Lateinamerika im Fokus

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Norbert Ahrens, Foto © Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Norbert Ahrens ist Humanist, Journalist, Schriftsteller, Genießer, politischer Beobachter und Lateinamerikaspezialist. Und er ist der Autor des kürzlich erschienenen Romans: Podewins Verfolgung. Der hpd sprach mit ihm über praktizierbaren Sozialismus und die strikte Ablehnung von religiösem Fanatismus.

hpd: Welche Eigenschaft schätzen Sie an Oliver Podewin am meisten?

Norbert Ahrens: Oliver Podewin hat einen natürlichen, beinahe naiven Sinn für Gerechtigkeit. Religiösen Fanatismus und engstirnige Ideologien lehnt er strikt ab. So wie auch ich.

Podewins Verfolgung ist Ihr erster Roman, nach einer Reihe von Fachartikeln und Analysen der politischen Verhältnisse besonders in Lateinamerika. Werden weitere Romane folgen oder hat Norbert Ahrens gesagt, was er zu sagen hatte?

Es gibt sicher noch viel zu erzählen. Aber ob dabei ein weiterer Roman herauskommt hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Resonanz, die dieser erste Roman beim Publikum findet.

Ohne ihre Aufenthalte in Lateinamerika hätten Sie dieses Buch sicher anders geschrieben. Auch jetzt verbringen Sie die Hälfte des Jahres dort. Wo waren Sie produktiver?

Ohne die zahlreichen Aufenthalte in Lateinamerika hätte ich das Buch gar nicht geschrieben, gar nicht schreiben können. Die Frage, wo ich produktiver war enthält in meinem Fall also einen falschen Ansatz: Es ist die Unterschiedlichkeit zwischen Lateinamerika und Europa, die die Produktivität erst bewirkt. Dabei spielt der Ort des Entstehens eine untergeordnete Rolle. "Podewins Verfolgung" ist in Kolumbien entstanden, aber in Deutschland überarbeitet und fertig gestellt worden.

Oliver Podewin erlebt als politischer Journalist die Zeit der Diktaturen und der permanenten Bedrohung im Lateinamerika der 90er Jahre. Was denkt er wohl über die Idee des Sozialismus des 21.Jahrhunderts?

Ich meine es war Oscar Lafontaine, der einmal gesagt hat, dass die Idee des Sozialismus nicht schon dadurch gestorben sei, dass 75 Jahre lang ihre praktische Umsetzung verfehlt worden ist. Denn die Kernidee des Christentums (Nächstenliebe und Solidarität) ist ja auch nicht verschwunden, nur weil viele seiner führenden Vertreter 2000 Jahre lang ihre eigenen Ideen verraten haben (z.B. während der Zeit von Inquisition und Hexenverbrennung, bei der Missionierung der Indios etc.).

Es kann durchaus sein, dass in Lateinamerika ein praktizierbarer Sozialismus erprobt wird. Ansätze lassen sich schon in Bolivien, Venezuela und in Ecuador erkennen.

Die politischen Voraussetzungen dafür sind heute jedenfalls viel besser als vor 25 Jahren. Denn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des sogenannten "sozialistischen Lagers" steht nicht mehr jede sozialistische Partei oder Bewegung in Lateinamerika in Verdacht, die 5.Kolonne Moskaus zu sein. Linke Regierungen werden heute nicht mehr so leicht weggeputscht wie früher – obwohl das nicht gänzlich auszuschließen ist.

Was hat Ihrer Meinung nach zu den massiven Veränderungen in Lateinamerika geführt? Sehen Sie Parallelen zu der aktuellen Situation im Nahen Osten, z.B. im Hinblick auf die Interventionen der USA oder Europa? Es ist nicht lange her, als die von CIA Mitarbeitern errichteten Foltergefängnisse im Zuge des "Terrorkrieges" in Rumänien entdeckt wurden und auch eine deutsche Beteiligung, zumindest im Zusammenhang mit der Auslieferung deutscher Bürger, nicht mehr geleugnet werden konnte.

Einen Teil dieser Frage habe ich gerade eben schon beantwortet: Lateinamerika hat politisch vom Ende des kalten Krieges profitiert – und wirtschaftlich teilweise von den Krisen des Nordens.

Die Tatsache, dass heute China, Indien und Brasilien in einem Atemzug genannt werden – nämlich als die kommenden Großmächte – ist unter anderem auf eine stärkere Süd-Süd-Orientierung der lateinamerikanischen Volkswirtschaften zurückzuführen.

Parallelen zum Nahen Osten sehe ich kaum: Militärische Interventionen der USA und noch weniger Europas in Lateinamerika sind gegenwärtig nahezu undenkbar. Über die Angelegenheit in Rumänien weiß ich zu wenig um darüber ein Urteil abgeben zu können.

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit dem Buch.

Für den hpd sprachen Susan Navissi und Frank Nicolai mit dem Autoren. Der Autor liest am 22. Oktober 2013 in Berlin aus seinem Buch.