Katholisch, monarchistisch, antipreussisch

Der Deutsche Herbst, der deutsche Terrorismus, der bayerische Kanzlerkandidat

Die Zeit im Herbst 1977 gilt als eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik Deutschland und stellt gewissermaßen den Höhepunkt/Schlusspunkt des Terrorismus durch die Rote Armee Fraktion (RAF) dar. Unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt wird im Oktober 1977 Hanns Martin Schleyer, der damalige Arbeitgeberpräsident und frühere Nationalsozialist [2] entführt, um RAF-Gefangene zu befreien. Die Lufthansa-Maschine "Landshut" wird gekapert, schließlich in Mogadischu von GSG 9-Einheiten gestürmt, und dann brachten sich in der Nacht vom 17. auf 18. Oktober die verurteilten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim um, wobei zur damaligen Zeit viele Ungereimtheiten in Zusammenhang mit diesen Todesfällen bei vielen den Verdacht aufkommen ließ, dass es sich gar nicht um Selbstmorde, sondern um staatlich organisierten Mord handelte.

In den Jahren von 1972 bis 1977 war der Terrorismus der RAF das alles beherrschende Thema und alle, die nach seinen Ursachen fragten, wurden als sog. "Sympathisanten" pauschal verdächtigt. „Neue polizeitaktische Methoden, unter anderem die Rasterfahndung, hatten zu einigen Fahndungserfolgen geführt, aber auch viele Unbeteiligte in den Fahndungsprozess mit einbezogen. Straßensperren, Personenkontrollen und schwer bewaffnete Polizisten gehörten zum Straßenbild. Die Angst vor neuen Anschlägen war weit verbreitet. Die linke Szene, aber auch weite Teile sozialdemokratischer und liberaler Kreise fühlten sich andererseits durch die neuen Gesetze in ihren Grundrechten bedroht und wollten sich ideologisch mit der RAF auseinandersetzen." (Wikipedia).

Das innenpolitische Klima war extrem angespannt, das politische Interesse insbesondere auch unter jungen Menschen erwacht, und letztlich begann eine Ära wichtiger alternativer politischer Bewegungen (Frauenbewegung, Friedensbewegung, Gründung der GRÜNEN 1980..), die das politische Klima der 80er Jahre in der Bundesrepublik prägen sollten.

Die vielleicht insgeheim wichtigste Figur für den Start der Aktivitäten der politischen Bewegungen außerhalb des Parlaments wurde spätestens mit seiner Kanzler-Kandiatur 1980 gegen Helmut Schmidt - der Paradebayer Franz Josef Strauß.

Kanzler ist er zwar damals dann doch nicht geworden, aber er ist mit Sicherheit der berühmteste Kanzler-Kandidat der Bundesrepublik geblieben. "Stoppt Strauß" war als Reaktion auf seine Kandidatur eine eher spontane politische Massenbewegung aus Menschen unterschiedlichster politischer Herkunft gegen einen Politiker, der sich neben allem auch noch zu behaupten traute "ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen." (frei zit. nach Frankfurter Rundschau 1978).

Und unliebsame politische Gegner wurden von ihm durchaus mal als "Ratten und Schmeißfliegen" öffentlich beschimpft. Nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland solidarisierten sich die Leute gegen Strauß und zeigten dies mit ansteckbaren Buttons deutlich. Aufgrund der aufgeheizten innenpolitischen Stimmung (s.o.) hatte dies teilweise beachtliche Konsequenzen, förderte aber ein heute nicht mehr gekanntes Maß an zivilem Ungehorsam.

Die damals 18-jährige Schülerin Christine Schanderl aus Regensburg flog wegen des Tragens der "Stoppt Strauß"-Plakette vom dortigen Albertus-Magnus-Gymnasium und erstritt sich im Anschluss das Recht auf Meinungsfreiheit durch alle juristischen Instanzen. Mindestens 22 weitere Fälle ähnlicher Art sind dokumentiert, wobei in Baden-Württemberg das Tragen dieser Buttons durchaus erlaubt war. Die Schülerin Christine Schanderl ist im übrigen heute selbständige Rechtsanwältin mit Fachbereich Arbeitsrecht (und heißt jetzt Christine Roth).

Geh doch rüber! – eine Aufforderung zum aktiven Da-Bleiben

In Bayern auf alle Fälle, vielleicht gar in der ganzen Bundesrepublik wird Franz Josef Strauß wohl unvergesslich bleiben. 25 Jahre nach seinem Tod scheint sich das Andenken an ihn mehr und mehr zu glorifizieren, so dass man sich im Süden gar nicht ausmalen mag, was hier an seinem 50. Todestag alles los sein mag.

Doch nicht nur die bayerischen Medien bringen teilweise ganz unverhohlen ihre Bewunderung für den ehemals viel Kritisierten zum Ausdruck. Auch die kritischen Geister jener Zeit aus Bayern und außerhalb gestehen ihm heute vor allen Dingen eines zu: ein Vollblut-Politiker gewesen zu sein mit Originalität, dessen verbale Schlagabtauschs im Bundestag mit Herbert Wehner und seine teilweise über 4-stündigen frei gehaltenen Reden in Vilshofen, Sonthofen und Passau nicht nur von politischer Bedeutung, sondern obendrein ausgesprochen unterhaltsam für Menschen unterschiedlichster politischer Gesinnung gewesen sind.

Heute ist die Verurteilung der von ihm ausgelösten Skandale, seine öffentlich gewordenen Fehltritte und der ungehobelte Umgang mit politisch Andersdenkenden scheinbar immer mehr hinter die Bewunderung für seine Person zurückgetreten. Das dürfen wir alle mit kritischem Blick zur Kenntnis nehmen und daraus unsere eigenen Lehren ziehen. Es war wohl kein Wahlkampf noch langweiliger als der zurückliegende, der dem ehemaligen preußischen "Mädchen" und der jetzigen "Mutti" zum dritten Mal die Kanzlerschaft brachte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Heer von rundgeschliffenen, kantenlosen und dialektfrei sprechenden politischen Funktionären, deren Parteizugehörigkeit kaum noch erkennbar ist, die politische Bühne dieses Landes zu einem einzigen großen Schlafwagen gemacht hat.

Was immer man gegen Franz Josef Strauß berechtigt vorbringen kann, eines hat er auf alle Fälle sehr erfolgreich geleistet: die Förderung des politischen Interesse in weiten Teilen der Bevölkerung und die vermutlich von ihm nicht beabsichtigte Förderung des zivilen Ungehorsams. Für die säkulare Szene kann der etwas längere Blick auf ihn und seine politische Karriere als Bestandteil der jüngeren deutschen Geschichte vielleicht eine Diskussion darüber auslösen, was es braucht, um das politische Anliegen der Trennung von Staat und Kirche noch öffentlichkeitswirksamer vorzubringen.

Assunta Tammelleo
 

Zum Titel: Mit den Worten: "katholisch, monarchistisch, antipreussisch" beschreibt Franz Josef Strauß selbst sein Elternhaus in seiner Biographie.

[1] "In Bayern gehen die Uhren anders. Wenn in Bayern die Uhren anders gehen, dann haben wir, soweit die Politik es vermag, diesen Beitrag zur geistigen Führung unseres Landes geleistet, damit in Bayern die Uhren richtig gehen und nicht nach Zeitgeist jeweils verschieden eingestellt werden." (O-Ton Franz Josef Strauß, Zitat Abendzeitung 2./3.10.).

[2] „...Schleyer hatte "zur mittleren Elite des NS-Staates" ... gehört und seine braune Vergangenheit stets verschwiegen ... - Spiegel-Online