WIEN. (hpd) Die Diskussion um Ethikunterricht an Österreichs Schulen wird wird in den nächsten Tagen neu entflammen. In seinem neuen Buch fordert der katholische Theologe Anton Bucher, der Unterricht müsse flächendeckend eingeführt werden. Unterstützt von katholischen Medien, die ihn nur allzu gerne missverstehen.
Ein demokratie- und bildungspolitischer Skandal – nicht mehr und nicht weniger sieht der Salzburger Theologe Anton Bucher in dem Umstand, dass es Ethikunterricht an Österreichs Schulen nicht an allen Schulen gibt und selbst dort nicht einmal für alle Schülerinnen und Schüler. Bucher hat das Experiment Ethikunterricht 13 Jahre lang beobachtet. Und zeigt sich mittlerweile deutlich ernüchtert.
Vor allem über die Blockadehaltung der Religionsgemeinschaften. Die bestehen seit Jahr und Tag darauf, dass der Ethikunterricht nur für Kinder gelten soll, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet haben. Und für die immer zahlreicher werdenden Kinder, deren Eltern sie in keine Religionsgemeinschaft haben eintragen lassen.
Katholische Medien ringen um Deutungshoheit
Um seinen Standpunkt zu untermauern hat Bucher der steirischen Tageszeitung "Kleine Zeitung", die über den Styria-Verlag der katholischen Kirche gehört, die Ergebnisse einer Umfrage unter Ethikschülerinnen- und schülern zukommen lassen. Ergebnis: Die zeigen sich mehrheitlich dankbar, dass sie statt einer Freistunde, die sie mangels konfessionellen Religionsunterrichts hätten, Ethikunterricht erhalten.
Auf dieses Ergebnis stürzt sich die Redaktion. In einem Kommentar schreibt Chefredakteurin Carina Kerschbaumer in der Samstagsausgabe: "Stellt sich die Frage, warum dieser Ethikunterricht seit 16 Jahren dennoch nur als Schulversuch angeboten wird. Und Zehntausenden (sic!) Schülern, die sich vom Religionsunterricht abmelden, nur das Café als Alternative zur Verfügung steht. Vielleicht meinen Österreichs Schulpolitiker ja immer noch, dass in einer ökonomisierten Welt die Auseinandersetzung mit Fragen des Lebens, mit Rassismus, Moral, Euthanasie, Christentum, Islam, Buddhismus wertlos ist. Was wiederum auch einiges aussagt – über den Wert von Politikern."
Grobe Missinterpretation
Mit ihrer wortreichen Empörung bringt Kerschbaumer zwei wesentliche Kritikpunkte Buchers zum Verschwinden: Der kritisiert ausdrücklich, dass der Ethikunterricht bisher nur Alternative zum konfessionellen Religionsunterricht war und nicht Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler. Und damit auch für die, die konfessionellen Religionsunterricht besuchen.
Und, dass dieses Pflichtfach vor allem am Widerstand der Religionsgemeinschaften gescheitert ist. Und der politischen Parteien, die sich diesen Religionsgemeinschaften besonders verbunden fühlen.
Mit dieser Argumentation wird auch so getan, als hätten es nur die Kinder der Konfessionsfreien, aus Sicht der Religionsgemeinschaften Heidenkinder, nötig, sich mit Ethik auseinanderzusetzen. Und jene Schüler, die sich boshafterweise vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet haben. Eine krasse und bewusste Missinterpretation Buchers – und der Wirklichkeit.
Nicht mehr als die kritiklose Wiedergabe des religiösen Standpunkts zum Thema Ethikunterricht.
Unangenehme Fragen werden ausgeblendet
Kritik an Bucher kommt von den Konfessionsfreien. Deren Kinder sind im aktuellen Schulversuch die Hauptbetroffenen. Philippe Lorre, Experte für Ethikunterricht in der Initiative "Die Konfessionsfreien“" etwa findet die Befragung der Ethikschülerinnen- und schüler methodisch nicht sauber.
"Die Frage, ob Religionslehrer Ethik unterrichten dürfen, hat Bucher den Schülerinnen und Schülern nicht gestellt", kritisiert Lorre gegenüber dem hpd. Aktuell dürften die Hälfte bis zwei Drittel der Unterrichtenden in Ethik (nahezu ausschließlich) katholische Religionslehrerinnen- und lehrer sein. Ein Umstand, den Österreichs Konfessionsfreie und laizistische Initiativen sowie die Freidenker seit Jahren massiv kritisieren.
Problematisch ist aus ihrer Sicht auch, dass in der Steiermark Ethiklehrerinnen- und lehrer an der katholisch-theologischen Fakultät ausgebildet werden. "Das ist ganz offensichtlich eine Art Religionsunterricht light."
Fragebogen hat religiöse Schlagseite
"Es fehlt in Buchers Fragebogen auch die Frage, ob man im Ethikunterricht lernen soll, ob oder wie Ethik ohne Religion begründet werden soll. Der Fragebogen hat eine religiöse Schlagseite", sagt Lorre.
Man merkt dem Fragebogen an, dass sich Bucher nicht ganz aus der Rolle des Theologen befreien konnte. So können die Ergebnisse einen sehr brauchbaren repräsentativen Überblick über die Rahmenbedingungen bieten, unter denen der Unterricht in den Schulen abgehalten wird. Der Fragebogen liefert auch ein detailliertes Bild, auf welche Bandbreite ethisch relevanter Fragen Lehrerinnen und Lehrer eingehen und mit welchen Mitteln.
Worte wie Demokratie und Menschenrechte sucht man vergeblich.
Konfessionfreie befürchten plumpe Propaganda
Ernüchtert zeigt sich Lorre auch angesichts der öffentlichen Diskussion. "Es ist zu befürchten, dass es bei der katholischen Interpretation der Kleinen Zeitung bleibt. Ethikunterricht als verpflichtendes Straffach und mit den Konfessionsfreien wird nicht einmal geredet."
Die Befürchtung erscheint nicht unbegründet. Als der Nationalrat den Ethikunterricht 2011 in einer Enquete breit diskutieren ließ, waren die Vertretungen der Konfessionsfreien nicht eingeladen. Offiziell hieß es später, man habe auf sie vergessen.
Lorre gesteht Bucher zu, diesen Fehler nicht zu machen: "Er ist einer der wenigen, die mit uns überhaupt gesprochen haben und sich ernsthaft mit unserem Standpunkt auseinandersetzt". Dass Bucher ein Pflichtfach für alle einfordert, sei für einen katholischen Theologen ein "mutiger Standpunkt, auch wenn er einige Probleme ausblendet. Es bleibt aber zu befürchten, dass die Religionsgemeinschaften sein Buch zum Plädoyer für ihr Modell uminterpretieren und plumpe Propaganda betreiben."
Die Kleine Zeitung hat diese Befürchtungen nicht zerstreut.