Fensterpredigten und Taten

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Prof. Dr. Horst Herrmann / Fotografie © Evelin Frerk

STEISSLINGEN. (hpd) Die Zeitungen der Jesuiten verbreiten weltweit ein Interview mit dem Papst und viele Medien sind begeistert, ja, von „Revolution von oben“, „Papst kritisiert Kirche“, „…spricht über den Dünkel der Kurie und den weiblichen Genius“, „Seine klaren Worte sollten Kleriker erschrecken“ ist die Rede. Gemach, sagt ein Kenner der katholischen Kirche. Worum geht es?

Ein Kommentar von Horst Herrmann.

„Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritik“. Diesen Rat von Marcel Reich-Ranicki akzeptiere ich nicht nur. Ich habe es stets so gehalten.

So mache ich es auch heute, wenn ich über das Interview spreche, das Papst Franziskus vergangenen Freitag gegeben hat und das von Medien als sensationell bezeichnet wird.

Sensationell? Diese Einschätzung stimmt nur, wenn sie von Gläubigen stammt, die vom Vatikan nichts anderes gehört haben als die endlose Beschwörung des immer Gleichen.

Nebenbei: Ist Franziskus ein „sensationeller“ Papst, bedeutet das ein scharfes Urteil über seinen direkten Vorgänger. Dieser schwächste Papst seit 150 Jahren hat eben so gut wie nichts geleistet. Ich sprach mehrfach davon. Im Übrigen war Joseph Ratzinger auch nicht der brillante Denker, als der er sich hat verkaufen lassen. Zurzeit kommen zunehmend Bücher auf den Markt, die das ähnlich sehen wie ich.

Und Papst Franziskus? Ich wundere mich immer wieder, dass Menschsein als sensationell gilt. Oder ist es nicht selbst­verständ­lich, dass ein Papst den Prunk und Protz des Vatikans als bedrückend empfindet? Ist es nicht selbst­verständ­lich, dass er von Barm­herzig­keit gegenüber Mit­menschen spricht, die von der Kirche bisher geradezu verfolgt worden sind?

Gerade die so genannte christliche Nächsten­liebe kam, wie historisch erwiesen, nicht ohne Diskrimi­nierung jener aus, die nicht ins Bild der Gläubig­keit passten. Gerade von angeblich guten Christen werden noch heute wieder­verheiratete Geschiedene abschätzig beurteilt. Ähnlich ergeht es Homo­sexuellen, ver­heirateten Priestern, in „wilder Ehe“ Lebenden, Frauen, die Geburten kontrollieren, Müttern mit nicht­ehelichen Kindern, Selbs­tmördern und, und …

Im Übrigen waren es bisher nur Worte, von Fenster­predigten möchte ich gar nicht sprechen, die Papst Franziskus angeboten hat. Taten sind nach wie vor Fehl­anzeige.

Aber wenn Worte, Appelle und Ankündigungen als Taten gelten und das Etikett „sensationell“ verdienen, belegt dies nur das Eine: Wer dazu gebracht wurde, kritik­los hinzu­nehmen, was ihm angebliche Autoritäten einge­trichtert haben, wird lange kein Denken beherrschen. Bis er sich, selten genug, befreien will und kann. Befreiung von dem Glaubens- und Autoritäts­schrott aus Kinder­tagen ist in der Tat angesagt. Konkret von den aner­zogenen irrigen Haltungen. Doch Befreiung macht Mühe. Fehl­entwick­lungen wachsen sich nicht von allein aus.

Im abgegrenzten Pferch, in dem Hirten eine Herde betreuen, gelten Über- und Unter­ordnung. Ansprüche auf Herrschaft finden noch immer Glauben bei den zum Blick nach oben bereiten Menschen. Sie erhoffen von ihrer Kirchen­bindung Anleitungen zur Welt­bewältigung. Sie lassen die eigenen Bedürfnisse durch angeblich Berufene lenken. Sie bilden eine Antenne aus, die haupt­sächlich die Signale des religiösen Herrschafts­monopols empfängt. Sie verfügen über verschiedene Strategien der Wahr­nehmungs­abwehr.

Das soll es sein? Das ethische Verhalten des Menschen bedarf keiner religiösen Grundlage. Im Gegenteil. Die Kirche hatte ihre Chance. Sie hat sie jahr­tausende­lang nicht im Sinne der Menschen genutzt. Vielmehr hat sie eine Ära der Angst begründet, ein Milieu der Furcht vor Sünde, Schuld und Strafe geschaffen und erhalten.

Papst Franziskus hat noch viel zu tun. Ob er es endlich anpackt?

Horst Herrmann