in den (Boulevard-)Medien schon viel berichtet wurde. Anscheinend habe man nun einen passende Gruppe in einem holländischen Zoo gefunden, in den der 33 Jahre alte Orang eingegliedert werden kann.

Die Außengehege sind mit trockengelegten Gräben von den Zoobesuchern getrennt, auf wassergefüllte verzichtet man zum Glück größtenteils. Colin Goldner vom Great Ape Project, das sich für Grundrechte für Menschenaffen einsetzt, hat die Haltung der rund 450 Menschenaffen in 40 deutschen Zoos und zooähnlichen Einrichtungen untersucht und dem Berliner Zoo ein „mangelhaft“ („Die Haltungsbedingungen müssen besser werden“) erteilt [3]. Das heißt nicht, dass alle Tiere nicht ausreichend gut gehalten werden. Die meisten Vögel z.B. haben große Anlagen und werden sogar freiwillig von ihren „wilden“ Verwandten aus der Stadt (Krähen, Spatzen und Tauben) besucht.

Der artenreichste Zoo der Welt!

Bei den afrikanischen Elefanten bekommen wir aber wirklich einen Schreck. Zwei so große Tiere teilen sich einen Vorgarten mit Sand ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit, soweit ich das erkennen kann. Die asiatischen Verwandten haben etwas mehr Platz. Wer kontrolliert eigentlich, dass der Zoo die EU-Richtlinien einhält?

Die Zoo-eigene Stiftung ist dafür ja wohl nicht unabhängig genug. Die Grünen-Politikerin Claudia Hämmerling legt sich schon seit Jahren mit dem Zoodirektor an und beklagt: „Leider ist der staatliche Einfluss auf den Zoo und unmittelbare Belange des Tier- und des Artenschutzes sowie die Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften aufgrund der privaten Rechtsform und seiner wirtschaftlichen Eigenständigkeit beschränkt.“ Auf ihrer empfehlenswerten Webseite sind viele Vorfälle gelistet, die sie nun schon seit Jahren anprangert.

Im artenreichsten Zoo der Welt (!) kommen wir noch an nachtaktiven Tieren, rosa Flamingos, Seevögeln, Bibern und Rindern vorbei. Eine Tafel erklärt, wie die Menschen aus dem Auerochsen das Hausrind gezüchtet haben und die Besucher können lernen, was sie da eigentlich auf dem Wurstbrot haben.

Ich kann mir vorstellen, dass die Großstadtkinder hier tatsächlich etwas Wichtiges mitnehmen. Mit einer pädagogisch ganz gut gemachten Drehscheibe erfahren sie auch, von welchen landlebenden Säugern die Wasserlebenden abstammen. Allerdings lernen die Kinder ebenfalls, dass Eisbären den ganzen Tag in der Sonne liegen und welche Tiere auf Noahs Arche mitgefahren sein sollen. Vor Allem lernen Zoobesucher aber, dass es auf die „Babytiere“ ankommt. Auf Neugeborene wird mit Extraschildern hingewiesen und der wichtigste Sport ist vor den meisten Käfigen stets: „Finde das Kleinste!" Ich ertappe mich auch dabei, unentwegt „süß“ oder „ach neeeee“ voller Entzücken zu rufen.

Nach vier Stunden haben wir immer noch nicht alles gesehen, können und wollen aber auch nicht mehr. Worauf können wir uns abschließend aber einigen? Wir halten es, wie C. Hämmerling, für verwerflich, den unnötig hohen Tierbestand weiterhin aufrecht zu erhalten. Warum sich nicht auf einige wenige relevante Arten spezialisieren und über diese dann aber ausführlich und pädagogisch wertvoll aufklären?

Wäre es nicht möglich, sich auf ein oder einige wenige ökologische Habitate zu beschränken und den ganzen Zoo so umzugestalten, um so eine möglichst authentische Landschaft nachzuempfinden? Dann gibt es vielleicht nur ein Dutzend Arten, dafür aber Rückzugsmöglichkeiten und eine hinreichend artgerechte Haltung.

Auf große Raubtiere kann bei diesem Zoo-Konzept übrigens ganz verzichtet werden. Von Aussichtstürmen und sicheren Käfigen in der Anlage (verkehrte Welt!) könnten Besucher und Forscher die Tiere beobachten, in Vorträgen und Filmen über sie lernen. Die Probleme sind uns aber auch bewusst: Wohin mit den vielen Tieren? Viele Tierpfleger würden arbeitslos, die Sicherheitsstandards müssten komplett geändert werden…

Wir können uns jetzt in unsere Höhlen zurückziehen, die Zootiere müssen sich noch bis Feierabend begaffen und fotografieren lassen. Morgen wieder. Jeden Tag. Ich bin froh, dass ich auf der anderen Seite des Zauns stehe aber es muss sich endlich was ändern!

Adriana Schatton

[1] Raymond Corbey: Menschen, Menschenaffen, Affenmenschen. Zur Geschichte
der Idee der menschlichen Sonderstellung. Hg. von der Interdisziplinären
Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg. Erlangen: Harald Fischer 2007

[2] Judith Benz-Schwarzburg (2006): „Personale Rechte für Menschenaffen
und Delphine? Bedingungen einer gelungenen Integration kognitiver
Fähigkeiten von Tieren in tierethischer Argumentation“

[3] National Georaphic vom Juli 2012, Seite 70-71

[4] EU Wochenbericht Nr. 22-2013 vom 10.06.2013 KW. 24 der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union