(hpd) Die Ausgabe 24/2013 von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ ist dem Thema „Religion und Moderne“ gewidmet. Die hierfür verantwortliche Redakteurin Asiye Öztürk hat in ihrem Editorial bemerkenswerte Feststellungen getroffen und auch wichtige/richtige Fragen gestellt. Doch der heute und hierzulande entscheidenden Frage, ob Religion unantastbar ist, ist sie ausgewichen. Dieses blieb Robert Misik und Frieder Otto Wolf vorbehalten.
Aus dem Editorial, das mit diesen Sätzen beginnt, soll etwas ausführlicher zitiert werden:
„Ob es Gott gibt (oder Götter), welches Geschlecht Gott hat, wie Gott heißt, sind Glaubensfragen, über die es unerbittliche Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen, aber auch zwischen Gläubigen und Atheisten gibt. Religion bietet vielen Menschen einen normativen Orientierungsrahmen, den Nichtgläubige beispielsweise im atheistischen Humanismus finden."
Es folgen Fragen, wie: „Warum und in welchen Lebenslagen haben Menschen das Bedürfnis nach Transparenz? (...) Inwiefern bedürfen Moral und Ethik einer religiösen Fundierung?"
Abschließend schreibt Asiye Öztürk: „Immer wieder neu zu klären bleibt, (...) wie zeitgemäß das Staatskirchenrecht angesichts der Pluralisierung und Individualisierung von religionsformen ist. Umstritten ist auch, ob Religionen einen besonderen Schutz vor Schmähungen genießen: Wie viel Religionskritik kann - und muss - eine säkulare und demokratische Gesellschaft aushalten?" (S. 2)
Plädoyers für und wider Religion
Es folgen zwei Plädoyers für und wider Religion. Zum Beitrag des Publizisten Robert Misik „Gegen Gott" merkte die Redaktion an: „Misik betont, dass Menschen keinen Gott brauchen, um Unrecht als unerträglich zu empfinden; auch sieht er kaum Anhaltspunkte dafür, dass der Nutzen der Religionen ihren Schaden aufwiegt." (S. 3)
Dem ist aus humanistischer (und nichtreligiöser) Weltsicht und Lebensanschauung voll zuzustimmen! Auch der konsequenten Schlußfolgerung Misiks selbst: „Die Religionen sind somit, noch in ihren mildesten und aufgeklärtesten Ausprägungen, Einfallstore für Obskurantismus. (...) Und alle zusammen mögen sie sich auch mit der Botschaft der Liebe schmücken, stoßen die schlimmsten Verwünschungen aus, wenn sie mit den Ungläubigen konfrontiert sind." Und dennoch, so schreibt er weiter, „hält sich die fixe Idee in vielen Köpfen, dass gläubige Leute irgendwie leichter moralisch Kurs im Leben halten können." (S. 4)
Misik setzt sich argumentativ mit den hierzulande gängigen Behauptungen von Religionsführern und gutgläubigen Kirchenmitgliedern auseinander. Sein Beitrag ist gerade deshalb eine gute Handreichung für Laizisten.
Gänzlich anders dagegen der Artikel von Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Dieser kommt aber gleich mit dem ersten Satz auf den Punkt: „Ich halte die öffentliche Präsenz von Religion im öffentlichen Raum für unverzichtbar." (S. 6) Was scheinbar harmlos klingt, meint aber den ungebrochenen Machtanspruch des hohen Klerus über Mensch, Gesellschaft und Staat! Da sich dieser in nahezu 2000 Jahren an alle gesellschaftlichen Wandlungen anzupassen vermag, sofern an diese nicht das Macht- und Wirtschaftsimperium Kirche antastet, behauptet Schneider dreist und die Geschichte negierend: „...gehören christlicher Glaube und Religion zu den Voraussetzungen des demokratischen Rechtsstaates..." (S. 6) Also, dann sind also Staaten ohne christliche Religion NIE rechtsstaatlich und demokratisch...
Schneider singt dann - ganz wortgewaltiger sonntäglicher Kanzelredner - das Hohelied auf die christlichen Großkirchen, verdammt „Säkularität" und erst recht „Laizität", denn gerade die Kirchen würden ja so viel Gutes für Mensch, Gesellschaft und Staat tun. Was er verschweigt, u.a. daß als die barmherzigen und wohltätigen Leistungen seiner Organisation zu 90 und mehr Prozent aus öffentlichen Kassen bezahlt werden... Im Übrigen, „Privilegien" (von ihm in Anführungszeichen gesetzt) kann er nicht erkennen und die Kirchen seien auch keine Religionslobbyisten...
Schließlich gar behauptet Schneider, daß die Zivilgesellschaft das Werk der Kirchen sei. Da fragt sich nur, warum diese denn nicht schon im ersten „nachristlichen" Jahrtausend für Sklavenbefreiung, mündige Staatsbürger und demokratische Verhältnisse, für allgemeine Bildung etc. eingesetzt haben. Die Macht dazu hätten sie ja gehabt.
Nach etlichen geistigen Pirouetten, wie sie für Theologen üblich sind, kommt Schneider in diesem Lehrbeispiel für theologische Rabulistik zu der abschließenden Behauptung: „Öffentliche Religion wirkt als ‚Balsam für die Seele‘ und als ‚Protestation‘ für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung." (S. 9)
Dies ist alles in allem einer der drei schwächsten Beiträge dieses Sonderheftes. Aber das fromme Gepredige wird sicherlich offene Ohren bei den willigen Lobbyisten des Klerus in Medien und Parteien finden. Stehen für die christlichen Kirchen nicht in Wirklichkeit solche Fakten, wie Intoleranz, Bejahung der Sklaverei und der Frauenunterdrückung schon in den so hochgelobten „Zehn Geboten" oder die Missionierung unter dem Motto „Taufe oder Tod", oder die Parole auf den Koppelschlössern der Soldaten „Gott mit uns"...
Anmerkungen zu Religion und Säkularismus steuern der Philosoph Wilfried Hinsch („Glaube und Legitimität in liberalen Demokratien") und die Österreicherin Ariane Sadjed („Fallstricke der Säkularisierung") bei. Abgesehen von Hinsch‘ Diffamierung des Laizismus ist seinen Begriffsbestimmungen (Politisches, Öffentliches) und seinen Überlegungen zum Problem „bekenntnisgebundener Wissenschaften" (insbesondere zur staatlichen Anerkennung als „wissenschaftliche Hochschule"), am konkreten Beispiel des Kreationismus voll beizupflichten.
Für Ariane Sadjed sind dagegen die Trennung von Religion und Staat lediglich „vermeintliche Rezepte und Lösungen".